Romantisch

[326] Romantisch. Da die meisten Romane die Menschen und Begebenheiten nicht so schildern, wie sie in der Natur und in der wirklichen Welt erscheinen, sondern so, wie sie nach einem ästhetischen oder moralischen Ideale sein sollten, oder wie sie die oft überspannte Phantasie des Dichters sich erträumt; so nennt man romantisch, im guten und schlimmen Sinne, alles, was entweder durch idealische Vollkommenheit, oder durch abenteuerliche Seltsamkeit und Verschrobenheit von dem Gewöhnlichen abweicht. So heißt ein Gesicht romantisch, wenn es bei dem sanften Ausdrucke von Unschuld, Zärtlichkeit, Offenheit ein reitzbares Gefühl für Freundschaft, Liebe, Menschlichkeit verräth – eine Gegend, eine Lage, wenn ihre erhabnen oder rührenden Schönheiten nicht durch blinde Naturkraft zusammengestellt, sondern nach einem künstlichen Plane zu Erweckung sanfter oder erhabner Empfindungen absichtlich angelegt scheinen – ein Charakter, in dem Neigung zum Ungewöhnlichen, Freundschaft, Liebe, Patriotismus, hoher Glaube an die Tugend oder Erwartung eines seltsam glücklichen Ausgangs wohlgemeinter Unternehmungen u. s. w. oder auch schlichte Sitteneinfalt, Vernachlässigung des Herkommens, der Mode, der Formalitäten, der Hofsitte in den Handlungen des gemeinen Lebens, vornehmlich aber in der Wahl des Standes, des Gatten, der Freunde hervorstechend sind. Allerdings kann sowohl der Hang zu idealisiren, als die treue Anhänglichkeit an die Natur auf Abwege verleiten, jener kann unter das gewöhnlich Gute herabsinken lassen, welches er zu überfliegen, diese von der Natur entfernen, welcher er anzunähern strebt; allein die [326] Grundlage des Romantischen ist edel und schön. In der wirklichen Welt, d. h. in der Welt der gemeinen Menschen, die durch Eigennutz, Gewohnheit – Vorurtheil regiert wird, verstößt freilich ein romantischer Sinn mit jedem Schritte. Flache seelenlose Weltleute, Schlendriansmänner, die da in der Meinung stehen, alles müsse so sein, wie es bisher war und noch ist, glauben daher, einen uneigennützigen Charakter, ein edles Streben, sich und die Menschheit zu vervollkommnen, nicht leichter herabwürdigen zu können, als durch den Vorwurf des Romantischen.

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Brockhaus Conversations-Lexikon Bd. 4. Amsterdam 1809, S. 326-327.
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