[45] Sanctio pragmatica hieß bei den Römern unter der kaiserlichen Regierung ein solches Rescript, das der Kaiser auf ein von einer Gemeinheit (universitas) an ihn gerichtetes Gesuch erließ, in welchem er dasselbe entweder bewilligte oder abschlug. Der Grund, daß ein solches kaiserliches Rescript ausschließungsweise S. pragmatica genannt wurde, war, weil die Kaiser, ehe sie auf einen solchen Antrag resolpirten, porher [45] denselben ihren Ministern und Räthen vorlegten, damit sie als Leute von Kenntnissen und Erfahrungen, die gleichsam in die Regierungsgeschäfte eingeweiht waren, und welche in der Lateinischen Sprache pragmatici genannt werden, ihr Gutachten darüber gäben.
In Deutschland endlich muß man dem Ausdrucke Pragmatische Sanction in historischer und staatsrechtlicher Hinsicht einen von der Hauptbedeutung sehr abweichenden Begriff unterlegen. Kaiser Karl VI. nehmlich traf zum Vortheil seiner weiblichen Descendenz im Jahre 1713 die Verfügung, daß, im Fall et ohne männliche Nachkommen versterben würde, in seinen gesammten Oesterreichischen Staaten (welche zwar schon Weiberlehen waren; wo aber wegen der eigentlichen Successionsordnung noch nichts Verbindliches festgesetzt worden war) künftig auch unter seinen Prinzessinnen das Recht der Erstgeburt gelten, und daß nur erst nach gänzlichem Abgange seiner Töchter und deren männlicher und weiblicher Descendenz die Succession auf die beiden Töchter seines ältern verstorbenen Bruders, Kaiser Josephs I. und endlich auch nach deren Abgange an die Descendenz der Leopoldischen Prinzessinnen, zuletzt aber an die weiblichen Nachkommen Ferdinands I. kommen sollte. Dieser Verfügung nun legte man um deßwillen den vielbedeutenden Namen Pragmatische Sanction bei, weil es ihrem Urheber nur erst mit vieler Mühe und Anstrengung, ja mit nicht ganz unbedeutenden Aufopferungen, gelang, sowohl den Beitritt der nächsten und wichtigsten Interessenten, des Churfürsten von Baiern, nachherigen Kaisers Karl VII. so wie des Königs von Pohlen und Churfürsten von Sachsen, August II. an welche die beiden Josephinischen Prinzessinnen vermählt waren, derselben zu verschaffen, als auch die Garantie der größten Monarchen, z. B. des Kaisers von Rußland, der Könige von Preußen, Frankreich, Spanien und der gesammten Stände des Deutschen Reichs zu erhalten. So gut nun also auch Karl VI. durch diese Sanction und die darin eingeführte weibliche Primogenitur dem nach seinem Tode zu befürchtenden Regredient Rechte vorgebaut und für seine Prinzessinnen und deren Descendenz gesorgt zu haben glaubte; so wurde doch zwei Jahre nach seinem Hintritte diese Sanction von den beiden[46] Josephinischen Schwiegersöhnen, dem Churfürsten von Baiern und dem König von Pohlen, (1742) angefochten. Maria Theresia, welche nach ihres Vaters Tode von seinen Staaten Besitz genommen hatte, sollte zum Abtritt eines oder mehrerer Länder gezwungen werden. Wie wenig indessen diese Absicht erreicht wurde, darüber sehe man weitläuftiger den Art. Maria Theresia im 3. Th. S. 75.