Die Dechiffrirkunst

[325] Die Dechiffrirkunst, die Kunst, den Inhalt einer geheimen, mit willkührlich verabredeten Zeichen (oft Ziffern, wovon sich der Name Dechiffrirkunst herschreibt) [325] geschriebenen Schrift zu enträthseln. Da diese Kunst nicht bloß oft Stoff der Conversation ist, sondern auch im gesellschaftlichen Leben Anwendung finden kann, so wollen wir unsre Leser mit den Grundsätzen derselben bekannt machen.

Vor allen Dingen muß man die Vocale oder Selbstlauter aufsuchen. Dieses geschieht auf folgende Art:

1. Man zieht alle zweibuchstäbige Worte aus der geheimen Schrift heraus und schreibt sie vor sich hin. Hernach sucht man auch die Worte, welche am Ende der einen und am Anfange der andern Zeile also getheilt sind, daß am Ende der Zeile nur die zwei ersten Buchstaben des Worts stehen; denn einer davon muß nothwendig ein Vocal sein. Hierauf nimmt man die fünf Buchstaben heraus, welche am meisten vorkommen.

2. Man prüfe diese fünf Vocalen, und versuche, ob auch in jedem Worte der geheimen Schrift einer oder der andre vorkomme. Findet sich ein Wort, in welchem keiner davon anzutreffen ist, so hat man die rechten Vocalen noch nicht gefunden. Man muß zusehen, welcher von den Buchstaben desselbigen Worts (in welchem man keinen der Anfangs für Vocalen gehaltenen Buchstaben gefunden) unter den angemerkten einsilbigen Wörtern am meisten vorkommt. Diesen schreibt man zu den vermuthlichen Vocalen, und nimmt an dessen Statt einen davon weg, der unter gedachten zweibuchstäbigen Wörtern am seltensten vorkommt. – Diese Untersuchung muß man durch die ganze Schrift durchführen; und hat man endlich die Vocalen gefunden, so muß man

3. dieselben unterscheiden. Weil der Vocal E im Deutschen der gemeinste ist, so sieht man zu, welcher Buchstabe sich in der geheimen Schrift am meisten sehen läßt; dieser ist gewiß E.

4. Die Buchstaben A C H S R W M L F werden durch die kurzen Wörter an auch das wie ihm will auf, die Buchstaben J N U D durch die Wörter ein um und ausgeforscht.

Im übrigen müssen in der Deutschen Sprache noch folgende Eigenschaften der Buchstaben in Acht genommen werden:

A allein wird im Anfange eines Wortes doppelt gefunden. – B steht nie im Anfange eines zweibuchstäbigen Wortes, und kommt mitten im Worte nicht doppelt [326] vor. – C kommt in keinem Worte von zwei Buchstaben vor; steht in keinem Deutschen Worte dreimal; folgt niemals auf einen doppelten Buchstaben, ausgenommen in dem Worte Isaac, und steht nicht zu Ende eines Worts, außer in einigen Nennwörtern. – D kommt nie dreimal in einem Worte vor; geht nicht vor einem Doppelbuchstaben her, und steht in keinem Worte von zwei Buchstaben hintenan, außer in dem Worte ö d. – E steht nie zu Ende eines Wortes von zwei Buchstaben, als in dem Worte je; wird niemals im Anfange, auch nicht zwischen einerlei Buchstaben, doppelt gefunden. – F geht vor keinem doppelten Buchstaben vorher. – G ist in keinem Worte von zwei Buchstaben. – H ist ebenfalls in keinem Worte von zwei Buchstaben anzutreffen, außer in dem Ausrufe Ha. – K steht in keinem Worte doppelt, in keinem Worte am Ende. – K wird in keinem Worte verdoppelt; ist niemals der zweite Buchstabe eines Worts; ist in keinem Worte von zwei Buchstaben zu finden; endlich zwischen zwei K steht immer nur ein Buchstabe. – L findet sich in keinem zweibuchstäbigen Worte; zwischen zwei L steht ferner kein doppelter Buchstabe. – M fängt kein Wort mit zwei Buchstaben an; steht in keinem dreibuchstäbigen Worte in der Mitte, außer in dem antiken umb; kommt in keinem einfachen Worte zweimal vor (es stehe denn doppelt beisammen), außer in dem Worte Amsterdam; kann nicht zu Ende eines Wortes stehen, in welchem der andere und dritte Buchstabe vom Ende einerlei ist; zwischen zwei M kann kein doppelter Buchstabe vorkommen. – N kann in keinem Worte, in welchem der andre und dritte Buchstabe einerlei sind, der Anfangsbuchstabe sein; gehet vor keinem doppelten Buchstaben, außer vor dem F, vorher, ausgenommen in dem Worte Schnee; zwischen zwei N läßt sich kein doppelter Buchstabe sehen, außer in dem Worte Canaan. – O, Wenn ein Buchstabe allein steht, so kann es kein andrer als O sein; es stehet in keinem zweibuchstäbigen Worte voran, außer in ob, und befindet sich in keinem Worte doppelt, außer. in Moos und Schooß. – P stehet in keinem Worte von drei Buchstaben, außer in dem Worte Par; geht vor keinem doppelten Buchstaben vorher, außer vor dem [327] F u. P; kommt in keinem Deutschen Worte dreimal vor; steht nie zwischen einerlei Buchstaben, außer in Leopold und Papagei, und ist nicht am Ende zu finden, außer in knapp Philipp und Ysop. – Q Nach demselben folgt allemal u; es kommt niemals doppelt vor; steht nie zwischen einerlei Buchstaben; geht vor keinem doppelten Buchstaben her, und folgt auf keinen, außer in Brunnquell; ist endlich in keinem Worte der andere vom Anfange, auch nicht der letzte oder der andere und dritte vom Ende. – R fängt kein Wort von zwei Buchstaben an; steht nicht im Anfange, wenn der andre und dritte Buchstabe einerlei ist, ausgenommen in Raab; geht ferner vor keinem doppelten Buchstaben, außer vor dem F, vorher, es sei denn in den Wörtern Raab, Burggraf, Berggrün. – S steht in keinem Worte von zwei Buchstaben voran, außer in so. – T fängt kein Wort von zwei oder drei Buchstaben an, außer Tag, Ton und Tod; geht vor keinem doppelten Buchstaben vorher, u. ist in keinem zweibuchstäbigen Worte der letzte Buchstabe. – U steht nie im Anfange, wenn der andre und dritte Buchstabe einerlei ist, außer in dem Worte unnütz, und wird in keinem Worte verdoppelt, außer in zuvor, Zuversicht, Genugthuung. – W kommt in keinem zweibuchstäbigen Worte vor, außer in wo; steht in keinem Worte von drei Buchstaben in der Mitte, außer in zwo, und geht vor keinem doppelten Buchstaben vorher, außer in Waage und Zween. – X steht in keinem Worte von zwei Buchstaben, und kommt, außer in einigen Nennwörtern, nie zu Anfange eines Wortes vor. – Y fängt kein Wort an, ausgenommen Ysop und Ypern; steht auch in keinem zwei-oder dreisilbigen Worte voran. – Z kommt in keinem zweibuchstäbigen Worte vor, als in Zu; ist in keinem Worte der andere Buchstabe außer in Czaar, und kommt in keinem Worte dreimal vor.

Quelle:
Brockhaus Conversations-Lexikon Bd. 1. Amsterdam 1809, S. 325-328.
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