Die Seiks

[216] Die Seiks oder Siks sind eine in neuern Zeiten sehr merkwürdige und furchtbar gewordene Nation vom Stamme der Hindus (mit welchen sie auch in Rücksicht der Sitten und der Casteneintheilung viel Aehnlichkeit haben), in dem westlichen und nördlichen Theile des eigentlichen Hindostan (s. Ostindien). Anfänglich machten sie bloß eine religiöse Secte [216] aus. Ein frommer Einsiedler, Nanck oder Nanec, der 1539 gestorben sein soll und ein Hindus war, stiftete nehmlich in der Provinz Lahor und dem Punjab, d. h. der Gegend zwischen dem Hindus und Delhi, wo die fünf großen Ströme fließen, die in den Indus fallen, eine neue Religion, die viel von den Hindus entlehnte, aber eine einzige Gottheit annahm, und alle heiligen Bücher, Mythologie und viele Ceremonien der Hinduslehre (s. Ostindien) verwarf. Er nahm mit der größten Bereitwilligkeit Proselyten von allen Religionen an, so daß sich seine Anhänger, die sich Seiks oder Siks, d. h. Schüler, nannten, bald außerordentlich vermehrten; auch blieb das Hohepriesteramt bei seiner Familie. Bisher machten die Seiks bloß eine religiöse Secte aus; aber gegen das Ende des vorletzten und zu Anfange des letzten Jahrhunderts fingen sie, unter einem einzigen politischen Oberhaupte vereinigt, an, durch Räubereien und Eroberungen sich furchtbar zu machen, bezwangen bald viele nahe Districte, schlugen alle Anfälle des Großmoguls, der Könige von Candahar oder Ostpersien (die bloß durch sie bis jetzt an der Eroberung Hindostans verhindert wurden), der Afghanen und anderer Feinde zurück, und wurden, da sie in Bergen und Wäldern einen unzugänglichen Zufluchtsort fanden, nach jeder Niederlage nur noch furchtbarer. Neuerlich haben sie dem zertrümmerten Reiche des Großmoguls alle westliche und einige nördliche Provinzen des eigentlichen Hindostan, namentlich Lahor, Multan, Sindi u. a. auf beiden Seiten des Indus bis nahe an Delhi, entrissen, streifen nicht selten ungehindert bis an den Ganges, breiten sich immer mehr aus, haben ihre vorzügliche Stärke nicht nur in ihrer Tapferkeit, sondern auch in ihrer wohlgeübten mit Feuergewehr bewaffneten Reuterei, die beinahe ihre einzige Kriegsmacht ausmacht, und gegen 300,000 Mann stark sein soll; und sie trugen fast eben so viel als die Maratten, denen sie die Spitze bieten können, zum Sturz des Mongolischen Throns bei. Sie haben nicht mehr, wie sonst, ein Oberhaupt, sondern viele unabhängige Heerführer – Fürsten kann man sie wegen des Freiheitsgefühls dieses Volks und ihrer wenigen Rechte nicht nennen –; außer diesen herrschen jetzt zwölf (so genannte) Fürsten über die Seiks, die von zwölf [217] bis zu 70,000 Mann stellen können, wenn gleich die meisten nur 12 bis 24,000 auf den Beinen haben. Ihr Hauptaugenmerk sind freilich immer nur kleine Eroberungen und Räubereien; ihre Lebensart ist sehr einfach, ihr Charakter wild, roh und grausam; ihr Haupterwerb Ackerbau und Krieg: Handel und Gewerbe wird wenig betrieben. Die Zahl derselben nimmt bei der Zerrüttung Persiens und Ostindiens durch zahlreiche Proselyten noch ausnehmend zu. Nach den neuesten Nachrichten wurden sie 1797 von Zemann Schach in einer großen Schlacht geschlagen. Die besten und vollständigsten Nachrichten über sie giebt Georg Forster, ein kurz darauf in Ostindien verstorbener Beamter der Ostindischen Compagnie der Engländer, in seiner Reise aus Bengalen nach England, im 11ten Briefe – Deutsch übersetzt, Zürich 1796. 8.

Quelle:
Brockhaus Conversations-Lexikon Bd. 5. Amsterdam 1809, S. 216-218.
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