Catharinens

[196] Catharinens Verdienste um ihr Reich sind unendlich groß und bleibend. Sie vergrößerte dasselbe um 36,000 Quadratmeilen, vermehrte die Volksmenge von 20 auf 36 Millionen, ungeachtet ihr ihre Kriege, und besonders der letzte Türkenkrieg, viele Menschen kosteten. Sie zog viele Ausländer, besonders Deutsche, viel Fabrikanten, Manufakturen, Künstler etc. unter vortheilhaften Bedingungen in ihr Reich, und besonders viele tausend Colonisten zum Anbau und zur Bevölkerung der wüsten Plätze an der Wolga, in Astrachan, Taurien u. s. f. Die Seemacht, die sie beim Antritt ihrer Regierung im Verfall fand, vergrößerte sie und hinterließ eine Flotte von 48 Linien- und eine Galeerenflotte von 150 Schiffen, die kleinen ungerechnet. Die Landarmee, der sie eine neue Verfassung gab, erhöhete sie bis über 560,000 Mann; ihre Staatseinkünfte von 30 auf 60 Millionen. Den Handel ihres Reichs erweiterte sie außerordentlich, indem sie manche Arten desselben allen ihren Unterthanen freigab; auch munterte sie diese auf, manche Landesproducte theils anzubauen, theils zu veredeln; besonders setzte sie auf den Anbau des Tabaks in der Ukraine (s. dies. Art.) Prämien. Um manche Naturproducte Rußlands besser kennen, oder besser benutzen zu lernen, ließ sie Reisen in die entferntesten Gegenden ihres Reichs anstellen. Eben so thätig sorgte sie für den öffentlichen [196] Unterricht und für die Beförderung der Wissenschaften und Künste in ihrem Reiche. Sie stiftete neue Erziehungsanstalten, ließ deshalb Gelehrte und Künstler reisen, vorzügliche Schriften des Auslandes ins Russische übersetzen und von den vorzüglichsten Kunstwerken des Alterthums genaue Abdrücke verfertigen. Zu Entwerfung eines neuen Gesetzbuches für ihr Reich berief sie 1766 aus allen Provinzen Abgeordnete – sie selbst hatte bereits 1757 in russischer Sprache eine Instruction für die zu jenem Entwurf verordnete Commission entworfen – und im Jahr 1776 wurde das neue Gesetzbuch vollendet und bekannt gemacht, obgleich es nicht völlig ausgeführet werden konnte. Sie verstattete in ihrem Reiche völlige Gleichheit der Religion und hob die Leibeigenschaft auf. Bei allen diesen großen Arbeiten für ihr Reich, wußte sie doch noch Zeit für die Wissenschaften zu gewinnen. Sie entwarf nicht nur ihre Gesetze meistens selbst, unterhielt einen gehaltvollen Briefwechsel mit berühmten Männern, z. B. Voltaire, Diderot, Zimmermann, sondern trat auch sogar, nicht ohne Ruhm, als Schriftstellerin auf. Unter ihren Schriften zeichnet sich besonders die Bibliothek der Großfürsten Alexander und Constantin aus, durch welche sie, so wie überhaupt, für die Erziehung dieser ihrer Enkel sorgte. Allein, so groß ihre Verdienste für ihr Reich waren, so sehr ihre Menschenfreundlichkeit, wirkliche Liebenswürdigkeit, Thätigkeit, Witz, Verstand, Standhaftigkeit und Geistesgegenwart Bewunderung verdienten; so hatte sie doch auch große Fehler, die ihrem Lande selbst sehr schädlich waren. Ihr Unternehmungsgeist, ihre Ruhmbegierde und Eitelkeit kannten keine Grenzen; sie rissen sie von einem Plane zum andern hin, wovon fast jeder unausgeführt blieb, weil er wieder einem neuen Platz machen mußte. Sie liebte die Pracht, und an ihrem Hofe herrschte die größte Verschwendung. Die Macht und der Einfluß ihrer Günstlinge und der Creaturen derselben würde, besonders in den entfernteren Theilen ihres Reichs, ihren Unterthanen im höchsten Grade schädlich, indem von jenen Despotismus aller Art ausgeübt, diesegedrückt und ausgeplündert [197] wurden. Ihr größter Fehler war ihre Leidenschaft für die Männer. Sie hatte während ihrer Regierung mehr als zwölf bis sechzehn Günstlinge und Geliebte, unter denen Fürsten, Grafen, Officiers, Secretaire etc. sich befanden. Die vorzüglichsten derselben waren Gregorius Orlow oder Orloff (s. dies. Art.) und Potemkin1. Ueberhaupt sollen ihr in ihren 34 Regierungsjahren ihre Günstlinge viele – man will sogar sagen 71 – Millionen mehr gekostet haben, als die Erhaltung der ganzen Land- und Seemacht. Allein diese großen Fehler, deren Folgen doch nur vorübergehend waren, können ihre größern und für ihr Reich bleibenden Verdienste nicht überwiegen, sondern sie sind nur ein neuer Beweis des durch die Geschichte aller Jahrhunderte bestätigten Satzes: daß große Menschen auch große Fehler haben.


Fußnoten

1 Ungeachtet Th. III. S. 481. Potemkins Geschichte für den gegenwärtigen Artikel zugleich versprochen worden; so muß sie, um diesen nicht zu sehr zu vergrößern, dem Nachtrage unter P, auf welchen wir also verweisen, vorbehalten bleihen.

Quelle:
Brockhaus Conversations-Lexikon Bd. 7. Amsterdam 1809, S. 196-198.
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