Die Dissenters

[352] Die Dissenters, (wörtlich Widersprechende, Andersdenkende, a. d. Engl.) heißen in Großbritannien alle diejenigen, welche der bischöflichen Kirche nicht zugethan sind, und geduldet werden. Schon unter der Regierung Heinrichs VIII. und Eduards VI. der Zeitgenossen Luthers und Calvins, fing die Reformation an, sich in England zu verbreiten, und Calvins Lehre fand vor allen andern Eingang. Die Verfolgungen der Königin Maria konnten ihren Fortgang nicht hindern; und mit schnellen Schritten rückte sie unter der aufgeklärten und selbst protestantisch gesinnten Elisabeth fort, als eine Maxime der Regenten Englands, im sechzehnten Jahrhunderte, die Protestanten unter sich entzweite. Heinrich VIII. und dessen Nachfolger betrachteten sich nehmlich anstatt des Papstes als oberste Herrscher in geistlichen Dingen; sie ließen zwar den Erzbischöfen und Bischöfen ihre Würden, doch so, daß diese nicht dem Papste, sondern ihnen unterworfen waren. Viele behaupteten dagegen, daß die erste Kirche nicht unter Bischöfen, sondern unter Aeltesten oder Presbytern, das heißt Priestern ohne bischöfliche Gewalt, gestanden; auch unterwarfen sie sich bloß den von ihnen erwählten Aeltesten. Es erhoben sich daher zwei Religionsparteien, die bischöfliche Kirche oder die Episcopalen, und die Presbyterianer, die man auch, weil sie mit den von der Krone genehmigten System nicht überein stimmten, Nonconformisten, und weil sie die reine Lehre herzustellen bemüht waren, Puritaner nannte. Der erste dieser Namen ist besonders in Schottland gebräuchlich; der letzte war es ehedem in England. Wiewohl die Puritaner in England wenig Eingang fanden, – in Schottland fanden sie desto mehr – so wurden sie doch erst zu Anfang des vorigen Jahrhunderts, unter Jacob 1. und besonders unter Karl 1 gedrückt; Karl machte sie sich zu den heftigsten Feinden, und sie trugen das meiste zu seiner Entthronung und Hinrichtung bei. Mit ihm stürzte [352] die bischöfliche Kirche und die Puritaner triumphirten. Aus ihnen entstand nun eine neue Secte, die sich aber nachher großen Theils mit ihnen wieder vereinigte, nehmlich die Independenten, welche annahmen, daß jede einzelne Kirche einer Provinz von allen andern unabhängig sei, und ihre eigne Liturgie haben könne. Nach Cromwells Tode unter Karl II. und Jacob II. wurde die bischöfliche Kirche wieder herrschend: man kränkte die anders denkenden auf alle Art, und obgleich unter Wilhelm III. und seinen neuesten Nachfolgern Grausamkeiten und heftige Bedrückungen zur Ehre der Menschheit aufgehört haben; so bilden doch die Presbyterianer nur in Schottland die herrschende Kirche. In England aber und Irrland herrschen die Freunde des Episcopalsystems, und die sehr zahlreichen Irischen Katholiken wurden von jeher durch die daselbst wohnenden bischöflich Gesinnten zu gefährlichen Unruhen gereitzt. Außer diesen Parteien, die sich alle mehr oder weniger von der Lehre der Reformirten entfernt haben, und denen vermöge einer Parlamentsacte Duldung versichert worden ist, giebt es noch viele Lutheraner, Socinianer, Quäcker, Wiederläufer, u. s. w. die gleichfalls geduldet werden. Alle diese bisher aufgeführten Religionssecten heißen nun Dissenters. Unter ihnen sind gewöhnlich die aufgeklärtesten Köpfe; und sie schließen sich, weil der König das Oberhaupt der bischöflichen Kirche ist, gewöhnlich an die Opposition an. Ueberhaupt herrscht in Großbritannien, ungeachtet großer Gewissensfreiheit, dennoch viele religiöse Uneinigkeit; und Religionszwiespalt trennt richt nur oft das Band der Eintracht unter den Staatsbürgern, sondern bewirkt auch auf der andern Seite eine große Gleichgültigkeit gegen alle Religion, und eine der Moralität schädliche Freidenkerei, die sich bis auf die untersten Volksclassen erstreckt.

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Brockhaus Conversations-Lexikon Bd. 1. Amsterdam 1809, S. 352-353.
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