[118] Johann Philipp Baratier. Dieses frühzeitige, leider zu frühzeitige Genie, weil es eben so schnell wieder dahin welkte, war am 19. Januar 1721 zu Schwabach im Fürstenthum-Anspach geboren, wo sein Vater, Franz Baratier, damahls Französischer reformirter Prediger war. Er war das einzige Kind seines Vaters, dieser sein einziger Lehrmeister. Sein Vater behauptete, man müsse dem Kinde von der Wiege an etwas lehren; diesen Grundsatz befolgte er bei seinem Sohne, jedoch so, daß er, weit entfernt, ihm den geringsten Zwang anzuthun, ihm die Erlernung von allem reitzend und angenehm machte, und sichs gar nicht merken ließ, daß er etwas behalten solle. Schon im zweiten Jahre seines Alters fieng sein Vater mit ihm die Französische Sprache an, in der er geboren war. Um die Buchstaben zu erlernen, gab er ihm kein Buch in die Hände (Kinder werden bei der Betrachtung so vieler Buchstaben nur verwirrt); er zeigte ihm einen Buchstaben nach dem andern. Besonders gefiel dem jungen Baratier, daß er ihm die Buchstaben als etwas Lebendiges vorstellte, das mit ihm rede; er mahlte sie beim Trinken mit Wasser auf den Tisch u. s. f. Auf ähnliche Art lehrte er ihn zu gleicher Zeit die Geographie; bei Tische sagte er ihm, die Suppe sei eine Suppe dieses oder jenes Herrn, der in der und der Stadt wohne. Auf diese Art lernte er in seinem dritten Jahre fertig lesen, im vierten fertig Französich und Deutsch, im fünften Lateinisch reden: mit gleicher Schnelligkeit begriff er die Griechische und Hebräische Sprache, so daß er in seinem achten Jahre den Codex übersetzen konnte; worauf er auch noch andre Orientalische Sprachen lernte. In seinem zwölften Jahre lernte er die Weltweisheit, nebst den mathematischen Wissenschaften und der Kirchengeschichte, und im vierzehnten endigte er die Widerlegung der Schrift Samuel Krels wider die Gottheit Christi. Als sein Vater im Jahre 1735 als Französischer Prediger nach Stettin berufen wurde, und bei seiner Durchreise durch Halle mit seinem Sohne den Professor Schulz besuchte, führte dieser beide zu dem Kanzler von Ludwig, welcher dem jungen Baratier versprach, daß er ohne Kosten zum Magister der [118] Philosophie promovirt werden solle. Der junge Baratier ließ sich sogleich den folgenden Tag immatriculiren, und den Tag darauf von der ganzen philosophischen Facultät examiniren. Hier entwarf er sogleich in der Versammlung vierzehn Theses, welche die Nacht gedruckt und den folgenden Tag, in Gegenwart von mehr als zweitausend Zuhörern, von dem vierzehnjährigen Knaben zu Erlangung der Magisterwürde standhaft vertheidigt wurden. Sein Vater setzte nun mit ihm seine Reise nach Stettin über Potsdam fort, wo Vater und Sohn durch den geheimen Rath Friedrich Hofmann dem Könige von Preußen vorgestellt wurden, welcher denselben viel Gnade erzeigte, dem jungen Genie auf vier Jahre jährlich funfzig Thaler aussetzte, ihm Geld zu mathematischen Werkzeugen gab, und ihm nach Halle zu gehen und die Rechte zu studiren befahl. Auch mußte ein Prediger der Französischen Gemeinde zu Halle nach Stettin gehen, und der Vater Baratiers an dessen Stelle in Halle bleiben. Unser junges Genie studirte jetzt in Halle die Rechte, und verband noch andre Studien damit; auch arbeitete er viele Schriften aus, welche jedoch nicht alle gedruckt worden sind. – Eine so früh aufgeschossene Blume konnte jedoch unmöglich lange fortblühen; von Natur klein und kränklich, bekam er schon in seinem zehnten Jahre ein sehr bösartiges Geschwür, an dem er viel litt, und zu welchem sich eine Auszehrung gesellte, an welcher er in einem Alter von 19 Jahren 8 Monathen und 16 Tagen, den 5. October 1740, starb.