[348] Lacedämon oder Lakonien, insgemein, nach dem Namen der Hauptstadt, Sparta genannt, einer der merkwürdigsten Staaten Griechenlands und des Alterthums überhaupt, liegt im Pelponnes, zwischen Arkadien, Messenien und dem Mittelländischen Meere. Von außen decken hohe Bergketten dieses kleine, von der Natur nicht mit Ueberfluß beschenkte Land; mehr aber als dieses schützte es ehedem die Tapferkeit und innere Verfassung seiner Bewohner, der Spartaner, eines Volks, das von allen ältern und neuern Nationen abwich. Schon lange vor dem Sturze Trojaʼs eroberten die Herakliden (die Nachkommen des Herkules) Lakonien, das seitdem beständig von zwei Königen beherrscht wurde, die aus zwei Familien gewählt wurden [348] und zusammen regierten. Späterhin, etwa 900 J. vor der christlichen Zeitrechnung, erhob Lykurgus den noch unbedeutenden und schlecht organisirten Staat durch vortreffliche und in ihrer Art einzige Gesetze (die er zum Theil aus der Gesetzgebung des Kretensischen Königs Minos (s. diesen Art.), mehr aber noch aus seinem eignen großen Geiste und den damahligen Verhältnissen seines noch rohen und unverdorbenen Volks schöpfte) auf einmahl zu einer furchtbaren Höhe. Die Spartaner überwanden nachher ihre mächtigen Nachbarn, die Messenier, stellten sich bei Thermpoylä unter Leonidas den Perserscharen entgegen, und wurden, ohne auf Eroberungen und Erlangung von Reichthümern bedacht zu sein, der Schrecken von ganz Griechenland. Selbst Athen, das in dem langwierigen Peloponnesischen Kriege mit der äußersten Anstrengung gegen sie um die erste Stelle unter den Griechischen Staaten gekämpft hatte, mußte zuletzt unterliegen; und nun war die Spartanische Macht aufs höchste gestiegen, und sah alle Nebenbuhler gedemüthigt. Aber gerade in diesem großen Waffenglück lag der Grund zu ihrem nachherigen Verfall: denn der Reichthum und Luxus Athens fing an, die alte Simplicität und Mäßigkeit zu verdrängen; Weichlichkeit und thatenloser Stolz nahmen die Stelle der alten Heldentugenden ein. Die Thebaner benutzten diesen Zeitpunkt: ihr Feldherr Epaminondas schlug sie, entriß ihnen ihr Uebergewicht ganz; und nie konnten sie sich von diesem Schlage erhohlen. Dennoch widerstanden sie in der Folge dem Eroberer Griechenlands, Alexander, und dessen Nachfolgern so tapfer, daß sie nie ganz unterjocht werden konnten. Endlich, nach langen Kriegen, nahmen sie an dem Achäischen Staatenbunde, den sie erst bekriegt hatten, Theil, wurden aber, da die Römer sich schon sehr in Griechenland ausbreiteten, zugleich mit der Zerstörung dieses Bundes (146 und 145 vor christl. Zeitrechn.) unter die Herrschaft der Römer gebracht; und ihre Existenz in der Reihe der Staaten, die sie über sieben Jahrhunderte der Verfassung Lykurgs ziemlich getreu behauptet hatten, ging zu Ende. – Doch wir wollen nun diese Verfassung selbst, mit Hinweglassung aller die Person ihres Stifters betreffenden Umstände (s. Lykurgus) betrachten.
[349] Lykurg behielt die zwei zugleich regierenden Könige aus zwei Häusern bei, ließ ihnen bloß das Commando über die Armee, das Recht, Gesetze vorzuschlagen, und die Hauptzweige der vollstreckenden Gewalt, setzte ihnen aber einen Senat oder Staatsrath von 28 Geronten, d. h. Greisen, als Rathgeber und Inhaber der richterlichen Gewalt an die Seite, die zugleich den Anmaßungen der königlichen Macht (die jedoch ohnehin wegen der Eifersucht beider regierender Häuser nicht sehr um sich greifen konnte) vorbeugen, und alle Geschäfte durch Stimmenmehrheit mit den Königen zugleich, denen dabei kein Vorrecht als doppelte Stimmen gegeben war, entscheiden sollten. Das Volk hatte in seinen öffentlichen Versammlungen das Recht, die Schlüsse des Senats unbedingt anzunehmen oder unbedingt zu verwerfen. – 150 Jahre nach Lykurg setzte man zwischen Senat und Könige noch eine dritte Würde, die Würde der fünf Ephoren, welche die Rechte des Volks gegen den Senat schützen, und über alles eine Oberaufsicht führen sollten: allein aus der Aufsicht erwuchs die größte Herrschaft über Senat und Könige; und sie entrissen beiden die meisten Rechte, besonders den Königen die vollstreckende Gewalt. – Die Einwohner wurden von Lykurg in Spartaner oder Bewohner der Hauptstadt (welche die vornehmsten waren), Lakonier oder Provinzbewohner, und Sclaven getheilt; mitten zwischen den beiden letztern standen die Heloten, welche bloß persönliche Freiheit und beinahe gar keine bürgerlichen Rechte hatten, auch, besonders von der Jugend, außerordentlich gemißhandelt wurden. Alles war so eingerichtet, daß selten oder nie ein Bürgerkrieg entstehen konnte. – Aeußerst wichtig sind besonders die Mittel, die der Gesetzgeber wählte, um einen Staat zu begründen, der ohne Reichthum und politische Kunstgriffe, ohne Allianzen und ungeheure Heere, bloß durch die Tapferkeit, Frugalität und Tugend der Einwohner bis in die spätesten Zeiten blühend und furchtbar bliebe. Er machte den strengsten Gehorsam gegen sein Gesetz, die größte Mäßigkeit und größte Tapferkeit zu den vorzüglichsten Bürgerpflichten und den Grundsäulen des Staatswohls. Er erweckte den lebhaftesten Enthusiasmus für seine Gesetze und für das Vaterland; und um die große [350] Mäßigkeit zu erhalten, verbannte er jeden Gegenstand des Luxus, verbot Gold, Silber, Handlung, Schifffahrt und Reisen in fremde Länder, verweigerte Ausländern den Zugang zu Lakonien, untersagte, um von allen Seiten die Gelegenheit zur Verschwendung zu entfernen, alle Privatmahlzeiten, und führte sehr sparsame öffentliche ein, an denen Könige, Rath und Volk zugleich Theil nahmen: endlich vertheilte er, um Eigennutz und Habsucht ganz zu verbannen, alle Güter zu gleichen Theilen unter die Staatsbürger; und wirklich erhielt sich aus Eifer für das Gesetz und aus wahrer, edler Simplicität des Volks diese Vertheilung, die unter andern Verhältnissen Chimaire sein würde, mehrere Jahrhunderte ziemlich rein. Knaben und Mädchen wurden zu gymnastischen Uebungen angehalten: erstere wurden vom siebenten Jahre an den Aeltern genommen, und unter der strengsten Aufsicht des Staats öffentlich in den Gesetzen, der Gymnastik und Kriegskunst unterrichtet, und mehr als alle andere Griechen abgehärtet; auch übertrafen sie als Männer in der Taktik und Tapferkeit alle übrigen Einwohner Griechenlands. Der ganze Staat, arm an Wissenschaften und leer an Künsten des Friedens, glich einem beständigen Feldlager; und Krieg, Gesetz und Vaterland waren die einzigen Punkte, um die sich ihr kleiner Ideenkreis drehte. Ohne den großen Zwang zu ahnen, der ihre Geister zurückhielt, wähnten sie sich frei; sie waren glücklich, weil sie glücklichere Völker nicht kannten; sie waren mächtig und unbezwinglich, weil sie arm waren. Reichthum und Bekanntschaft mit andern Nationen mußten ihnen die Augen über ihre eigne Zurücksetzung öffnen, aber auch zugleich die großen Motiven zur Tapferkeit und die enthusiastische Vaterlandsliebe entkräften, mußten Wollust und Entkräftung herbeiführen, und den Abgrund öffnen, welcher zuletzt den Staat verschlang. Die Spartaner konnten nur so lange Großes wirken, als die Griechischen Staaten noch in ihrer Unmündigkeit blieben; und unter jedem andern Verhältnisse wäre die Existenz eines solchen Volks beinahe unmöglich gewesen: am wenigsten konnten die Neufranken jenes edle Volk nachahmen, die sich in den Zeiten des größten Vandalismus für neue Spartaner gehalten wissen wollten. – Niemand hat wohl Lacedämons Verfassung [351] mit mehr Geist und Annehmlichkeit geschildert als Barthelemy im vierten Th. der Reisen des jungen Anacharsis.