Xenophanes

[445] Xenophanes, ebenfalls ein berühmter Philosoph und Stifter der Eleatischen Schule, gebürtig aus Kolophon, welcher ungefähr zwischen der 37–50 Olympiade lebte, ein Zeitgenosse von Pythagoras, Socrates etc. war, und ein Alter von 100 Jahren erreichte. Seine Vaterstadt verließ er, entweder von seinen Mitbürgern wegen der Freiheit seiner Meinungen vertrieben, oder weil er die Persische Herrschaft nicht vertragen konnte, und begab sich nach Sicilien und Groß-Griechenland, wo er sein Leben größten Theils zu Elea zubrachte, und bei seinen Mitbürgern einen hohen Grad von Achtung und Ansehen genoß, und in den wichtigsten Angelegenheiten um Rath gefragt wurde. Von ihm, oder vielmehr von seiner Schule zu Elea, hatte denn auch das neue philosophische System, dessen Urheber er war, den Namen des Eleatischen. Die Meinungen der ältern Jonischen Philosophen, wahrscheinlich auch die der Pythagoräer prüfend, blieb er dabei nicht stehen, sondern stellte neue Untersuchungen über die Natur der Dinge an. Bei seiner reinen Vernunftidee von der Gottheit mußte ihm die Vielgötterei, und der religiöse Volksglaube, der sich auf die Sagen der Dichter gründete, sehr lächerlich erscheinen: kein Wunder daher, daß er darüber spottete; aber wohl war es ein Wunder, daß er diese seine Meinungen ungestraft so laut und freimüthig äußern durfte, da ein Socrates und Anaxagoras die Märterer ihrer dem Volksglauben bei weitem nicht so gefährlichen Meinungen wurden. Er erklärte Erde und Wasser für die Principien der Dinge; die Erde, lehrte er, sei ehedem mit Wasser bedeckt gewesen, wie man aus den Versteinerungen auf Bergen wahrnehmen könne; der Mond sei ein bewohnter und angebauter Körper, wie die Erde u. s. w. – Xenophanes ließ überhaupt kein Wissen gelten, sondern sprach nur von Wahrscheinlichkeit, Meinung und Glauben. »Kein Mensch – so schloß er seine Schrift über die Natur – kein Mensch[445] weiß etwas gewisses von den Göttern und von dem, was ich über das Weltall sage; auch keiner wird es wissen. Denn, träf er auch noch so sehr die Wahrheit, so weiß er doch nicht, daß er sie gefunden hat. Folglich ist das bloße Meinen über alles verhängt

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Brockhaus Conversations-Lexikon Bd. 6. Amsterdam 1809, S. 445-446.
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