Martin Luther

[438] Martin Luther wurde 1483 zu Eisleben geboren. Seine Lebensumstände sind zu bekannt, als daß sie hier einer weitläuftigern Erörterung bedürfen sollten;[438] jeder wahre Anhänger des Protestantismus kennt den muthigen Stifter dieses Glaubens ohnedieß, und darf daher nur an einige Hauptbegebenheiten aus dem großen Werke der Reformation erinnert werden, um sich zu dem innigsten Dankgefühl gegen ihren wohlthätigen Urheber aufs neue zu beleben. Daß Luther, ohne sonderliche Unterstützung und ohne eine bessere und gelehrtere Erziehung vor seinen Zeitgenossen erhalten zu haben, sich bis zu dem Geschäft eines Kirchenverbesserers aufschwingen, und es mit eben so viel Gelehrsamkeit als Standhaftigkeit ausführen konnte, beweist unwidersprechlich, daß er von Jugend an die trefflichsten Anlagen gehabt, und sich frühzeitig Muth und Seelengröße zu eigen gemacht haben müsse. Er hatte sich zuerst auf der Universität zu Erfurt aufgehalten, ging aber 1508 nach Wittenberg, welches wegen verschiedener berühmter Lehrer in mancherlei Wissenschaften als hohe Schule in Deutschland Aufsehen zu machen anfing. Die bekannten Streitsätze, die er am 31. Oct. 1717 gegen den bekannten Ablaßkrämer Tetzel aufschrieb, sollten der Absicht ihres Verfassers zu Folge sicherlich nicht die Losung zur Kirchenreformation sein, und würden niemahls die wichtigen und wohlthätigen Wirkungen gehabt haben, wenn man nicht mit blindem Eifer gegen Luthern losgedonnert, ihn in die fürchterliche Gemeinschaft der Ketzer gesetzt und seinen Unternehmungen dadurch selbst ein größeres Gewicht beigelegt hätte, als er damit verbunden wissen wollte. Wenn Könige und Fürsten, wenn der damahls noch alles vermögende Papst die Meinungen und Sätze eines Wittenbergischen Mönchs für so allgemein verderblich und dem Wohl der Kirche nachtheilig ansahen, mußte er sich dann nicht selbst eine größere Wichtigkeit beilegen und zur Ausführung der Kirchenverbesserung gleichsam berufen fühlen? – Das Volk wurde durch solche gewaltsame Vorkehrungen aufmerksam, und folgte den Satzungen Luthers um so williger, je mehr es die Geistlichkeit wegen ihrer ärgerlichen Sitten haßte und die Gräuel der päpstlichen Herrschaft verabscheute. Die Standhaftigkeit, womit Luther allen Schrecknissen des Bannstrahls trotzte, und der Muth, mit welchem er vor geistlichen und weltlichen Herren auftrat, und die schwachen Gründe der einen sowohl als die mächtigen Drohungen der andern entkräftete, [439] verschafften ihm immer mehrere Freunde und zahllose Anhänger. Seine Uebersetzung der Bibel, seine Schriften für den Religions-Unterricht der Jugend gewannen ihm die Herzen derjenigen, welche keine Gelegenheit hatten, seine kraftvolle Beredsamkeit zu hören und sich aus seinen kernigten mündlichen Vorträgen zu erbauen. Bis auf den letzten Tag seines Lebens (d. 18. Febr. 1546) konnte er sich der glorreichen Wirkungen keines Unternehmens freuen und die Zahl der echten Gottesverehrer immer zunehmen sehen. Aber freilich würde das Licht der Wahrheit noch heller geleuchtet und seinen wohlthätigen Glanz weiter um sich her verbreitet haben, wenn nicht die unseligen Zwiste mit den Anhängern Calvins und der übrigen Schweizer-Reformatoren den Fortgang der guten Sache gehindert und den Katholiken Waffen dagegen freiwillig in die Hände gegeben hätten. Luthers jähe Hitze und zu große Beharrlichkeit auf einmahl gefaßten Meinungen nahm einige Männer von Bedeutung, z. B. den Erasmus, gegen die Reformation ein, und schadete offenbar der guten Sache so sehr, als sein übertriebener Glaube an die Wirkungen böser Geister, von welchem er sich, der herrschenden Denkart seines Zeitalters gemäß, nicht losreißen konnte. Aber diese kleinen Flecken in Luthers Denkungsart können ihm doch nichts von der Bewunderung rauben, womit die späteste Nachwelt seine Verdienste noch belohnen wird. Möchten doch die verschiedenen Auszüge, die seit einigen Jahren aus seinen Schriften gemacht worden sind, recht viel dazu beitragen, daß die Bemühungen dieses großen Mannes immer dankbarer erkannt und seine Anweisungen und Winke öfterer beherzigt würden.

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Brockhaus Conversations-Lexikon Bd. 2. Amsterdam 1809, S. 438-440.
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