Die Todtaustragung

[190] Die Todtaustragung am Sonntage Lätare ist ein Volksfest, welches noch an vielen Orten in Deutschland üblich ist, und ehedem noch weit allgemeiner war. Der Ursprung dieser Feierlichkeit, wo die jungen Leute eines Ortes eine in Stroh verhüllte oder vermummte Puppe in Mannsbohe in Procession herumtragen, sie hierauf ins Wasser werfen, verbrennen, oder auf andere Art vernichten, und dann den Tag unter Tanz und Jubel zubringen, wird von Einigen aus den Zeiten der Einführung des Christenthums hergeleitet, und es soll ein Fest zum Andenken der Ausrottung der heidnischen Götzenbilder gewesen sein. Wahrscheinlicher aber ist die Meinung, daß die Todtaustragung ein Rest des alten Frühlingsfestes sei, und besonders von den Slaven aus den Zeiten der heidnischen Religion herrühre; und wir treffen auch wirklich diesen Gebrauch in vielen Ländern Deutschlands an, die von Slaven und Wenden bevölkert wurden, z. B. in Böhmen, Mecklenburg und der Lausitz. Man verlegte nachher dieses Fest auf den Sonntag Lätare, weil um diese Zeit der Frühling sich anfängt, betrachtete dann die Puppe als den gestorbenen Winter, und begrub sie, stellte auch an manchen Orten symbolische Wettkämpfe zwischen zwei lebenden Personen an, deren eine den Winter, die andere den Sommer vorstellte, und beobachtete gewöhnlich viele alberne und abergläubische Ceremonien dabei, welche die allmählige Abschaffung des ganzen Festes veranlaßten. Aehnliche Frühlingsfeste hatten schon die alten Perser, Syrer und andere Völker. (Man sehe darüber C. H. Schmid Parallele zwischen der Altdeutschen und Altrömischen Frühlingsfeier, im Journal v. u. f. Deutschland, 1787, M. Sept., nebst vielen bis 1791 gelieferten Nachträgen.)

Quelle:
Brockhaus Conversations-Lexikon Bd. 6. Amsterdam 1809, S. 190.
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