Churfürsten

[216] Churfürsten (richtiger: Kurfürsten, da der Name von dem alten deutschen Worte kören oder küren, d. h. wählen, herkommt) waren diejenigen vornehmsten Fürsten des deutschen Reichs, welchen das Recht, einen deutschen Kaiser oder römischen König (s. Th. VI. S. 359*) zu wählen, ausschließend gehörte. Beides, sowohl die Wahl des deutschen Kaisers, als auch besonders das ausschließende Recht der Churfürsten bei derselben, bildete sich nur nach und nach aus. In den ältesten Zeiten, unter den Carolingern, war das deutsche Kaiserthum für die regierende Familie erblich; jedoch wählte man willkührlich einen Regenten aus derselben, ohne auf die nähere oder entferntere Verwandtschaft des neuen Kaisers mit seinem Vorgänger Rücksicht zu nehmen, so daß mithin das deutsche Kaiserthum zugleich ein [216] Erb- und ein Wahlreich war. Nach Abgange der Carolinger, oder seit Conrad I. († 919) ward Deutschland ein förmliches Wahlreich, ohne daß man jedoch von der Familie des verstorbenen Königs leicht abging. Die Wahl selbst geschah von der ganzen deutschen Nation, welche, nach den vier Hauptnationen derselben, Sachsen, Bayern, Franken und Alemannen, und Schwaben, vier Nationalstimmen hatte: jede Nation nannte aus ihren Ständen und Adel einen oder den Andern zu Wählenden, worauf der Herzog mit den Ständen darüber berathschlagte. Alle vier Herzoge wählten sodann gemeinschaftlich den neuen Kaiser, und nach vollbrachter Wahl machte jeder Herzog den Ständen und Adel seiner Nation den neuen Kaiser bekannt, der nun im Namen der Kirche von den Erzbischöfen zu Mainz, Trier und Cöln gesalbet und gekrönet wurde. An der Kaiserwahl selbst hatten diese Erzbischöfe gar keinen Antheil, da hingegen die vier Herzoge bei der Krönung und Salbung gleichsam als Zeugen gegenwärtig waren. Erst unter Otto I., dem Großen († 973), erhielt die deutsche Kirche und in ihrem Namen die drei gedachten Erzbischöfe das Recht, den Kaiser, als ihren Schutzherrn, zugleich mit zu wählen. Ungeachtet jetzt die alten Herzogthümer und vier Hauptnationen, Bayern ausgenommen, zertheilet und zerrissen waren und mehrere mächtige deutsche Fürsten an der Wahl des Kaisers Antheil nehmen wollten; so behaupteten doch die Nachfolger der vier alten Herzoge allein das Recht, einen oder mehrere zu wählende Fürsten zu ernennen: die übrigen Fürsten und das Volk hatten blos das Recht, aus den ernannten Candidaten des Kaiserthrones Einen zu wählen, oder, war nur einer, diesen anzuerkennen. Nach und nach suchten die immer mächtigern Nachfolger der vier alten Herzoge die übrigen Fürsten und das Volk von der Kaiserwahl ganz auszuschließen, und so entstanden in den Jahren 1245 bis 1256 die sieben Churfürsten, die man schon 1256 bei der Wahl des Kaisers Richard von Cornwallis findet. Diese sieben Churfürsten waren: 1) Mainz, 2) Trier, 3) Cöln, 4) Pfalz, welcher seine Churwürde und Stimme vom Herzogthum [217] Lothringen, 5) Brandenburg, der sie vom Herzogthum Franken, 6) Sachsen, und 7) Böhmen, welcher dieselbe 1290 von Bayern, das einige Male nicht auf dem Reichstage erschienen, und dessen Stimme von jenem vertreten worden war, erhalten hatte. Zwar verlangten die übrigen Fürsten noch immer einen Antheil an der Kaiserwahl; allein die Churfürsten behaupteten sich bei ihrem Vorrechte, das endlich 1338 von allen deutschen Reichsständen und von Kaiser Ludwig dem Bayer (IV.) anerkannt und von Carl IV. († 1378) durch die goldne Bulle (s. d. Art.) bestätiget wurde: ihre Zahl blieb bis zum westphälischen Frieden unverändert. Allein da Churfürst Friedrich V. von der Pfalz († 1632) in die Reichsacht erklärt und seine Churwürde Bayern übertragen worden war; so wurde im westphälischen Frieden, um das pfälzische Haus zu entschädigen, eine neue und achte Churwürde für Pfalz eingeführt, jedoch mit der Bedingung, daß, wenn die bayerische Chur wieder an Pfalz fiele, jene achte Churwürde aufhören sollte. Im J. 1692 kam aber sogar noch eine neunte Churwürde hinzu, indem Kaiser Leopold I. Braunschweig-Lüneburg eigenmächtig zum Churfürstenthum erhob, welches denn, trotz der vielen und langwierigen, von Seiten der Reichsstände, und besonders der Churfürsten, erhobenen Widersprüche, nach endlich (1708) erfolgter Einwilligung in das Churcollegium 1710 eingeführt wurde. Von jetzt an blieben neun Churfürsten, bis im J. 1777 das Haus Bayern mit dem Churfürsten Maximilian Joseph ausstarb, und die bayerischen Lande an Churpfalz fielen. Denn nun wurde die bayerische und pfälzische Churwürde vereiniget, und es blieben nur noch acht Churfürsten übrig.

Diese acht Churfürsten nun waren I) theils Geistliche (mit deren Churwürde zugleich ein geistliches Amt, das eines Erzbischofs, verbunden war): sie wurden allezeit aus den Mitgliedern des zum Erzbisthume gehörigen Domcapitels gewählt, und ihre Churwürde war nicht erblich; diese waren: Mainz, Trier. Cöln – theils Weltliche oder Erbliche Churfürsten, d. h. die, als Churfürsten, kein geistliches Amt bekleideten, und deren männliche Nachkommen [218] ihnen in der Churwürde folgten: Sie hießen Böhmen, Pfalz1, Sachsen, Brandenburg, Braunschweig-Lüneburg. – II) Nach der Verschiedenheit der in ihren Churländern2 herrschenden Religion waren sie entweder katholische, und zwar deren fünf; oder evangelische, an der Zahl drei, nemlich: Sachsen, Brandenburg und Braunschweig-Lüneburg.

Die Churfürsten hatten vor den übrigen deutschen Reichständen gewisse Vorrechte, und zwar entweder alle gemeinschaftlich, oder auch nur einer oder der andere eigenthümlich.

Die vorzüglichsten gemeinschaftlichen Vorrechte waren: 1) das Recht, den Kaiser zu wählen, 2) die Wahlcapitulation zu verfertigen, 3) die Erzämter (s. Th. VI. S. 326. 27*) zu bekleiden, 4) ein besonderes Collegium auf dem Reichstage zu bilden, 5) Churtage3 zu halten, und auf solchen Churvereine (d. h. Abstimmungen und gemeinschaftliche Schlüsse über die verhandelten Angelegenheiten) abzufassen; 6) das Recht, daß von ihren Aussprüchen nicht an die Reichsgerichte appellirt werden konnte (privilegium de non appellando); 7) hatten sie königlichen Rang und Würde, jedoch mit Ausschluß des Titels: Majestät; 8) konnten sie mehrere Churfürstenthümer zugleich besitzen, auch 9) Reichslehne [219] oder Allodial-Länder des deutschen Reichs, ohne kaiserliche Bewilligung, an sich bringen.

Die eigenthümlichen oder besondern Vorrechte der einzelnen Churfürsten waren: I) von Mainz: 1) der Vorsitz und erste Stelle in dem Churcollegium, so wie 2) der Vorrang vor den übrigen Churfürsten; 3) das Directorium auf dem Reichstage, und in dem Corpus catholicorum (s. dies. Art.); 4) das Recht, den Kaiser zu krönen, welches er jedoch, nach einem mit Trier 1657 abgeschlossenen Vergleiche, mit diesem abwechselnd ausübte. II) Trier gehörte: 1) die zweite Stelle im Churcollegium; 2) hatte er, in einigen Fällen, gewisse Rechte des Churfürsten von Mainz auszuüben. III) Der Churfürst von Cöln war: 1) Erzkanzler in Italien und 2) Legatus natus des päpstlichen Stuhls (s. Cöln). IV) Böhmen hatte 1) den Vorrang vor den weltlichen Churfürsten; 2) war von der Verbindung der Reichskreise frei; 3) hatte nicht nöthig, auf den Reichstagen zu erscheinen, wenn sie nicht in Bamberg, Nürnberg und Merseburg gehalten wurden; 4) war, so viel Oestreich betraf, den Reichsvicarien (s. dies. Art) nicht unterworfen, wiewohl es überhaupt nicht unter denselben stehen wollte. V) Der Ch. von der Pfalz war: 1) Erztruchseß, 2) Reichsvicarius in den Rheingegenden; 3) hatte in den Reichscollegien mehr als eine Stimme; übte 4) das Wildfangsrecht aus, und war 5) Schutzherr der Reichsstädte Aachen, Worms und Speier. VI) Der Churfürst von Sachsen war: 1) Erzmarschall, 2) Reichsvicar in den Landen des sächsischen Rechts, 3) Director des corporis evangelicorum; 4) Director auf dem Reichstage, wenn Mainz erlediget, oder verhindert war, das Directorium zu führen; 5) Director und Kreis-Obrister im Obersächsischen Kreise. VII) Der von Brandenburg war: 1) Erzkämmerer; 2) führte abwechselnd das Condirectorium im westphälischen Kreise mit dem Churfürsten von der Pfalz, und im Niedersächsischen Kreise mit dem Erzbischofe zu Magdeburg und dem Churfürsten von Braunschweig-Lüneburg; 3) hatte mehrere Stimmen in den Reichscollegien; 4) war er Schutzherr des Johanniterordens[220] in den Brandenburgischen Landen. Endlich war VIII) der Churfürst von Braunschweig-Lüneburg 1) Erzschatzmeister, 2) Condirector des Niedersächsischen Kreises, 3) abwechselnd Bischof zu Osnabrück (s. d. Art.); 4) hatte mehrere Stimmen in den Reichscollegien, und war 5) Schutzherr über einige Reichsstädte.

Diese ehemalige Verfassung der Churfürsten mußte nothwendig, wenigstens in Ansehung ihrer Besitzungen, durch die im Frieden zu Lüneville (1801) geschehene Abtretung des linken Rhein-Ufers an Frankreich ihre Abänderungen leiden, und besonders schien der 7. §. den geistlichen Churfürsten nachtheilig, worin nur der erblichen Fürsten gedacht wurde, die von dem deutschen Reiche Entschädigung erhalten sollten. Zwar wählten die Domcapitel zu Cöln und Münster, nach Absterben des Churfürsten zu Cöln, Maximilian (am 26. Juli 1801), den Erzherzog von Oestreich, Anton Victor, am 7 Oct. zum neuen Churfürsten von Cöln, dessen Wahl auch von Seiten Oestreichs am 14. October für pflicht- und constitutionsmäßig erkläret wurde, obgleich von Preußen und Frankreich schon vorher wider dieselbe protestirt worden war; allein es hatte diese Wahl keine Wirkung. Durch ein kaiserliches Rescript vom 14. Juli 1802 wurde zuerst eine zur Erörterung der Entschädigungen ernannte Reichsdeputation nach Regensburg zusammenberufen, und dieser am 24. August ein von Frankreich und Rußland entworfener Entschädigungsplan vorgelegt, nach welchem nunmehro nur Ein geistlicher Churfürst, nemlich Mainz, unter dem Titel: Churfürst Reichserzkanzler übrig bleiben sollte, hingegen drei neue weltliche Churfürsten, nemlich: Baden, Wirtemberg und Hessen-Cassel erwählet wurden. Da aber Oestreich bereits am 31. August die dem Großherzog von Toscana zugestandene Entschädigung von Salzburg und Berchtoldsgaden für unzulänglich erkläret und darauf am 28. December zu Paris wegen dessen völliger Entschädigung mit Frankreich eine Convention abgeschlossen hatte, so wurde dem Großherzog außer mehreren Besitzungen auch [221] zugleich die Churwürde versprochen. Nach der von Seiten Rußlands, Frankreichs, des Kaisers und der deutschen Reichsstände geschehenen Ratification des Entschädigungsplans, worin man zugleich dem noch lebenden Churfürsten von Trier gewisse jährliche Einkünfte an Gelde festsetzte, wurden die vier neuen Churfürsten: Baden, Wirtemberg, Hessen-Cassel und Salzburg, so wie der neue Churfürst Erzkanzler am 22. August 1803 in das churfürstliche Collegium eingeführet. Es waren nun zehn Churfürsten, nemlich: 1) der Erzkanzler, 2) Böhmen, 3) Pfalzbayern, 4) Salzburg, 5) Sachsen, 6) Brandenburg, 7) Braunschweig, 8) Wirtemberg, 9) Baden, 10) Hessen; und unter diesen die letzten Sechs evangelische, so daß diese Religionsparthei hierdurch, so wie durch 27 neue im Reichsfürstenrathe erhaltene Stimmen, ganz gegen die vorherige Verfassung, die Stimmenmehrheit für sich hatte. Allein die ganze Verfassung des Churcollegiums, so wie die deutsche Reichsverfassung überhaupt, eilte ihrem Ende entgegen. Schon durch den Presburger Frieden (27. December 1805) wurde die Salzburgische Churwürde aufgehoben, indem Oestreich durch diesen Frieden Salzburg und Berchtoldsgaden erhielt, dagegen der Churfürst von Salzburg mit Würzburg entschädiget wurde, das er unter dem Titel eines Churfürstenthums erhielt; auch erhielten Bayern und Wirtemberg die Königswürde, ohne jedoch deshalb aus dem deutschen Reichsverband zu treten. Allein am 12. Juli 1806 folgte zu Paris der Abschluß der Rheinischen Conföderations-Acte, und schon am 1. August entsagten Bayern, Wirtemberg, der Erzkanzler und Baden der deutschen Reichsverbindung, und der französische Minister Bacher erklärte auf dem Reichstage zu Regensburg: daß der Kaiser von Frankreich kein deutsches Reich mehr anerkenne und den Titel eines Protectors der Rheinconföderation angenommen habe. Jetzt legte auch der deutsche Kaiser am 6. August seine Kaiserwürde nieder. Noch führten zwar Würzburg, Sachsen und Hessen den churfürstlichen Titel; allein erstere beide nur kurze Zeit. Denn bereits am 30. September [222] trat der erstere dem rheinischen Bunde bei und nahm den Titel eines Großherzogs an; ihm folgte am 11. December Sachsen, das zugleich durch den mit Frankreich abgeschlossenen Frieden zu Posen ebenfalls die Königswürde erhielt und dem Rheinbunde beitrat. Es blieb daher von den Chursürsten nur noch Hessen übrig; allein, ob er schon bei dem Ausbruche des Krieges zwischen Frankreich und Preußen seine Neutralität erklärte, so wurde solche doch von Frankreich nicht anerkannt, sondern vielmehr die von einem französischen Armeecorps besetzten Staaten desselben zum Königreich Westphalen geschlagen (s. den Art. Hessen-Cassel in den Nachtr.), so daß also kein Churfürstenthum mehr übrig ist, und der Churfürst von Trier und Hessen nur noch den churfürstlichen Titel führen.


Fußnoten

1 Der Churfürst von der Pfalz hieß zwar, nachdem Bayern 1778 dem Churfürstenthum Pfalz einverleibt worden war, gewöhnlich Churfürst von Pfalzbayern, allein nach dem Stil des deutschen Staatsrechts blos Churfürst von der Pfalz, und jener Titel wurde ihm, als er bei Leopold des Zweiten Wahl darum ansuchte, nicht zugestanden.


2 Daher war der Churfürst von Sachsen, ungeachtet er katholische war, doch ein evangelischer Churfürst, weil in seinen Churlanden die evangelische Religion die herrschende war.


3 Genauer genommen, muß man 1) Versammlungen der Churfürsten, welche blos die Rechte und Angelegenheiten des Churcollegiums betrafen; 2) Wahltage, welche wegen der Wahl eines Kaisers oder römischen Königs gehalten wurden; und 3) Churtage oder Churfürstentage. wo über andere Reichsangelegenheiten, außer der Wahl eines Kaisers, oder Königs berathschlagt wurde, unterscheiden.

Quelle:
Brockhaus Conversations-Lexikon Bd. 7. Amsterdam 1809, S. 216-223.
Lizenz:
Faksimiles:
216 | 217 | 218 | 219 | 220 | 221 | 222 | 223
Kategorien:

Buchempfehlung

Lewald, Fanny

Jenny

Jenny

1843 gelingt Fanny Lewald mit einem der ersten Frauenromane in deutscher Sprache der literarische Durchbruch. Die autobiografisch inspirierte Titelfigur Jenny Meier entscheidet sich im Spannungsfeld zwischen Liebe und religiöser Orthodoxie zunächst gegen die Liebe, um später tragisch eines besseren belehrt zu werden.

220 Seiten, 11.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Frühromantik

Große Erzählungen der Frühromantik

1799 schreibt Novalis seinen Heinrich von Ofterdingen und schafft mit der blauen Blume, nach der der Jüngling sich sehnt, das Symbol einer der wirkungsmächtigsten Epochen unseres Kulturkreises. Ricarda Huch wird dazu viel später bemerken: »Die blaue Blume ist aber das, was jeder sucht, ohne es selbst zu wissen, nenne man es nun Gott, Ewigkeit oder Liebe.« Diese und fünf weitere große Erzählungen der Frühromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe ausgewählt.

396 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon