[397] Die Wenden (Venedi beim Tacitus genannt) sind eines von denjenigen mächtigen Völkern, welche sich mit unter dem Namen der Slaven bei den großen Wanderungen der Völker ebenfalls über einen großen Theil von Germanien verbreiteten. Ein Theil davon trennte sich (gleich nach Christi Geburt), nahm Pohlen, Schlesien, Böhmen, die Lausitz ein, breitete sich theils nach Pommern, Preußen, Litthauen etc. hinaus, theils auch nach dem südlichen Deutschland bis an die Grenzen Italiens. Jedoch machten sie da freilich nicht mehr eine kleine Nation aus, sondern sie bestanden aus sehr vielen, theils größeren, theils kleineren, Völkerschaften. Von den Wenden im nördlichen Deutschland gab es besonders zwei Hauptstämme, nehmlich die Wilzen und Obotriten. Nach vielen Unruhen, die sie auch den Sächsischen Herzogen verursachten, stiftete Gottschalk 1047 das Wendische Reich, das, aus 18 Provinzen bestehend, nun unter den Sächsischen Herzogen und den Deutschen Königen stand. Er vertilgte das Heidenthum, zog sich [397] aber dadurch Unzufriedenheit und einen meuchelmörderischen Tod (1066) zu. Ein allgemeiner Aufstand aller Wendischen Nationen drohte zwar, unter Ermordung der Priester und Bischöfe, eine gänzliche Wiedereinführung des Heidenthums: allein Gottschalks Sohn, Heinrich, stellte in Verbindung mit einigen Dänischen und Wendischen Seeräubern 1105 jenes christliche Reich wieder her; und auch die östlichen Wenden unterwarfen sich nun bald. Nach mehreren Empörungen der Wendischen Stämme gab der Deutsche Kaiser Lothar II. das Wendische Königreich 1126 dem Herzoge von Schleswig, Kund, zu Lehen, der aber (1131) von dem Dänischen Prinzen Magnus, so wie auch dieser (1134) ermordet wurde. Das Wendische Reich zerfiel jetzt in kleinere Staaten; und auf den Trümmern des Wendisch-Hevellischen oder Wilzischen Reichs errichteten mehrere Deutsche Reichsfürsten neue Staaten: so legte auch der Nordsächsische Markgraf Albrecht der Bär durch seine Eroberungen in den Wendischen Landen den ersten Grund zur Macht des Brandenburgischen Hauses. – Der nördliche oder Obotritische Theil, unter Wendischen Beherrschern, von Deutschland und Sächsischen Herzogen abhängig, wurde von Heinrich dem Löwen, der es besiegte, unter seine Kriegsmänner vertheilt, durch Deutsche und Flanderer bevölkert, auch von ihm die Grafschaft Schwerin errichtet; jedoch wurde nach Heinrichs Fall ein Theil des Wendischen Landes nachher von der Sächsischen Hoheit befreit. In der Folge kam der größte Theil an Dännemark.
Die alten Wenden nun, ein großes, nervigtes Volk, führten kein solches Nomaden-Leben, wie die andern, sondern sie bauten sich Häuser, nach und nach Dörfer und Flecken, hatten nicht bloße Thierfelle, sondern gewisser Maßen leinene und wollene Zeuge zu Kleidern: sie trieben Ackerbau und Viehzucht, und waren auch in ihrem Charakter nicht so wild; Straßenraub, Meineid, Ehebruch waren bei ihnen unbekannte Verbrechen; Gastfreundschaft übten sie in hohem Grade aus. Nur in einer abscheulichen Sitte kamen sie den Wilden gleich, nehmlich, daß sie ihre alten abgelebten Aeltern und auch überzähliche Töchter, kranke Kinder etc. ums Leben brachten, damit sie der menschlichen [398] Gesellschaft nicht zur Last fallen sollten! Sie verehrten viele Götter, den Bilbog, Wodan, Swantewit etc. (s. diese Art.); ihre Priester hießen Pupen, Popen u. s. w. – Die heutigen Wenden, welche hauptsächlich in der Lausitz (s. dies. Art.) wohnen, und dann auch den nördlichen Theil von Pommern, zwischen der Ostsee und Westpreußen, inne haben, haben noch vieles von ihren vorigen Sitten, von ihrer Lebensart, Sprache, Tracht etc. übrig behalten, wodurch sie sich von ihren Deutschen Nachbarn gar sehr unterscheiden; ja, sie bleiben zum Theil, ungeachtet aller nachdrücklichen Bemühungen, die man dagegen angewendet hat, absichtlich auch dabei, um mit der Deutschen Nation, gegen welche sie einen beständigen Haß hegen, nicht verwechselt zu werden. Doch zeichnen sich in dieser Hartnäckigkeit die Kassuben-Wenden (in Pommern), wie auch überhaupt in Rücksicht der Arglist, des Betrugs, der Falschheit und Lügen weit mehr aus, als die Sorben-Wenden (in der Ober- und Nieder-Lausitz), welche letztern denn auch eher durch Muth, Treue und Arbeitsamkeit vorzuziehen sind. Ein gesunder, starker und großer Körperbau ist ihr vorzügliches Eigenthum; Feld- und Gartenbau, so wie auch Leinweberei ist ihr Haupt-Erwerbszweig.