Ritterspiele

[288] Ritterspiele, oder Turniere, (aus dem Französischen Worte: tourner, sich wenden, sich herumdrehen) sind vielleicht so alt, als selbst der Gebrauch der Waffen. Es waren aber diese Ritterspiele ursprünglich nicht das, was sie in der Folge der Zeit geworden sind. Bei Entstehung derselben hatte man keine andre Absicht, als diejenigen jungen Leute, welche etwa für den Krieg bestimmt waren, zu üben, und sonach zu ihrem künftigen Dienste sie zu bilden, ohne dabei auf die äußern Verhältnisse ihrer Geburt sehr zu sehen, ob nehmlich solche jungen Streiter aus einer ältern oder minder alten Familie abstammten, und ob mehrere oder wenigere von ihren Vorältern schon als Krieger aufgetreten waren; nur freigeboren mußten sie sein. Endlich aber erhielten im 12. Jahrhunderte jene alten Ritterspiele, Turniere, in Deutschland eine ganz andre Gestalt; sie mußten ordentlich gesetzlich, ja gewisser Maßen zunftmäßig gehalten werden. Diese neue Einrichtung der Ritterspiele rührt [288] wahrscheinlich aus Frankreich her. Nach dieser neuen und gewisser Maßen strengen Einrichtung aber waren sie nicht bloß mehr Uebungen der künftigen jungen Krieger, sondern auch zugleich ein unterhaltendes Schauspiel der Vornehmern, ja sogar das Schauspiel des Kaisers. Es wurden Gesetze entworfen und festgesetzt, welche bei diesen Spielen genau beobachtet werden mußten, und wornach die bei denselben vorgegangnen Fehler gerügt und streng bestraft wurden. So schränkte sich aber auch das Recht, an dergleichen Ritterspielen Theil zu nehmen, nun bloß aus das Alter der Familien, oder auf die Geburt ein; denn ein jeder, der hier als Ritter erscheinen und mit andern Rittern turnieren wollte, mußte durch die Ahnenprobe beweisen, daß er von turniermäßigem Adel sei: kurz, das Recht, an Turnieren Theil zu nehmen, wurde seit dieser Zeit ein persönliches Vorrecht des alten Adels. Gleichwie aber in Deutschland noch bis auf den heutigen Tag der Adliche, wenn er in gewissen Fällen und zu gewissen Behufen, z. B. wenn er in ein Hochstift, oder zu einer Hofstelle auf- und angenommen werden will, die Echtheit und Reinheit seines Adels zu beweisen nöthig hat, die Ahnenprobe von väterlicher und mütterlicher Seite machen muß: so mußten auch die Ritter jener Zeiten schon, bloß um der Turniere willen, in unserm Deutschlard ihre Ahnenprobe von beiden Seiten ablegen; mithin mußte ein jeder Adliche, wenn er sich in eine Turniergesellschaft aufnehmen lassen wollte, beweisen, daß der Adel beider Aeltern gut sei, da im Gegentheil jeder Flecken der Geburt, auf des Vaters oder auf der Mutter Seite, ihn von den Turnieren ausgeschlossen haben würde.

In Frankreich war man bei der abzulegenden Ahnenprobe gleich anfangs minder streng; und es war von jeher eine einseitige Ahnenprobe hinlänglich, nehmlich man sah bloß auf die Echtheit des Adels auf des Vaters Seite. Diese einseitige Ahnenprobe ist auch in der Folge der Zeit, und so lange in Frankreich bei gewissen adlichen Ehrenstellen man ausschließend auf den alten Adel gesehn hat, hinlänglich geblieben, das heißt, bis zur jetzigen gänzlichen Umwälzung des Französischen Staats.

Und da jene Ritterspiele ordentlich zunftmäßig behandelt wurden, so gab es auch hierbei, so wie bei Zünften, gewisse Stufen, nehmlich es mußte der junge vom Adel, wenn er [289] in eine Turniergesellschaft aufgenommen worden war, erstlich Lehrling werden, dann Knappendienste verrichten, und endlich konnte er als wirklicher Ritter bei den Spielen erst erscheinen, nachdem er zuvor dafür erklärt worden war, welches bei dem feierlichen Ritterschlage geschah.

Daß endlich diese Ritterspiele nach und nach abgekommen, haben folgende Ursachen bewirkt: 1) die verschiednen Verbote, die der Papst wegen solcher zu erlassen für nöthig befand, indem diese Spiele zeithero meist nur Anlaß zu Fehden und Gewaltthätigkeiten gegeben hatten, 2) der unter dem Kaiser Carl IV. aufgekommene Briefadel; denn man konnte durch diesen die Rechte eines Ritters zu Schild und Helm erhalten, so gut, als durch jene zunftmäßigen Ritterdienste, und 3) die veränderte Art Krieg zu führen, seit Maximilian I., wo nun stehende Armeen aufzukommen anfangen.

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Brockhaus Conversations-Lexikon Bd. 4. Amsterdam 1809, S. 288-290.
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