Die Lyra

[447] Die Lyra, (welche man jedoch nicht mit der Lira oder Leyer der Neuern verwechseln darf) das älteste besaitete Instrument der Egyptier und Griechen, von denen es nachher zu den Römern übergegangen ist. Nach der Fabel stieß Merkur, als er nach einer Ueberschwemmung des Nils an den Ufern desselben umherging, zufälliger Weise mit dem Fuße an die Schale einer Schildkröte, deren Fleisch theils verfault, theils vertrocknet, und nichts mehr davon übrig war, als die durch die Austrocknung angespannten und klingend gewordenen Sehnen. Der Klang davon überraschte ihn so, daß er darüber nachdachte, und endlich auf die Idee der Lyra geleitet wurde, die er in Form einer Schildkröte verfertigte und mit getrockneten Sehnen von todten Thieren bezog. Diese Lyra mußte nachher Merkur dem Apoll als eine Entschädigung für die ihm geraubten Rinder überlassen; und dieser that noch eine vierte Saite hinzu, so daß daraus die Cither des Apollo entstand. Ueber die Art und Vermehrung der Anzahl der Saiten, welche nach und nach bis auf zehn gestiegen ist, so wie über die Form dieses Instruments ist man sehr verschiedner Meinung. In Ansehung der letztern scheint die Lyra Aehnlichkeit mit unserer Laute gehabt zu haben; die Saiten waren von Darm, und wurden entweder mit dem Finger gerissen, oder der Ton mit einer Art Klöppel hervorgebracht. Uebrigens sind hieraus, so wie aus der Abänderung der Gestalt dieses bei den Alten so berühmten Instruments, viele andere Saiten-Instrumente entstanden. Noch jetzt ist die Lyra in Abyssinien gebräuchlich; sie hat fünf, sechs, auch sieben Saiten, welche von außerordentlich fein gedrehten [447] Streifen aus roher Schafs- oder Ziegenhaut gemacht werden, ist übrigens das einzige besaitete Instrument, das man hier kennt, wird aber nie allein, sondern immer in Begleitung der Singstimme gespielt, mit welcher sie beständig im Einklange geht.

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Brockhaus Conversations-Lexikon Bd. 2. Amsterdam 1809, S. 447-448.
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