[335] Der Kryptokatholicismus, (aus d. Griechischen) man versteht darunter die geheimen Beförderungen zur Ausbreitung der katholischen Religion unter den Protestanten. Seit dem Jahre 1783 wurde darüber in Deutschland unter mehrern Geiehrten eine berühmte Fehde geführt, wobei Nicolai und die Herausgeber der Berlinischen Monathsschrift auf der einen Seite, und Pfenninger, Lavater, Demarees, vorzüglich aber der Hessendarmstädtische Ober-Hofprediger Stark, auf der andern standen. Die nächste Veranlassung dazu gaben Nicolaiʼs Reisen durch Deutschland, worin der Verfasser an mehrern Stellen gezeigt hatte, daß der katholische Gottesdienst immer noch der vormahlige sei, und daß, ungeachtet der in verschiedenen katholischen Ländern beförderten Ausklärung und der vom Kaiser Joseph II. beabsichtigten allgemeinen Toleranz, die Katholiken die Protestanten mit dem alten Haß verfolgten, und nur dann gelinder gegen sie verführen, wenn sie hoffen könnten, sie in den Schooß ihrer Kirche zurückzubringen. Weil man nun wirklich mehrere Versuche, welche zur Beförderung des Katholicismus unter den Protestanten gemacht worden waren, [335] entdeckt und dagegen in der Berliner Monaths-Schrift freimüthig gesprochen hatte; so fanden sich bald Gegner, welche Nicolaʼs Behauptung für falsch und parteiisch, und die Besorgnisse der Herren Gedike und Biester für übertrieben ausgaben. Keiner verfuhr so leidenschaftlich und hitzig dabei und suchte die Absichten der genannten Gelehrten, welche er nur spottweise die Zionswächter zu nennen pflegte, so sehr herabzusetzen, als der Darmstädtische Ober-Hofprediger Stark in seinem weitläuftigen Werke über Kryptokatholicismus und Proselytenmacherei, welches zugleich eine Rechtfertigung seines Lebens enthalten und ihn von dem Verdachte des heimlichen Katholicismus befreien sollte. Wenn nicht die kämpfenden Parteien durch die Länge des Streites, welcher eigentlich bis auf den heutigen Tag noch nicht ganz beendigt ist, ermüdet worden wären, so würde es den Gegnern des Herrn Stark sehr leicht sein, seinem dicken Buche ein eben so großes Werk entgegenzusetzen. Aber im Jahre 1787, da es erschien, fand niemand mehr nöthig, sich in ein so weitläuftiges Detail einzulassen; einige Bogen waren hinreichend dazu. Daß man übrigens die Bemühungen, den Katholicismus zu verbreiten, bisweilen übertrieben haben kann, ist sehr möglich; aber die verdächtigen Verbindungen, welche man in der Zeit, wo der Streit am lebhaftesten geführt wurde, entdeckte, das Unwesen, welches in der nehmlichen Zeit mit Magnetismus, Geisterbeschwörungen und dergleichen Träumereien getrieben wurde, und die Hindernisse, welche man an manchen Orten der wahren Aufklärung in den Weg legte und sie dadurch zu unterdrücken suchte, ließen doch nicht ohne Grund vermuthen, daß man in Geheim auf Vertilgung des Guten hinarbeite und einen todten Glauben einzuführen sich bestrebe, bei welchem die Vernunft auf eine unverantwortliche Weise in ihren Rechten gekränkt wird. Das Licht der Wahrheit leuchtet jedoch zu helle und hat sich der Herzen des bessern Theils der Menschheit zu fest versichert, als daß man je zu befürchten Ursache haben sollte, das Reich der Finsterniß werde seine Herrschaft aufs neue begründen und die Menschen unter den Despotismus des blinden Glaubens zurückzwingen können. – Das Aufsehen, welches in unsern Tagen der Kryptokatholicismus machte, erregte [336] bald nach Luthers Tode in Sachsen der Kryptocalvinismus, nehmlich die Begünstigung der Lehrsätze Calvins und seiner Anhänger. Melanchthon hatte die erste Veranlassung dazu gegeben; und sein Schwiegersohn, der churfürstliche Leibarzt Peucer, trug, nebst einigen andern gelehrten Männern, worunter auch der Kanzler Cracau war, das meiste zum Ausbruche der Gährung bei. Der damahlige Churfürst August war gegen die Irrlehrer sehr strenge; und seine Gemahlin Anna ermunterte ihn noch mehr, den rechten Glauben aus allen Kräften aufrecht zu erhalten. Peucer und Cracau wurden ihrer Stellen entsetzt, in Kerker geworfen, und Letzterer sogar auf die Tortur gebracht. Die rechtgläubigen Theologen des Landes rief man nach Torgau zu einem Convent, wo sie das Lutherische System von den Calvinistischen Zusätzen reinigten, und es in dem berühmten Buche der Concordia von 1580 in seiner ursprünglichen Gestalt wieder herstellten.