[329] Francois Claude Delessart war in den Jahren 1791 und 1792 Minister der auswärtigen Angelegenheiten am Französische Hofe, und gehörte zu der nicht kleinen Anzahl von Männern, deren wahrer Charakter bis jetzt noch nicht aufgeklärt ist. Viele hielten ihn für einen ganz rechtschaffnen Mann, der unermüdet das Beste der Nation habe befördern wollen; bei andern galt er für einen heuchlerischen Verräther, welcher vorzüglich Ursache gewesen sei, daß die neue Französische Constitution bei vielen auswärtigen Höfen so wenig geachtet wurde. In ruhigen Zeiten würde Delessart eine Ministerstelle unstreitig mit vielem Glück bekleidet haben; aber im Laufe einer allgemeinen Revolution, und noch dazu in einem Zeitpunkte, wo die Gesinnungen der meisten Europäischen Mächte in Rücksicht Frankreichs immer schwankender und bedenklicher wurden, fehlte es ihm an innerer Kraft und Selbstständigkeit. Er wollte keiner Partei zu nahe treten, und vergaß, daß er mit diesem System die herrschende Partei gerade am meisten gegen sich aufbrachte. Man beschuldigte ihn, vorzüglich in den Verhandlungen mit dem Wiener Cabinette, das Interesse der Französischen Nation verrathen zu haben, und Brissot, sein unversöhnlicher Feind, suchte (am 10. März 1792) in einer zwei Stunden langen Rede, welche mit den heftigsten Schmähungen angefüllt war, der Nationalversammlungen zu beweisen, daß es höchst nöthig sei, ihn augenblicklich seiner Stelle zu entsetzen. Weil man überdieß beinahe allgemein glaubte, daß er den Kriegsminister Narbonne, der sehr viel Zutrauen besaß, habe stürzen helfen, so wagten es nur wenige Mitglieder der Versammlung, für ihn zu sprechen. Sie wurden [329] den aber sogleich überstimmt; man gab ein Anklagedecret gegen Delessart ab, und verordnete, daß er für den höchsten Gerichtshof nach Orleans gebracht werden sollte, um daselbst sein Urtheil zu empfangen. Dort zog sich jedoch sein Prozeß sehr in die Länge, und er würde vielleicht endlich so glücklich gewesen sein, freigesprochen zu werden, wenn er nicht das traurige Schicksal gehabt hätte, auf dem Wege von Orleans nach Paris, zugleich mit mehreren Gefangnen, in den blutigen Septembertagen (1792) von dem Volke ermordet zu werden.
Brockhaus-1809: Marquis François Claude de Bouillé