[327] Romanze, ist jetzt in unsrer Sprache gleichbedeutend mit Ballade, so wie sie es ursprünglich mit Roman war. Alle westliche Europäischen Sprachen, die aus einer Vermischung des Lateins mit den Sprachen, der von den Römern unterjochtrn, oder später von Osten her eingewanderten Völker entstanden waren, wurden im Mittelalter Römansche genannt; insbesondre aber bezeichnete man mit diesem Namen das Provenzalische Idiom – ein verdorbnes und verstümmeltes Latein, in welchem die ersten dichterischen Versuche der neuern Zeit gemacht wurden, so wie noch jetzt ein in gewissen Gegenden Graubündens übliches Afterlatein die Romanische Mundart benannt wird. – Man legte nachher den Namen der Sprache gewissen kürzern Gedichten bei, dergleichen schon früher in Spanien, England u. s. w. vorhanden waren. Es sind dieses erzählende Lieder aus der frühesten Epoche der sich entwickelnden, und kaum der Barbarei entwachsnen Cultur: daher ist Einfalt, Natur, gutmüthiger Aberglauben ohne Fanatismus, Unbekanntschaft mit gelehrten Begriffen, Reinheit, aber Rohigkeit der Sitten, treuherziger Biedersinn der Geist, welcher darin athmen muß. Die Romanze kann daher scherzhaft und rührend, aber satyrisch und ironisch darf sie nicht sein, wenn sie nicht ihren Geist verläugnen will. Das Metrum ist simpel und singend. Der Effect der Romanze ist langsame, immer zunehmende Rührung. Nach Rousseauʼs Urtheil ist er am stärksten, wenn die Ballade bloß gesungen, er verliert sich, wenn sie mit Instrumenten begleitet wird. Liebe und Heldenthaten waren ihr frühster Stoff. In Frankreich wurde sie zuerst vom Roman. so wie dieser von der Novelle genau unterschieden. In Italien nannte man [327] Romanzen auch größere Gedichte, zu welchen das Ritterwesen den Stoff hergab. Die Spanier haben die meisten und mannigfaltigsten Romanzen gesungen; selbst traurige und religiöse Gegenstände kleideten sie in diese Form. Die besten sind von Alonso de Fuentes. Ohne Grund schreibt man die Einführung dieser Dichtart zugleich mit dem Reimeden Arabern zu, die so viele Jahrhunderte in Spanien hausten. Die Natur führt den Menschen, der auf einer niedrigen Bildungsstufe steht, von selbst auf diesen Ausdruck der Empfindung, der sich so gern an Melodie anschließt. Inzwischen mag die Vermischung mit dem hochherzigen, tapfern und verliebten Volke der Araber der Spanischen Muse manchen Stoff geliefert haben. – Die ältern Franzosen kannten die Romanze unter diesem Namen nicht. Voiture brachte sie in Aufnahme. Die bessern sind von ihm Statt des: Moncrif, Fabredʼ Eglantine, Florian, Berquin; doch sind die Französischen Romanzen, wovon jetzt die Musenalmanache wimmeln, selbst jene bessern nicht ausgenommen, zu galant und zu sehr mit dem Gepräge der modischen Verfeinerung und Verbildung gestempelt. – Die ältesten Englischen Romanzen sind aus der Regierung der Kön. Elisabeth. Die spätern trafen den wahren Ton nicht, oder durften ihn nicht anschlagen, wenn sie mit dem üppigen, verderbten, überpolizirten Zeitalter Carls I. und noch mehr Carls II. nicht im Mißklange stehn wollten. Nachher sank die Romanze zum platten Volksliede herab. Die besten Engl. sind von Prior, Goldsmith, Neil, und Peray. – Deutschland hat Gedichte dieser Art gehabt, lange ehe der Name Romanze gehört wurde. Das älteste bekannte ist ein Volkslied auf Landgr. Ludwig von Thüringen, vom Jahr 1123. Ihm folgten unzählige im Hoch- und Plattdeutschen Dialecte. Zuerst wurden sie von Gleim unter dem Namen Romanze aufgeführt. Diesem nebst Bürger, Zachariae, den Grafen zu Stolberg, Pfeffel, Claudius, Mahler Müller, Langbein haben wir die besten Deutschen Balladen zu verdanken; über alle ragt Bürger hervor.