Titian Vecelli

[184] Titian Vecelli, einer der berühmtesten Italiänischen Mahler, geb. 1477 zu Cadore im Venetianischen. Von Jugend auf voll Neigung zu der Kunst, in der er sich nachher unsterblich machte, schickte ihn sein Vater, Gabriel Vecelli, nach Venedig zu dem berühmten Bellini, in dessen Schule er sich denn so vervollkommnete, daß er bald seinen Meister sowohl, als den eben so berühmten Giorgone übertraf, und sein Ruhm bald an alle berühmte Höfe reichte. Kaiser Carl V. der sich dreimahl von ihm mahlen ließ, und ihn auch zum Ritter und Comes Palatinus machte, schätzte ihn so hoch, daß, als er ihm einst zum Mahlen saß, und Titian den Pinsel fallen ließ, er denselben selbst aufhob und ihm wieder zustellte, mit der Außerung: Titian sei es wohl werth, von einem Kaiser bedient zu werden – auch habe er Höflinge immer um sich, selten aber einen Titian. Heinrich III. von Frankreich machte ihm bei seiner Durchreise durch Venedig selbst eine Visite, und vom Papste Paul III. sowohl als sehr vielen Fürsten und Standespersonen wurde er ausgezeichnet geehrt. Titian erreichte das für Künstler so seltne Alter von 99 Jahren, wo er noch an der Pest starb (1576). Dieser große Künstler, der auch noch die Tugenden der Bescheidenheit, Demuth und eines liebevollen Betragens gegen seine Schuler in hohem Grade besaß, hatte wohl mit allem Recht den Ruhm erlangt, der ihm nicht bloß durch Italien, sondern auch durch Spanien, Frankreich, Holland zu Theil ward, und daher viel Fremde hinzog. Die hohe Kunst und Geschicklichkeit, mit welchen er die Natur in ihrer ganzen Stärke darstellte, sein sanfter, zarter Pinsel, seine vollkommene Farbengebung etc. lassen es übersehen, wenn er auch hie und da gegen das Costüme sündigte (so z. B. hing er den beiden nach Emaus gehenden Jüngern ein Paternoster an den Gurt); und die Landschaftsmahlerei verstand keiner besser, wie Titian. Der Tod Petrus, des Märterers – und die Venus, welche dem Amor die Augen verbindet, dessen Waffen ihr die Grazien darbringen – werden mit unter die berühmtesten seiner Gemählde gesetzt.

Quelle:
Brockhaus Conversations-Lexikon Bd. 6. Amsterdam 1809, S. 184-185.
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