Die Orgel

[312] Die Orgel, das bekannte musikalische Instrument, welches in einem großen Gehäuse eine Sammlung vieler harmonisch geordneter Pfeifen enthält, in welche der Wind durch Blasebälge vermittelst der Windlade getrieben und dadurch der Ton hervorgebracht wird, den der Spieler mit Hülfe der Tasten oder der Claviatur leitet. Sie besteht aus gedachten (zinnernen und hölzernen) Pfeifen, deren Länge die Höhe und Tiefe des Tons bestimmt1; ferner aus Registern oder Zügen, welche eine Art zusammengehörender Pfeifen enthalten, und deren allemahl so viel sein müssen, als die Orgel Claves enthält2; ferner aus einem oder mehrern Clavieren, Manual genannt (s. diesen Art.); endlich aus dem Pedal, auf welchem die Baßtöne mit den Füßen angegeben werden, so daß auf diesem meisten Theils die Grundstimme geführt, mit den beiden Händen aber auf den Clavieren oder Manualen die dazu gehörige Melodie und Harmonie gespielt wird. – Dieses majestätische Istrument, die Zierde unsrer Kirchen, hat in Rücksicht seines Ursprungs dasselbe Schicksal der Ungewißheit als viele andre Erfindungen. Daß die Erfindung desselben sehr alt sei, ist wohl nicht zu bezweifeln; ob aber zuerst die Sackpfeife [312] oder der so genannte Dudelsack (ein ebenfalls sehr altes und schon bei den Hebräern und Griechen bekanntes Instrument), oder die Wasserorgel (deren eigentliche Beschaffenheit sehr viel Streitigkeit unter den Gelehrten verursacht hat) die Gelegenheit zur Erfindung unsrer ungleich vollkommenern Windorgel gegeben, ist noch sehr ungewiß. Die Wasserorgel (hydraulicum) wird von den Meisten mit unsrer jetzigen pnevmatischen Orgel für ziemlich gleich gehalten, nur daß jene den Wind durch eine Wasserpresse empfangen habe, welche die Luft durch Pumpen geschöpft und in die Windlade hinaufgetrieben. Als Erfinder derselben giebt man den Ctesibius, einen berühmten Mechaniker in Alexandrien, an, der aber vielleicht nur die schon vorhandene Windorgel, welche wahrscheinlich nichts weiter als eine vielröhrige Sackpfeife gewesen, durch den Gehrauch des Wassers nach damahliger Art verbessert hat. Wahrscheinlich hat auch das Wasser mit Hervorbringung des Tons nichts zu thun gehabt, sondern nur dem zu starken Winde zum Gegengewichte gedient. So viel scheint indessen ausgemacht, daß diese Wasserorgeln in gar keine Vergleichung mit unsern Wind- oder pnevmatischen Orgeln kommen, so übertrieben auch manche Schriftsteller (namentlich Isaac Vossius) von jenen sprechen, ohne vielleicht selbst deutliche Begriffe davon zu haben. – Die Einführung der Orgeln in den Kirchen soll zuerst unter Kaiser Julian dem Abtrünnigen der Bischof Damasus, und zu Rom der Papst Vitalianus (657 – 71) bewerkstelliget haben. Um das Jahr 660 findet man eine Orgel in England, um das J. 756 die erste in Deutschland (ein Geschenk vom Kaiser Constantin zu Constantinopel an Pipin), und um 757 eine Orgel in Frankreich; im 13. Jahrhundert sollen sie auf Veranstaltung der Päpste allgemein in den Kirchen eingeführt worden sein. – Die Deutschen haben unstreitig das größte Verdienst um die Verbesserung und Vervollkommnung der Orgeln; es hat ein Deutscher, Bernhard, 1480, zu Venedig das Pedal, ein andrer, Förner, 1680, die Windwage erfunden: und auch noch jetzt behaupten die von Deutschen (von einem Hildebrand, Silbermann etc.) gebauten Orgeln den Vorzug. – Uebrigens waren die Orgelwerke der Alten [313] sehr schwer zu tractiren, da dazumahl neun Claves, die wir jetzt mit der Hand erreichen können, wohl anderthalb Ellen Raum einnahmen und mit den Fäusten geschlagen wurden; daher noch der Ausdruck: die Orgel schlagen.


Fußnoten

1 Daher auch nach dem Maße derselben die Benennung achtfüßig, vierfüßig u. s. w. S. d. Art. Fuß.


2 Die Register sind wieder entweder stumme (welche keinen Ton hervorbringen, z. B. die Koppel, das Calcantenglöckchen etc.) oder klingende (welche nach der Verschiedenheit der hervorzubringenden Töne wieder besonders benannt werden).

Quelle:
Brockhaus Conversations-Lexikon Bd. 3. Amsterdam 1809, S. 312-314.
Lizenz:
Faksimiles:
312 | 313 | 314
Kategorien: