[126] Die Scholastiker (Gesch. d. Wissensch.), eigentlich die Vorsteher oder Lehrer an Schulen. Im Mittelalter führten die berühmtesten Theologen und Philosophen diesen Namen ausschließend, und daher entstand eine eigne Secte der Scholastiker oder der scholastischen Philosophie. Man theilt sie gewöhnlich in drei Hauptperioden, wovon die erste mit dem Roscelin und Abälard (1120) anfängt und mit Albert dem Großen (1250) schließt, die zweite bis auf den Durandus (1330) und die dritte bis zur Wiederherstellung der Wissenschaften im sechzehnten Jahrhundert fortgeführt wird. Die Basis, worauf die Scholastiker das System ihrer Philosophie gründeten, waren die Schriften des Aristoteles, und vorzüglich seine Abhandlungen über Logik, Kategorien und Syllogismen. Man bediente sich aber dabei nicht des Griechischen Textes, sondern elender Lateinischer Uebersetzungen, die aus dem Arabischen gemacht waren und zugleich die Auslegungen des Avicenna und Averroes enthielten. Der höchste Zweck, warum man die bisherigen Lehrbücher gegen diese neuen vertauschte, war kein anderer, als um dadurch Gelegenheit zu bekommen, im Disputiren zu glänzen. Bei diesen Disputationen ging es sehr hitzig zu; die Kämpfer geriethen [126] oft mit Ohrfeigen und Faustschlägen an einander, und verschafften dadurch den Zuhörern ein sehr angenehmes Schauspiel. Unbekümmert um die wahre Absicht, welche durch die Wissenschaften erreicht werden soll, setzten sie ihren einzigen Ruhm in das Zusammenhäufen einer Menge unnützer und spitzfindiger Fragen, in die Erfindung paradoxer Sätze, unnützer Definitionen und Distinctionen, und in die Fertigkeit, aufgegebene Zweifel mit wahren oder scheinbaren Gründen sogleich zu lösen, oder den Gegner durch künstliche Wortspiele in Verlegenheit zu setzen. In ihren Schriften herrschte dieselbe verwirrte Methode. An einen zusammenhängenden Vortrag war selten zu denken; man stellte den zu behauptenden Satz auf, entwickelte ihn in mehrern Fragen, ließ dann die Gründe darwider folgen und beschloß endlich mit den bejahenden Gründen. Weitläuftige Erörterungen hielt man für unverträglich mit der Dialectik, und bediente sich ihrer daher selten; noch weniger war man der Deutlichkeit beflissen, weil auch diese der Streitsucht ungünstig war. Aber diese Methode, die in der Philosophie angefangen hatte, war dem Geschmacke des Zeitalters so angemessen, daß man sie bald auf alle übrige Wissenschaften, vorzüglich aber auf die Theologie, anwendete; und daraus entstand denn das monströse Lehrgebäude, wodurch während des Mittelalters die christliche Religion auf das schimpflichste entstellt und ganz unkenntlich gemacht wurde. Man überging darin die wichtigsten und tröstendsten Lehren, um sich bei denen zu verweilen, welche den meisten Stoff zum Disputiren darboten und wobei man die verwegensten und gotteslästerlichsten Fragen aufwerfen konnte; auf die Bibel wurde dabei gar keine Rücksicht genommen, manchen Doctoren war sie sogar gänzlich unbekannt. Auch in der Philosophie vergaß man über den lächerlichsten Albernheiten die Untersuchung wichtiger Dinge. Menschen, welche sich mit der Auflösung solcher Fragen, ob z. B. ein am Strick geführtes Thier vom Strick oder vom Führer gehalten werde, im Ernst beschäftigen können, verdienen höchstens Mitleiden; aber um ihren Scharfsinn wird sie sicher Niemand beneiden. Man darf übrigens nicht vergessen, daß die Lateinische Sprache unter den Händen der Scholastiker in ein barbarisches Galimatias ausartete, [127] an dessen Enträthselung die Geduld des geübtesten Kritikers verzweifeln kann. Die Vernachlässigung aller Regeln einer guten Schreibart; das Zusammenhäufen von Partikeln, die man oft mit einem Zeichen versehen mußte, um nicht im Zählen irre zu werden; das Erschaffen von neuen, höchst unangenehm tönenden Worten und die größte Verwirrung im Vortrage der Ideen – dieses sind die charakteristischen Kennzeichen, wodurch sich die Schriften der Scholastiker von allen andern unterscheiden. Zuweilen stößt der Leser auf ganz unverständliche Stellen; und da kann man immer mit Gewißheit annehmen, daß die Verfasser sich selbst nicht verstanden haben. Es gab unter den Scholastikern mehrere Secten, worunter die der Realisten und Nominalisten die berühmteste ist. Man stritt nehmlich darüber, ob die allgemeinen Begriffe auch außer dem Verstande Wirklichkeit besäßen oder bloße Abstractionen der Seele wären; der Streit wurde mehrere Jahrhunderte hindurch mit der größten Lebhaftigkeit geführt und doch dabei nichts ausgemacht. Duns – einer der berühmtesten Scholastiker – verschaffte den Realisten eine Zeit lang die Oberhand; aber nach ihm trat Occam – der den Beinamen eines unüberwindlichen Doctors führte – auf und kämpfte für die Nominalisten. Um die Zeit der Reformation wurde die Methode, womit die Scholastiker die Wissenschaften behandelten, so ziemlich verdrängt, wenigstens in protestantischen Ländern: dessen ungeachtet findet man noch häufige Spuren derselben selbst in unsern Tagen auf den berühmtesten Universitäten; und in katholischen Ländern, in Klöstern und Gymnasien, hat der Unterricht größten Theils noch die Form der scholastischen Jahrhunderte.