Stanislaus Leszynski

[344] Stanislaus Leszynski, geb. am 18. April 1677, stammte ans einer der ältesten und angesehensten gräflichen Familien Pohlens ab. Nach dem sehr frühzeitigen Tode seines Vaters succedirte er in die Woywodschaft Posen in Großpohlen, erbte auch die meisten seiner übrigen daselbst gelegenen Städte und Güter. Mit seiner Gemahlin, Catharine Gräfin von Opalinska, welche, nur erst 17 Jahre alt, und eine der reichsten und schönsten Damen Pohlens, sich mit ihm in seinem 21. Jahre (1698) vermählte, zeugte er 1703 Marien Catharinen Sophien Felicitas, nachherige Königin von Frankreich, die Gemahlin Ludwigs XV. Natürlich konnte es einem so vornehmen und reichen Piasten, der eine der vorzüglichsten Woywodschaften in Großpohlen besaß, und mit den bedeutendsten Häusern Pohlens verwandt war, nicht fehlen, unter den Reichsständen sowohl, als bei der ganzen Nation, sich den größten Einfluß zu verschaffen, und zu den höchsten und vorzüglichsten Chargen in der Republik Pohlen zu gelangen. Sehr natürlich, daß Carl XII, König von Schweden, welchem August II. Liefland zu entreißen und an die Krone Pohlen zu bringen gedachte, nach der ganz zum Nachtheil der combinirten Pohlnischen und Sächsischen Armee ausgefallenen Schlacht bei Frauenstadt, die Pohlnischen, mit diesem Kriege höchst unzufriedenen Reichsstände gar bald dahin zu vermögen wußte, August, ihren König, feierlichst abzusetzen – es war dieß sogar eine Bedingung, unter welcher er der Pohlnischen Nation den Frieden zusagte – und bei der neuen Königswahl auf den jungen Leszynski, der ihm durch die bei ihm im größten Ansehen stehenden Häuser, Sapieja und Poniatowsky, ganz besonders war empfohlen worden, Rücksicht zu nehmen: dieß geschah auch wirklich 1704, wo Stanislaus Leszynski zum Könige von Pohlen gewählt, und als solcher zu Warschau ausgerufen wurde. Zwar wäre Carln XII. der Prinz [344] Jacob, ältester Sohn Sobieskiʼs, der sich in dem Türkentriege so rühmlich ausgezeichnet hatte (s. Sobieski), lieber gewesen; allein weil diesen August, noch vor seiner Absetzung, nach Sachsen zu locken gewußt hatte, und die Reichsstände wohl voraussehen konnten, daß, falls sie ihn nach Pohlen zur Königswahl einladen wollten, August ihn nicht aus den Augen lassen würde: so empfahl er, Carl, bei der vorhabenden Königswahl den jungen Leszyuski nicht allein den Ständen, sondern unterstützte ihn auch hernach als rechtmäßigen König von Pohlen sowohl gegen August, als dessen Alliirte, Rußland und Oestreich, aus allen Kräften. – Daß Stanislaus sein Reich in Ruhe und mit Zufriedenheit der gesammten Nation regieren würde, ließ sich gleich bei seiner Thronbesteigung nicht erwarten: denn, abgerechnet, daß schon von der Zeit an, als Pohlen ein Wahlreich geworden war, und Könige aus verschiedenen Häusern den Pohlnischen Thron besessen hatten, es zwischen dieser Nation und ihren Regenten beständige Spaltungen gegeben hatte; so war hauptsächlich hier keine glückliche Regierung vorauszusehen, weil August, noch vor seiner Absetzung, zu Sendomir eine sehr mächtige Conföderation zu Stande zu bringen gewußt hatte, welche weder in seine Absetzung, noch in die Wahl des neuen Königs willigte, vielmehr, nach überstandener Gefahr, alles und jedes, was durch die zu Warschau bestehende Gegenconföderation, deren eigentlicher Urheber Carl XII. war, und die Häuser Sapieja, Poniatowski, Opalinski u. a. m. an der Seite hatte, umstieß und vernichtete. Ueberdieß dauerte ja auch der zwischen Carl und August schon bestehende Krieg noch mehrere Jahre fort, an welchem er, Stanislaus, selbst Theil nehmen mußte. Zwar gelang es Carl gar bald, den bisher in mehrern Gegenden Pohlens geführten Krieg nach Sachsen zu spielen, und August im J. 1707 in dem Friedensschlusse zu Alt-Ranstädt sowohl zur gänzlichen Verzichtleistung auf die Krone Pohlens, als zur Anerkennung des neuen Königs zu nöthigen, so, daß ihm damahls nichts mehr als der königliche Titel übrig blieb1. [345] Allein, kaum war Carl mit seiner Armee aus Sachsen, so fing der Thron des Stanislaus schon an zu wanken; August erklärte gleich den Alt-Ran städter Friedensschluß für null und nichtig, indem derselbe durch Gewalt ihm abgenöthigt, hauptsächlich aber von seinen beiden Ministern, Ingenhof und Pfingsten, welche denselben abgeschlossen hatten, ihre Vollmacht überschritten worden wäre. Auch mußte fast zu gleicher Zeit, auf Augusts Betrieb, jene Sendomirische Conföderation wider Carl und Stanislaus sich regen, und alles und jedes, was jener für diesen gethan hatte, vernichten, ja selbst seine Königswahl für ungültig erklären. Und weil von dieser Zeit an die Schwedischen und Pohlnischen Waffen weniger glücklich waren, und dagen Rußlands Macht in der Zwischenzeit, als so lange Carl in Sachsen gewesen war, sich wieder erholt hatte: so konnte die in Warschau für den Stanislaus bestehende Gegenconföderation nur wenig zu seinem Vortheile thun. Endlich fiel am 27. Juni alten Styls / 8. Juli neuen Styls 1709 die für die Schwedischen Waffen äußerst unglückliche Schlacht bei Pultawa vor, wo alles für Carl XII. verloren ging, aber auch zugleich das ganze Glück des Stanislaus dahin sank. – Dieser König, allen möglichen Gefahren jetzt ausgesetzt, mußte endlich, nachdem August wieder in Pohlen eingedrungen, und Carl XII. in die Türkei nach Bender geflüchtet war, seiner eignen Sicherheit wegen sein Reich verlassen, und zugeben, daß August II. den Pohlnischen Thron wieder besteigen, und solchen bis zu seinem im J. 1733 erfolgten Tode besitzen konnte. Aber nicht nur den königlichen Thron verlor nunmehr der gute Stanislaus durch seine Entfernung, sondern auch sein und seiner Gemahlin bedeutend großes Privatvermögen: denn August zog die sämmtlichen Leszynskischen und Opalinskischen Güter ein, und nur erst unter August III. wurden sie wieder zurückgegeben. Die Flucht dieses unglücklich gewordenen Königs geschah Anfangs nach Zweybrücken (welches Carln XII. gehörte, und [346] durch diesen von Schweden aus regiert wurde), wo er mehrere Jahre mit seiner Familie zubrachte, und von dem berzogl. Zweybrückischen Hause sehr viele ausgezeichnete Freundschaft und königliche Achtung genoß. Endlich aber wendete er sich nach Frankreich, wo Ludwig XV. seine Prinzessin Tochter kennen lernte, und im J. 1725 sich mit ihr vermählte.

Da während der ganzen Regierung dieses Königs Pohlen in einem beständigen unaufhörlichen Kriege sich befand, so können wir ihn weder unter die guten, noch unter die schlechten Regenten dieses Königreichs zählen: denn weder zu guten, noch zu schlechten Handlungen ließen ihm die damahligen Zeitumstände die ihm gebührende Selbstständigkeit. So viel läßt sich übrigens aus seinem Privatleben mit ziemlicher Gewißheit vermuthen, daß, wenn er sein Reich in Ruhe und Frieden hätte regieren können, und nicht ein Spiel der Factionssucht hätte sein müssen, er, bei seiner unverkennbaren Herzensgüte, mehr guter als schlechter Regent gewesen sein würde.

Daß endlich im J. 1733, nach dem Tode Augusts II., dieser Stanislaus, – der während seiner mehrjährigen Entfernung aus Pohlen im Auslande den königlichen Titel fortgeführt, aber auch königliche Ehrenbezeugungen wieder erhalten hatte, – sich wiederum um seine mit Recht erlangte und hernach entrissene Krone bewarb, war ihm sehr zu verzeihen, so wenig Vergnügen sie ihm auch gewährt hatte, besonders wenn man bedenkt, daß er, einst als einer der ersten Magnaten Pohlens, mit den mächtigsten Häusern dieses Reichs verwandt und verschwägert, auf die Nation auch jetzt noch immer den größten Einfluß haben, und durch seinen nunmehrigen Schwiegersohn, den mächtigen König von Frankreich, desto größern Nachdruck erhalten mußte. Kurz, Stanislaus ging, binnen einem halben Jahre nach dem Tode Augusts, nach Pohlen, und wurde, kaum daß er zu Warschau angekommen war, daselbst von dem größten Theile der Reichsstände abermahls zum Könige gewählt, und von dem damahligen Primas des Reichs, Theodor Potocki, am 9. Sept. 1733 als Konig ausgerufen. Aber auch jetzt erhielt er das Königreich Pohlen unter nicht minderer Unruhe, und seine Krone ward ihm jetzt gewiß noch weit drückender, [347] als vorher im J. 1704. Denn kaum war er auf den Thron gelangt, so brach die Gegenpartei öffentlich aus, welche bisher nur im Geheimen wirksam gewesen war. Der einzige Prinz Augusts II. und damahlige Churfürst von Sachsen, August III., der schon im J. 1712 wegen der Krone Pohlens zu Rom ins Geheim zur katholischen Religion übergetreten war, bewarb sich nun öffentlich um den königlichen Thron seines Vaters, und suchte sich zu dem Ende, so gut er konnte, sowohl in Pohlen unter den Reichsständen, als bei den beiden Höfen Oestreich und Rußland, Anhang zu verschaffen. Wirklich glückte ihm dieses: denn nicht nur Kaiser Carl VI., sondern auch Elisabeth, Kaiserin von Rußland, nahmen sich des jungen Churfürsten auf das thätigste an. Jener ließ eine Armee an die Gränzen Pohlens rücken; diese aber ließ mit einer bedeutenden Macht ins Herz des Reichs eindringen, welche den Stanislaus gar bald aus Warschau vertrieb und zur Flucht nach Danzig nöthigte. Der Churfürst selbst aber brach mit einer Armee aus Sachsen bis Pohlen vor, und es ward ihm, unter dem Beistande zweier solcher, in Europa damahls der größten, Mächte, sehr leicht, sein Project auf die Pohlnische Krone durchzusetzen: schon am 1. Octbr. 1733 – noch war kein voller Monath seit der Wahl des Stanislaus abgelaufen – wurde er als König von Pohlen, unter dem Namen August III., öffentlich ausgerufen, und den 17. Jan. 1734, nebst seiner Gemahlin Josepha, zu Cracau gekrönt. – Hätte Stanislaus bei dieser abermahligen Krisis einen Freund, wie vormahls Carln XII., gefunden, so würde sein Unglück wenigstens nicht in so kurzer Zeit entschieden worden sein; allein so, fast sich allein überlassen, blieb ihm nichts übrig, als auf seine persönliche Sicherheit zu denken, welche er in einer geheimen Flucht von Danzig nach Frankreich mit der größten Lebensgefahr zu Wasser suchen mußte. So war alles ihm entgegen. Frankreich schickte den versprochenen Succurs viel zu spät: auch war dieser gegen die beiden combinirten Mächte, Rußland und Sachsen, bei weitem nicht hinlänglich; vielmehr ward die Sache des unglücklichen Stanislaus dadurch schlimmer, und das Schicksal der Stadt Danzig, welche ihn als König anerkannte und bei sich aufnahm, auch den Französischen [348] Truppen einen vollkommenen Waffenplatz verstattete, unerträglicher, indem die belden feindlichen Armeen diese Stadt nun feindlich behandelten, sie völlig belagerten und heftig bestürmten, und am Ende mit Capitulation, in welcher sie den Churfürsten von Sachsen als den alleinigen König von Pohlen anerkennen, und nicht allein an ihn eine große Summe Geldes, sondern auch Rußland eine Million Thaler zahlen mußte, einnahmen.

Dieß war das Schicksal des unglücklichen Königs Stanislaus Leszynski, welches, wenn Frankreich ihn gehörig und zu rechter Zeit unterstützt hätte, gewiß erträglicher gewesen sein würde. Zwar suchte das Jahr darauf, 1735, Ludwig XV. ihn dadurch zu entschädigen, daß er Kaiser Carl VI. und mit ihm das Deutsche Reich in einen sehr harten Krieg verwickelte, woran zugleich Spanien und Sardinien zu Frankreichs Vortheil Theil nehmen mußten; den Grund zu diesem schweren, unglücklichen Kriege aber darin fand, daß Carl VI. zum Nachtheil seines Schwiegervaters in dem vorherigen Kriege mitgewirkt hatte, und dem Churfürsten von Sachsen bei seinen Bemühungen um die Krone Pohlens beförderlich gewesen war. Und wirklich endigte sich dieser Krieg sowohl zu Frankreichs, als zu des Stanislaus Vortheil; indem Carl VI. seinen künftigen Schwiegersohn, den Erzherzog Franz Stephan (in der Folge Kaiser Franz I.), Herzog von Lothringen und Barr, zur Abtretung dieser Länder an Frankreich vermögen, und dieser sich dagegen mit der Anwartschaft auf das Großherzogthum Toskana (welches er auch 1737 erhielt) begnügen mußte. Jenes geschah 1735 durch die so genannten Wiener-Präliminarien (heißen bloß in Bezug auf Pohlen so, weil der in der Folge zu Warschau geschlossene Pacifications-Reichstagsschluß darauf gebaut ist, und jene sowohl als dieser das endliche Schicksal des abgesetzten Stanislaus enthalten und bestimmen), so, daß jene beiden Herzogthümer, Lothringen und Barr, welche von nun an von dem Deutschen Reiche ganz unabhängig waren, an Frankreich, von diesem aber als Entschädigung für Pohlen an den König Stanislaus, mit allen Rechten und mit der vollkommensten Souverainität, abgetreten werden mußten, und daß mithin[349] diese beiden Länder nur erst nach des Stanislaus Tode an Frankreich kommen sollten; ferner, daß Stanislaus zwar lebenslang sich als einen König von Pohlen geriren könnte, und als solcher geehrt werden sollte, jedoch unter der Bedingung, daß er auf die Regierung Pohlens ewige Verzicht leisten, und den Churfürsten von Sachsen, August III., als wirklichen regierenden König von Pohlen anerkennen mußte. Alles dieses genehmigten nicht allein Ludwig und Stanislaus bestens, sondern letzterer wiederholte sogar sein gethanes Versprechen in dem in der Folge zu Warschau abgefaßten so genannten Pacifications-Reichstagsschlusse.

Von nun an lebte Stanislaus in der Ruhe eines Weltweisen auf seinem sehr schönen Schlosse zu Lüneville in Lothringen, lebte hier den Wissenschaften, denen er sich ganz widmete, wenn er gleich nicht Gelehrter von Profession sein wollte. Seine Werke, welche unter dem Titel: Oeuvres du Philosophe bienfaisant (d. i. Stanislaus Leszynski) zu Paris 1763 in 4 B. herausgekommen, zeichnen sich zwar nicht durch großen Scharfsinn aus, wohl aber tragen sie das Gepräge des richtigen Verstandes und eines redlichen guten Herzens. – Er erreichte ein sehr hohes Alter, und genoß das seltene Glück, nicht allein seine zwei Nebenbuhler auf dem Pohlnischen Throne, die beiden Auguste, sondern auch alle Verwandte seiner Famille zu überleben. Aber desto schmerzhafter war endlich die Art seines Todes. Zufälliger Weise sprangen aus dem Kamin, an welchem er saß, einige Funken Feuer, und faßten, ohne daß ers bemerkte, seine Kleider, welche anbrannten. Weil nun dieser hohe Greis, theils vor Schrecken, theils vor Altersschwäche, sich nicht mehr zu helfen vermochte, und seine Dienerschaft nicht so bald zur Hülfe herbeigeeilt war: so mußte er, unter den größten und heftigsten Schmerzen, bald darauf sein Leben enden. – Frankreich nahm jetzt vertragsmäßig von Lothringen und Barr sogleich Besitz.


Fußnoten

1 Sein ganzer Titel lautete, nach diesem Friedensschlusse, so: August, von Gottes Gnaden, König – (aber kein Land dabei) und Churfürst. Man hat auch noch Münzen, und sogar Groschen, auf diese Art geprägt, aus jenem Zeitraume.

Quelle:
Brockhaus Conversations-Lexikon Bd. 5. Amsterdam 1809, S. 344-350.
Lizenz:
Faksimiles:
344 | 345 | 346 | 347 | 348 | 349 | 350
Kategorien:

Buchempfehlung

Schnitzler, Arthur

Frau Beate und ihr Sohn

Frau Beate und ihr Sohn

Beate Heinold lebt seit dem Tode ihres Mannes allein mit ihrem Sohn Hugo in einer Villa am See und versucht, ihn vor möglichen erotischen Abenteuern abzuschirmen. Indes gibt sie selbst dem Werben des jungen Fritz, einem Schulfreund von Hugo, nach und verliert sich zwischen erotischen Wunschvorstellungen, Schuld- und Schamgefühlen.

64 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Für den zweiten Band hat Michael Holzinger sechs weitere bewegende Erzählungen des Sturm und Drang ausgewählt.

424 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon