Isaac Voß

[471] Isaac Voß, gewöhnlich Vossius, einer der berühmtesten Gelehrten des 17. Jahrhunderts, geboren zu Leyden 1618. Er war der jüngste und einzige unter seinen Brüdern, welcher seinen Vater, den berühmten Polyhistor Gerhard Vossius überlebte. Dieser (der Vater) zu Heidelberg 1577 geboren, erst Rector der Schule zu Dordrecht, und wegen seiner großen Gelehrsamkeit nach Leyden, dann nach Amsterdam als Professor berufen, hatte das sonderbare Schicksal, daß er die meisten seiner Kinder, bei den schönsten Hoffnungen, frühzeitig und zwar den ältesten, Johann, in Ostindien; seine eben so gelehrte Tochter, Cornelia, im Wasser und kurz alle bis auf den obigen, Isaac, durch den Tod verlor. Sein Tod selbst erfolgte 1649 auch auf eigne Art, indem er von der Leiter, auf welcher er ein Buch aus seiner Bibliothek herablangen wollte, da jene unter ihm brach, herabstürzte und mit Büchern bedeckt mitten unter seinen Geisteswerken verschied. (Ein Schicksal, das in der neuesten Zeit auch unser berühmter Schröckh (s. d. Art. i. d. [471] Nachtr.) mit ihm gemein hatte.) – Sein jüngster Sohn Isaak nun, übertraf alle die übrigen Brüder an Gelehrsamkeit. Nachdem er schon im 17. und 20. Jahre mehrere Werke herausgegeben hatte, und von vielen Gelehrten durch ihre Zuschriften beehrt worden war, machte er drei Jahre lang eine Reise nach England, Frankreich und Italien; wurde in England von einem reichen Edelmanne zum Erben eines ansehnlichen Vermögens eingesetzt, und endlich 1648 von der Königin Christine nach Schweden berufen. Allein hier wurde er von Salmasius so sehr befeindet, daß dieser sogar ihm Schuld gab, er habe den Cartesius vergiftet und daß er sich eiligst aus Schweden entfernen mußte: worauf er sich wieder nach Holland begab und obgleich auch hier in der Folge in gelehrte Handel mit Jacob Gronov verwickelt, wurde doch seine Gelehrsamkeit mit seinen Werken so hoch geschätzt und ihr Ruf so ausgebreitet, daß Ludwig XIV. ihm durch Colbert seine besondre Gnade und eine Pension anbieten ließ. Als man ihm in der Folge in Holland die Beschreibung des holländischen und englischen Kriegs auftrug, er aber dazu keine Lust bezeigte, wurde ihm seine von den Staaten zeither genossene Pension eingezogen: er ging nach England, nahm zu Oxford 1670 den Titel als Doctor der Rechte an und ward Canonicus zu Windsor, wo er denn auch 1689 im 71. Jahre seines Alters starb. Bei seiner außerordentlichen Gelehrsamkeit konnte er doch dem Vorwurfe eines theils von Leichtgläubigkeit, theils von unreinen Sitten öfters sehr irre geleiteten Mannes nicht entgehen. Mit einer ausgezeichneten Hitze vertheidigte er die Version der 70 Dolmetscher (Septuaginta), weil man, seiner Behauptung nach, keine richtige hebräische Bibel mehr habe. Er war im Begriff, eine neue Ausgabe von der Uebersetzung jener Dolmetscher zu veranstalten, als ihn der Tod überfiel. Und trotz dieser eifrigen Vertheidigung bewies er in seinen Privatunterhaltungen, daß er – an gar keine Offenbarung glaube. Sehr treffend urtheilte daher König Carl II. von England von ihm: »Dieser gelehrte Theolog ist ein höchst seltsamer Mensch: er glaubt an alles, nur nicht an die Bibel.« Außer den oben angeführten Abhandlungen über das [472] chronologische System der Septuaginta, hatte er viele gelehrte Schriften, z. B. über die Geographen Scylax und Pomponius Mela; über den Nil; über die Sibyllinischen Orakelsprüche etc. auch einen Commentar über den Catull, der aber hinwiederum einen Commentar über seine eigenen, ziemlich obscoenen Grundsätze abgiebt, u. v. m. geschrieben.

Quelle:
Brockhaus Conversations-Lexikon Bd. 8. Leipzig 1811, S. 471-473.
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