[419] Ludwig der vierzehnte, König von Frankreich, geboren 1638. Dieser merkwürdige Monarch, welcher sein Reich in der Mitte seiner Regierung auf den höchsten Gipfel von Kraft, Wohlstand und Glanz [419] gehoben, aber gegen das Ende derselben es eben so sehr wieder im Sinken und schon von fern seinem Falle sich nahen sah, wurde von seinen Zeitgenossen mit dem Namen des Großen beehrt; ein Zuname, den man ihm in den neuern Zeiten zwar mit Recht, aber dennoch mit zu vieler Bitterkeit wieder entrissen hat. Es ist wahr, Ludwig XIV. war kein großer Geist; allein dennoch war er gewiß nicht ohne Talente so wie nicht ohne Kenntnisse (wiewohl sein Geist sich erst spät aber schnell entwickelte, indem er in seiner frühern Jugend allgemein für einfältig und unternehmungslos gehalten wurde). Viele große Unternehmungen, welche seine Regierung bezeichneten, sind das Werk der großen Männer, welche ihm dienten: allein, wenn man auch auf keinen Fall sagen kann, daß er diese Männer gebildet habe, so wußte er doch sie zu gebrauchen; und wenn er gegen das Ende seiner Regierung in der Beurtheilung seiner Minister weniger glücklich zu sein schien, so war wohl hieran zum Theil seine Eitelkeit schuld, vermöge der er sich das meiste von seiner eignen Wirksamkeit versprach, wiewohl er nur zu gern Andern zu folgen pflegte. Er unternahm viel Tadelnswerthes; aber zu mehrern davon wurde er zum Theil durch Hintergehung verleitet, wie zur Aufhebung des Edicts von Nantes (s. Ed. v. Nantes). Er war eitel, herrschsüchtig, Despot im vollsten Sinne des Worts; fast alle Europäischen Staaten wurden von ihm beleidigt, und in seinem Reiche vollendete er die Despotie: indeß sichert ihn gewiß die Kühnheit seiner Plane und der Muth, mit dem er dieselben ausführte, vor Geringschätzung. Er hatte mehrere Maitressen, unter denen die Herzogin von Valiere, die Marquise von Montespan und die Herzogin von Fontange die merkwürdigsten sind (denn die berühmte Frau von Maintenon, Witwe des Dichters Scarron, wurde 1684, wiewohlheimlich, mit ihm vermählt); allein er war kein grober Wollüstling. Er war im Umgange sehr liebenswürdig und besaß viele Feinheit des Betragens; in Rücksicht auf die Religion war er, wenigstens oft, sehr andächtig. Einstimmig können übrigens Gelehrte und Künstler das Zeitalter Ludwigs XIV. das goldne nennen, da in demselben auf der einen Seite die Natur eine Menge großer Männer hervorrief, auf der andern Ludwig, wenn auch großen Theils nur aus Eitelkeit, [420] besonders unter der Administration und auf Veranlassung des großen Colbert, Künste und Wissenschaften sehr beförderte. Wer kennt nicht die Namen eines Boileau, Corneille, Descartes, Despreaux, Fenelon, la Fontaine, Moliere, Racine u. A. die sich als Schriftsteller, und eines le Brun, Girardon, Lulli, Mansard, le Notre (s. Gartenkunst) u. A. die sich als Künstler unter Ludwigs Regierung auszeichneten? – Ludwig XIV. (welcher von den Franzosen nach einer zwei und zwanzigjährigen Unfruchtbarkeit der Königin als ein Geschenk des Himmels betrachtet und daher Dieu-donné, der von Gott gegebene, genannt wurde) war fünf Jahr alt, als sein Vater, Ludwig XIII. starb (1643). Die Königin Mutter, eine Spanische Prinzessin, ließ sich zur Vormünderin erklären, und übergab den jungen Prinzen der Oberaufsicht des Cardinals Mazarin, welcher das Ruder des Staats führte. Die auswärtigen Geschäfte gingen während Ludwigs Minderjährigkeit vortrefflich; der Krieg mit Spanien wurde, vorzüglich durch den großen Condé, sehr glücklich geführt, und 1648 der vortheilhafte Friede zu Osnabrück und Münster mit dem Kaiser geschlossen (s. Elsaß). Desto mehr wurde das Reich im Innern durch die fünfthalbjährigen Unruhen erschüttert (1648 bis 1653), welche unter dem Namen der Fronde bekannt sind (s. Fronde), deren Zweck der Sturz von Mazarin war, und welche sich erst ein reichliches Jahr nach des Königs Erklärung seiner Volljährigkeit (1651), und zwar mit einem glorreichen Einzuge des Cardinals in Paris, endigten. Der König war nunmehr zwar volljährig, allein er überließ dem Cardinal Mazarin bis an seinen Tod (1661) die ganze Leitung der Geschäfte. Im Jahr 1659 wurde mit Spanien der Pyrenäische Friede geschlossen, in welchem Spanien außer Roussillon und einigen andern Oertern einen großen Theil Belgiens an Frankreich abtrat, und überdieß Ludwig die älteste Infantin zur Gemahlin erhielt (sie starb 1683). So glücklich Mazarin die auswärtigen Geschäfte des Reichs geführt hatte, so sehr hatte er die innern Angelegenheiten desselben vernachlässigt; es war daher ein so viel größeres Glück für Frankreich, daß nach dem Tode des Cardinals der große Colbert das Finanzfach [421] überkam, dessen ein und zwanzigjährige Bemühungen das Reich in einen allgemeinen Wohlstand versetzten (s. Colbert). Diesem vortrefflichen Manne kam bei seinen Unternehmungen (die er jedoch, wie die andern Minister ihre Angelegenheiten, dem Könige unmittelbar referiren mußte) auch dieses sehr zu Starten, daß nach Beendigung des Spanischen Krieges Frankreich mehrere Jahre hindurch Frieden genoß, bis der herrschsüchtige Ludwig nach dem 1665 erfolgten Tode Philipps IV. Königs von Spanien, seines Schwiegervaters, kraft eines so genannten Devolutionsrechts (welches ein Privatgesetz in einem Theil der Niederlande war, keinesweges aber als Staatsgesetz auf die Erbfolge in diesen Staaten selbst angewandt werden konnte) Prätensionen an die Spanischen Niederlande machte, worauf Holland mit England und Schweden 1668 zur Rettung der Niederlande eine Tripelallianz schloß, durch welche nach zwei siegreichen Campagnen Ludwigs XIV. der Aachner Friede (d. 2. Mai 1668) zu Stande kam. Wiewohl Ludwig in diesem Frieden die eroberten Niederländischen Plätze behielt, so hatte er doch sein Project auf ganz Belgien aufgeben müssen; und da er dieses der erwähnten Tripelallianz zuschrieb, so beschloß er einen Rachekrieg gegen Holland, nachdem er vorher England und Schweden von ihrer Verbindung mit dieser Republik loszureißen und so sehr auf seine Seite zu bringen gewußt hatte, daß sie sich selbst (England gleich im Anfange, Schweden erst später) mit ihm vereinigten. Dieser ohne alle Rücksicht auf Frankreichs Handel, dem er sehr nachtheilig ward, unternommene Krieg, in welchen bald auch Spanien, der Kaiser und Brandenburg wider Frankreich eintraten, dauerte von 1672 bis zu dem 1678 und 1679 geschlossenen Nimweger Frieden, in welchem Holland, gegen das doch der Krieg eigentlich gerichtet war, nicht das Mindeste verlor, Ludwig XIV. hingegen von Spanien die Grafschaft Burgund (Franche-Comté), welche der König von Spanien bisher als Zubehör des Burgundischen Kreises unter der Hoheit des Deutschen Reichs besessen hatte, und sechzehn schöne Niederländische Plätze unter seine Hoheit bekam. Noch ist bei diesem Kriege zu bemerken, daß Ludwig in demselben seine beiden größten [422] Feldherren, Turenne und Conde verlor; der Erstere blieb 1675 bei Sasbach; der Zweite begab sich 1676 wegen seiner podagrischen Umstände zur Ruhe: doch hatte Ludwig immer noch einen Catinat, Crequi, Luxenburg, Schomberg und Vanban. Nach dem Nimweger Frieden wäre es sehr heilsam für Ludwig gewesen, in seinen Vergrößerungsplanen inne zu halten: allein man hatte vollen Grund, die biblische Redensart auf ihn anzuwenden, »er ging umher wie ein brüllender Löwe, und suchte, welchen er verschlinge;« er fing unmittelbar darauf die so genannten Reunionen »Wiedervereinigungen« an. Es waren nehmlich in den drei letzten Friedenstractaten an Frankreich eine Menge Plätze mit allen deren Dependenzen abgetreten, jedoch durch keine Gränzcommission ausgemacht worden, was zu diesen Dependenzen gehöre; Ludwig legte daher zu Metz und Breisach i. J. 1680 Reunionskammern an, die ihm in Form Rechtens alles zusprechen mußten, was nur einiger Maßen zu diesen Dependenzen gerechnet werden konnte, und welches große Districte an den Niederländischen und Deutschen Gränzen ausmachte. Gern hätte sich Ludwig auch Strasburg zusprechen lassen; da aber selbst die Reunionskammern keinen förmlichen Anspruch darauf erheben konnten, so wurde dieser wichtige Ort in der Stille mit so vielen Französischen Truppen umsetzt, daß er sich 1681 auf die an ihn geschehene Aufforderung ohne Schwertschlag ergab. Zwar erhoben sich vorzüglich Spanien und das Deutsche Reich dagegen; beide fanden es aber gerathen, i. J. 1684 einen zwanzigjährigen Waffenstillstand mit Ludwig XIV. einzugehen, in welchem dieser einstweilen außer Strasburg, Luxenburg u. a. alle bis den 1. Aug. 1681 reunirte Oerter behielt. Unterdessen war 1683 Colbert gestorben, dessen Tod man als den Zeitpunkt ansehen kann, von welchem an Frankreich eben so schnell wieder zu sinken anfing, als schnell es sich unter seiner Verwaltung gehoben hatte. Der erste Schlag, der Frankreich nach Colberts Tode traf, war die auf die gewaltsamsten Bedrückungen der Reformirten erfolgte Aufhebung des Edicts von Nantes (d. 22. Oct. 1688), wodurch das Reich viele Tausende der nützlichsten Unterthanen verlor, wozu der König durch die gemeinschaftlichen Bemühungen der beiden, [423] im übrigen einander entgegengesetzten, Partelen am Hofe, des Staatssecretairs Louvois und der mit dem übrigens gutmüthigen Beichtvater des Königs, la Chaise, in Gemeinschaft handelnden Maintenon gebracht wurde, während Colbert bis an seinen Tod den Ausbruch gewaltthätiger Maßregeln, welche die Auswanderung der Reformirten veranlassen konnten, verhindert hatte. Kurz hierauf wurde Frankreich in einen neuen Krieg verwickelt. Mehrere zusammentreffende Irrungen gaben Ludwig XIV. hinlängliche Veranlassung, trotz des zwanzigjährigen Waffen-Stillstandes, von neuen loszubrechen. Doch schreibt man seinen Entschluß hierzu vorzüglich dem herrschsüchtigen Louvois zu, welcher, durch die Unzufriedenheit, die der König mit einem von Louvois besorgten Bau äußerte, aufgereitzt, zu einem vertrauten Minister die merkwürdigen Worte gesagt haben soll: »der König fängt an, sich um alles bekümmern zu wollen; man muß ihm durch einen Krieg etwas zu thun geben.« Dieser Krieg, den Ludwig neun Jahre hindurch (von 1688 – 1697) gegen Deutschland, Holland, Spanien, Savoyen und England führte, und der sich mit dem Ryswicker Frieden (1697) endigte, in welchem Ludwig alles reunirte, jedoch unter Beifügung einer merkwürdigen Clausel (s. die Ryswicksche Clausel), wieder herausgab, und überdieß Breisach, Freiburg, Kehl und Philippsburg und alle kleinere diesseits des Rheins von Frankreich angelegte Festungen an Deutschland abtrat. Wiewohl Ludwig in dem ganzen Kriege offenbar mehr Sieger als Besiegter war, so wollte er doch durchaus Frieden haben; sein nach Colberts Tode vorzüglich durch die Vertreibung der Hugenotten im Innern geschwächtes Reich, besonders auch der Gedanke, daß er bei einem längern Kriege seine Absichten auf die Spanische Erbfolge verfehlen könnte, nöthigte ihn dazu. Den letzten Punkt betreffend (dessen weitläuftigere Erzählung der Artikel Spanischer Successionskrieg enthält), so ereignete sich der von Ludwig berechnete Fall, der Tod Carls II. Königs von Spanien, zu Ende des Jahrs 1700. Ludwig hatte schon vor Carls II. Tode mit England und Holland wegen der Spanischen Erbfolge Theilungs-Tractate geschlossen, Carl II. hingegen, nach dem zweiten dieser Tractaten, [424] Ludwigs Enkel, Philipp von Anjon, in einem geheimen Testament zum alleinigen Erben eingesetzt. Ludwig hielt sich nach Carls II. Tode an dieses Testament, wodurch er in den eilfjährigen Spanischen Erbfolgekrieg (1702–13, verwickelt wurde, den er überdieß durch die wider den Ryswicker Frieden laufende Anerkennung des Englischen Prätendenten (des Sohns des vertriebenen Königs Jacobs II.) beschleunigte. Ludwigs Finanzen waren in großer Unordnung; auch hatte er jetzt viele seiner großen Männer im Cabinet wie im Felde verloren, da hingegen seine zahlreichen Feinde – England, Holland, der Kaiser, Preußen, das Deutsche Reich, Portugal und Savoyen – ihm zwei der größten Feldherren, einen Eugen und Malborough entgegensetzen konnten. Frankreich litt erstaunend durch diesen Krieg, der sich endlich, nachdem Ludwig mehrmahls Frieden angeboten hatte, welcher aber wegen der zu harten Bedingungen seiner Feinde nie zu Stande kam, durch die Vereinigung mehrerer glücklicher Zufälle für Frankreich, vorzüglich durch die 1710 erfolgte Veränderung im politischen System von England, vermittelst der Friedensschlüsse zu Utrecht (1713), Rastadt und Baden (1714) endigte, in welchem Ludwig zwar einiges an England, Holland und Savoyen abtrat, seinen Enkel hingegen (jedoch gegen Renunciationen zur Verhinderung einer künftigen möglichen Vereinigung der Spanischen und Französischen Kronen) unter dem Namen Philipp V. als König von Spanien anerkannt sah. – Der innere Wohlstand des Französischen Reichs war durch diesen Krieg (in welchem allein die Ausgaben des Jahrs 1712 sich auf 345 Mill. Livres beliefen) ganz zu Grunde gerichtet worden; auch häusliches Unglück verbitterte die letzten Jahre Ludwigs XIV. welchem binnen zehn Monathen eine Dauphine und drei Dauphins starben, und der letzte übrige, der nachherige Ludwig XV. gefährlich erkrankte. Er starb endlich d. 1. Sept. 1715, nachdem er noch vor seinem Tode durch die Veranlassung der Bulle Unogenitus (s. diesen Art.) heftige Bewegungen in seinem Reiche vorbereitet hatte, und hinterließ eine Schuldenlast von 2000 Millionen Livres alter Währung, nach dem jetzigen Werthe der Münze über 3000 Millionen. Nur wenige Franzosen beweinten seinen Tod.
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