Die Meistersänger

[110] Die Meistersänger. Als noch die Minnesängerei blühte (s. Minnesinger), nannte man einen beliebten Dichter einen Meister, und den, der dessen Gedichte für Geld hie und da declamirte oder sang, einen Meistersänger. Späterhin aber fingen diese herumziehenden Sänger selbst an zu dichten; und als die Minnesängerei erlosch, blieben sie allein im Besitz der Dichtkunst, welche aber, da Fürsten, Ritter und Vornehme wenig Geschmack mehr an der Poesie fanden, endlich ein Vergnügen des niedrigsten Pöbels ward. Zu Anfange des 14. Jahrhunderts waren beinahe bloß Handwerker Dichter; ihre Gedichte waren ohne dichterische Schönheiten und Cultur, ganz mechanisch und bloß mit dem Reim versehn, der bei ihnen das Hauptaugenmerk ausmachte. Ja sie errichteten, gleich den Handwerkern, eigne Innungeu, die Carl IV. privilegirte, und legten nunmehr in Mainz, Nürnberg, Ulm, Augsburg und vielen andern Orten förmliche Schulen der Dichtkunst und Vocalmusik, besonders der kirchlichen, an. Jeder mußte bis zum Meister folgende Classen durchwandern: so lange er die Regeln des Reims (deren bloß 32 waren) nicht wußte, hieß er Schüler, dann Schulfreund; konnte er einige Töne singen, so war er Singer; brachte er es bis zur mechanischen Verfertigung von Liedern nach fremden Melodien, so hieß er Dichter; und gelang es ihm endlich, eine neue Melodie zu erfinden, so war er Meister. Ueber die Kirchenmusik, die sie für gesammeltes [110] Almosen besorgten, waren Merker, d. h. Vorsteher, gesetzt; und oft wurden zur Erhohlung von diesen schweren Arbeiten Zechen oder Trinkgelage in Wirthshäusern gefeiert. Dieses Unwesen, welches allen Geschmack vollends verdrängte, dauerte bis tief in das sechzehnte Jahrhundert; ja im siebzehnten findet man noch Spuren davon: und nur sehr selten keimte ein erträgliches Dichtergenie aus diesen Schulen empor. Der beste Meistersänger war im 16. Jahrhundert der bekannte Schuhmacher Hans Sachse. Ihre meisten Gedichte waren geistlichen Inhalts: zur Belustigung des Pöbels, der beinahe allein ihr Publicum ausmachte, ließen sie sich zu den niedrigsten geistlichen und weltlichen Possen herab; und die Fastnachtsspiele in den Kirchen, die im 15. Jahrhundert aufkamen, und sich noch bis in die neuesten Zeiten erhalten haben, verdanken ihnen den Ursprung.

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Brockhaus Conversations-Lexikon Bd. 3. Amsterdam 1809, S. 110-111.
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