Frauenfrage

[615] I. Frauenbewegung. Die moderne Frauenbewegung, zu der sich Parallelen schon im Zeitalter der Renaissance finden lassen, ist ein Kind des Zeitalters der Franz. Revolution. Ihre Wurzeln liegen auf verschiedenen Gebieten; das Wirtschaftliche steht dabei an Bedeutung voran, es geht indessen nicht an, auf ihm allein den Ursprung der heutigen Frauenbewegung zu suchen. Die technisch-wirtschaftliche Umwälzung der letzten 150 Jahre hat zu einer Einschränkung des hauswirtschaftlichen Wirkungskreises der Frau und einer Ausdehnung ihres Verwendungsgebietes in der Industrie geführt. In fast demselben Maße, in dem das Spinnen und Weben, das Nähen und Schneidern, das Plätten und Waschen, das Backen und Schlachten, das Seifekochen und Lichterziehen, das Bierbrauen und Krauteinlegen etc. aufhörten häusliche Tätigkeiten zu sein und sich in besondern Gewerben verselbständigen, entwickelten die neuen Industriezweige eine steigende Nachfrage nach weiblichen Arbeitskräften. Für die nicht auf den Erwerb angewiesenen Frauen der wohlhabendern Schichten bedeutete diese Umgestaltung eine Entlastung von wirtschaftlicher Arbeit überhaupt und die Möglichkeit, sich freier entfalten und am geistigen Leben ihres Volks stärker teilnehmen zu können. Es war natürlich, daß die Frauen der bürgerlichen Kreise, für welche dies zutraf, dabei von der individualistischen Ideenrichtung, die seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrh. im Geistesleben der westeurop. Kulturvölker immer stärker hervortritt, mit erfaßt wurden. Von diesem individualistischen Standpunkte aus fing man in der Frauenwelt an, an der bisherigen rechtlichen und sozialen Stellung der Frau, wie sie sich in der Periode der überwiegend hauswirtschaftlichen Beschäftigung der Frau entwickelt hatte, Kritik zu üben und größere Freiheit und Unabhängigkeit für das weibliche Geschlecht auf wirtschaftlichem, polit., privat- und öffentlich-rechtlichem Gebiete, ferner bessere Bildungseinrichtungen etc. zu fordern.

Die Anfänge solcher Bestrebungen treten schon zu Beginn der Franz. Revolution, vorbereitet durch die Schriften des Philosophen Condorcet, hervor. Die in besondern Klubs vereinigten Frauen stellen 1789 unter ihrer Führerin Olympe de Gouges der Erklärung der Menschenrechte eine »Erklärung der Frauenrechte« entgegen. 1792 erscheint das berühmte Buch der Engländerin Mary Wollstonecraft »Vindication of the rights of women«. Und im gleichen Jahre schreibt auch Th. von Hippel in Deutschland »Über die bürgerliche Verbesserung der Weiber«. Seitdem hat die Frauenbewegung, wenn ihr auch verschiedentlich Hindernisse bereitet wurden (Unterdrückung der Frauenklubs in Frankreich 1793), fast unausgesetzt Fortschritte gemacht, sich dabei zugleich aber auch allmählich in verschiedene Richtungen gespalten. In der ersten Hälfte des 19. Jahrh. wurde sie vor allem durch die Werke von Georges Sand gefördert; weitere starke Anregung gab ihr die Schrift des engl. Philosophen John Stuart Mill »The subjection of women« (1869).

Die Ziele, welche die Frauenbewegung gegenwärtig in erster Linie verfolgt, sind in den einzelnen Ländern verschiedener Art. Es läßt sich dabei eine allmähliche Erweiterung derselben nicht verkennen, oder richtiger, nachdem die anfänglich am meisten betonten Forderungen zum großen Teile erreicht worden sind, treten andere Programmpunkte stärker in den Vordergrund. In Nordamerika trägt die Frauenbewegung schon seit einigen Jahrzehnten einen überwiegend polit. Charakter. Die amerik. Frauen, die schon am Ende des 18. Jahrh. nach dem Unabhängigkeitskriege mit der Forderung größerer Rechte für die Frau hervortraten, erlangten zur Zeit des Bürgerkrieges fast die vollständige Gleichberechtigung mit dem männlichen Geschlechte auf dem Gebiete des Erwerbslebens und des Bildungswesens, was dort übrigens nicht zu einer besonders starken Beteiligung des weiblichen Geschlechts am Erwerbsleben geführt hat (s. unten II). Seitdem ist das Streben der amerik. Frauenbewegung vor allem auf Erlangung der polit. Gleichberechtigung gerichtet. Bereits 1869 entstanden zwei Stimmrechtsvereine, die sich 1890 zu der National American Suffrage Association vereinigten (s. unten IV.). Ebenso hat in Großbritannien die Frauenbewegung, nachdem durch sie um die Mitte des 19. Jahrh. bedeutende Organisationen zur Hebung des Frauenerwerbs und der Frauenbildung geschaffen worden waren, die Forderung des Frauenstimmrechts in neuerer Zeit mit größerm Nachdruck erhoben. Und auch in Deutschland beginnt man in allerletzter Zeit dieser Forderung größere Aufmerksamkeit zuzuwenden, wie der 1902 gegründete »Verband für Frauenstimmrecht« zeigt. Überhaupt läßt sich in Deutschland die allmähliche Erweiterung der Ziele der Frauenbewegung bes. deutlich verfolgen. Die ältesten deutschen, nach engl. Muster in den sechziger Jahren des 19. Jahrh. gegründeten Organisationen, der Lette-Verein in Berlin und der Allgemeine deutsche Frauenverein in Leipzig, verfolgten hauptsächlich den Zweck, die Erwerbsfähigkeit des weiblichen Geschlechts zu fördern, wenngleich der letztere unter der Führung von Luise Otto-Peters und Auguste Schmidt daneben auch schon allgemeinere Ziele (Hebung der Frauenbildung und der Lage der Arbeiterinnen) mit ins Auge faßte. In den achtziger Jahren traten dann neue Bestrebungen in der deutschen Frauenbewegung hervor, die auch zur Gründung besonderer Organisationen führten. Die Bestrebungen zur Verbesserung des weiblichen Unterrichtswesens und zur Förderung des Hochschulstudiums der Frauen sowie zur Erschließung der liberalen Berufe für sie erhielten seit 1888 ihren Mittelpunkt in dem Verein »Frauenbildungsreform«, aus dem 1898 der Verein »Frauenbildung – Frauenstudium« hervorging, der 1905 schon in 23 deutschen Städten Zweigabteilungen (mit zusammen 3500 Mitgliedern) hatte, die vor allem auf Errichtung von Mädchengymnasialkursen etc. hinwirkten. Ebenfalls Ende der achtziger Jahre entwickelte sich eine Richtung der deutschen Frauenbewegung, die vor allem auf dem Gebiete des Rechts, und zwar sowohl des privaten als des öffentlichen Rechts, größere Gleichstellung der Frau mit dem Manne verlangte, zugleich aber auch der Arbeiterinnen sich mehr anzunehmen suchte. Diese Richtung, die in einen gewissen Gegensatz zu den ältern Frauenvereinigungen trat, organisierte sich in den Vereinen »Frauenwohl«, die sich von Berlin aus über Deutschland verbreiteten. Die den linken, radikalern Flügel der deutschen Frauenbewegung bildenden Vereine schlossen sich 1899 zu einem Verband fortschrittlicher Frauenvereine zusammen, der seine Tätigkeit immer weiter ausdehnte, so z. B. auch die Sittlichkeitsfrage und die Dienstbotenfrage erörterte und bestimmte Forderungen aufstellte, unter anderm die Forderung gemeinsamer Erziehung beider Geschlechter auf allen Unterrichtsstufen. Schon vorher war der Versuch gemacht worden, alle der deutschen Frauenbewegung angehörigen Vereine in einer einheitlichen Organisation zusammenzufassen in ähnlicher Weise, wie das 1891 in den Ver. Staaten von Amerika geschehen war. Zu diesem Zweck wurde 1894 der Bund deutscher Frauenvereine gegründet, der 1905 bereits 189 Vereine mit etwa 70.000 Mitgliedern umfaßte. Ähnliche Verbände bestehen auch in den meisten übrigen Kulturstaaten. Diese Verbände sind wieder vereinigt zu dem International Council of Woman in London. Von ihm werden jetzt in fünfjährigen Zwischenräumen internationale Frauenkongresse einberufen, wie sie in der ersten Zeit häufiger veranstaltet worden waren (Paris 1889, Chicago 1893, Berlin 1896, Brüssel 1898, London 1899, Berlin 1904).

Die Zentralorganisation und die verschiedenen Richtungen der Frauenbewegung verfügen gewöhnlich über besondere Organe. In Deutschland dient als Zentralorgan das »Zentralblatt des Bundes deutscher Frauenvereine«, das von Marie Stritt redigiert wird. Den Standpunkt der ältern gemäßigtern Richtung vertreten folgende Blätter: »Neue Bahnen« (von Auguste Schmidt gegründet, jetzt hg. von Frau E. Krukenberg), »Die Frau« (hg. von Helene Lange) und die »Frauenrundschau« (hg. von Dr. Ella Mensch). Das Hauptorgan der jüngern radikalern Richtung ist die Wochenschrift »Die Frauenbewegung« (hg. von Minna Cauer). Den sozialdem. Standpunkt in der Frauenfrage vertritt die von Clara Zetkin redigierte »Gleichheit«: Ganz auf dem rechten Flügel der Frauenbewegung steht dagegen die »Evang. Frauenzeitung« (hg. von Paula Müller), das Organ des 1899 in Cassel gegründeten Deutsch-Evangelischen Frauenbundes, der jetzt etwa 5000 Mitglieder in 46 Ortsgruppen zählt.

Die ganze Frauenbewegung befindet sich noch in starker Gärung. Zwischen den einzelnen Richtungen und sogar innerhalb derselben Richtung bestehen noch außerordentlich starke Gegensätze, wie z. B. in Frage von grundlegender Bedeutung, wie z. B. in der Frage nach der Stellung der verheirateten Frau zum Erwerbsleben und zur Hauswirtschaft. Dieses Problem, dessen zentrale Bedeutung für die ganze Frauenbewegung erst neuerdings erkannt worden ist, ist im J. 1905 auf verschiedenen deutschen Frauenkongressen erörtert worden, wobei große Meinungsverschiedenheiten zutage traten. Das ursprünglich sozialistische Ideal, daß auch jede verheiratete Frau künftig einem Berufe außer dem Hause nachzugehen habe, hat, wie bei dem Meinungsaustausch hierüber offenbar wurde, auch in der bürgerlichen Frauenbewegung zahlreiche Anhängerinnen gefunden, doch bewiesen auf der andern Seite auch Vertreterinnen des rücksichtsloseren Standpunktes in der Frauenfrage, wie Frl. Dr. Käthe Schirmacher-Paris, gutes Verständnis für die Bedeutung der hauswirtschaftlichen Tätigkeit der Ehefrau und Mutter und für die gewaltigen Schwierigkeiten der Vereinigung dieser Tätigkeit mit regelmäßiger Berufsarbeit außer dem Hause. Sehr verworrene Anschauungen herrschen in einem Teile der Frauenbewegung ferner über die Fragen der geschlechtlichen Moral. Auch hier bekennt jetzt ein Teil der bürgerlichen Elemente sich zu der sozialdem. Anschauung von dem Recht jeder Frau, auch der unverheirateten, auf Mutterschaft. Als Organ dieser Richtung dient der »Mutterschutz«, Zeitschrift für Reform der sexuellen Ethik (hg. von Frl. Dr. Helene Stöcker). In solchen extremen Bestrebungen verrät sich deutlich der individualistische Ursprung der Frauenbewegung, ebenso in der Unterstützung, welche der Kampf gegen die staatliche Regelung der Prostitution und die internationale Friedensbewegung bei einem großen Teile der Frauenvereine finden. Der Kampf gegen die Prostitution und bes. ihre staatliche Regelung wird von seiten der Frauen vor allem durch die »Fédération abolitionniste internationale« geführt, die aus einer 1875 von der Engländerin Josephine Butler gegründeten Vereinigung entstanden ist. Sie ist auch in Deutschland vertreten; neben ihr verfolgt hier der 1889 von Hanna Bieber-Böhm ins Leben gerufene Verein »Jugendschutz« ähnliche Ziele.

II. Frauenarbeit. Die Erwerbstätigkeit der weiblichen Bevölkerung zeigt in den verschiedenen Ländern viel größere Unterschiede als die der männlichen. Es waren nämlich erwerbstätig:

Frauenfrage. Erwerbstätigkeit der weiblichen Bevölkerung im Vergleich zur männlichen.
Frauenfrage. Erwerbstätigkeit der weiblichen Bevölkerung im Vergleich zur männlichen.

Die großen Schwankungen, die hiernach von Land zu Land in der Beteiligung des weiblichen Geschlechts am Erwerbsleben bestehen, sind zum großen Teil lediglich auf äußerliche Verschiedenheiten der statist. Erhebungsarten zurückzuführen. Die hauswirtschaftliche Tätigkeit der Frauen ist ja kein Beruf im Sinne der Statistik. Die Hausfrauen und Haustöchter sind daher nirgends mit zu den Erwerbstätigen gerechnet worden, während dies bei den Dienstboten für häusliche Dienste allerdings geschehen ist. Zwischen der hauswirtschaftlichen Tätigkeit und der volkswirtschaftlichen Berufsarbeit der Frauen ist aber sehr oft nur äußerst schwer eine Grenze zu ziehen; bes. in der Landwirtschaft gehen beide häufig unmerklich ineinander über. Je nachdem nun die Statistik in zweifelhaften Fällen sich für oder gegen die Annahme einer weiblichen Berufstätigkeit entscheidet, wird das Maß der Frauenerwerbsarbeit größer oder geringer erscheinen. In Großbritannien z. B. werden mithelfende Frauen nicht als erwerbstätig betrachtet. Die niederländ. Statistik betrachtet verheiratete Frauen nur dann als erwerbstätig, wenn sie einen Beruf getrennt von dem ihres Mannes ausüben. Daher rührt es wohl in der Hauptsache, daß die Niederlande von allen europ. Staaten die niedrigste Prozentziffer der erwerbstätigen Frauen haben. In Österreich dagegen hat man alle im Berufe des Familienoberhauptes mithelfenden Familienangehörigen im weitesten Umfange den Erwerbstätigen zugerechnet und ist so, zumal in der Landwirtschaft, zu einer außerordentlich hohen Ziffer von erwerbstätigen Frauen gelangt.

Diese äußerlichen Gesichtspunkte reichen indessen nicht aus, um die großen Verschiedenheiten der Frauenerwerbsarbeit in den einzelnen Ländern zu erklären. Zweifellos bestehen auch tatsächlich in bezug auf den Umfang der Berufstätigkeit des weiblichen Geschlechts sehr erhebliche Unterschiede zwischen den Hauptländern. Und zwar richtet sich das Maß, in dem die Frauen beruflich tätig sind, in erster Linie nach den Einkommensverhältnissen der Männer, wobei allerdings auch die Entwicklung der Anschauungen und Sitten über die Stellung der Frau ein gewichtiges Wort mitspricht. Je mehr der Mann durch seine Arbeit allein verdienen kann, um so weniger entwickelt ist regelmäßig die Frauenberufsarbeit. Aus diesem Grunde namentlich spielt wohl die Mitarbeit der Frau in der nordamerik. Landwirtschaft eine viel weniger bedeutsame Rolle als in der europäischen, wobei freilich auch die wesentlich verschiedene Betriebsweise der erstern zu berücksichtigen ist. Derselbe Umstand erklärt ferner, weshalb 1890 bez. 1895 von je 100 in der Industrie erwerbstätigen Frauen in den Ver. Staaten 10,7, im Deutschen Reiche dagegen 16,5 und in Österreich sogar 23,6 verheiratet waren. Diese Ziffern lassen darauf schließen, daß der Umfang der Fabrikarbeit verheirateter Frauen sich in erster Linie nach dem Stand der Männerlöhne abstuft und mit deren Steigen zurückgeht. Von dem Maße, in dem die verheirateten Frauen erwerbstätig sind, wird aber der Gesamtumfang der weiblichen Berufsarbeit ganz wesentlich mitbestimmt. Als das Gewöhnliche ist es dabei auch in Industriestaaten wie dem Deutschen Reiche heute anzusehen, daß die Frau mit der Verheiratung wieder aus dem Erwerbsleben ausscheidet. Das zeigt sich deutlich darin, daß von den im Alter von 16-20 J. stehenden weiblichen Personen 1895 in Deutschland 66,2 Proz. erwerbstätig waren, während bei den Frauen der Altersklasse zwischen 30 und 40 Jahren der Prozentsatz der Erwerbstätigen nur 23,9 betrug. Zum Vergleich sei erwähnt, daß von je 100 Männern derselben Altersklasse 97,6 erwerbstätig waren.

Die Zahl der erwerbstätigen Frauen in den Hauptberufsgruppen ist für diejenigen Länder, für welche einigermaßen vergleichbare neuere Angaben vorhanden sind, in der folgenden Tabelle (S. 3, oben) angegeben.

Die in dieser Tabelle hervortretenden erheblichen Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern erklären sich zu einem Teil aus der verhältnismäßigen Stärke, mit der die einzelnen Hauptberufszweige unter der Gesamtbevölkerung der fraglichen Staaten vertreten sind, zum andern aber auch aus äußerlichen statist. Gründen. In letzterer Hinsicht kommt hier neben den schon oben angedeuteten Umständen insbes. die abweichende Abgrenzung der einzelnen Berufsgruppen in Betracht. In Großbritannien wird z. B. der ganze Kleinhandel einschließlich der Gast- und Schankwirtschaft den entsprechenden Industriezweigen zugerechnet, so daß dem Handel nur der Großhandel sowie eigentümlicherweise auch alle in Industrieunternehmungen beschäftigten kaufmännischen Angestellten verbleiben.

Frauenfrage. Hauptberufsgruppen der weiblichen Bevölkerung.
Frauenfrage. Hauptberufsgruppen der weiblichen Bevölkerung.

Daß die Zahl der erwerbstätigen Frauen in einer Berufsabteilung die der erwerbstätigen Männer übertrifft, ist nur bei der letzten der in der Tabelle aufgeführten Berufsgruppen (persönliche Dienste) regelmäßig der Fall, wo sich das starke Überwiegen des weiblichen Geschlechts von selbst erklärt (häusliche Dienstboten). Sonst kommt dieser Fall nur ganz vereinzelt vor, so z. B. in der österr. Landwirtschaft, in der 1900 von je 1000 Erwerbstätigen 502 Frauen waren. Das ist lediglich die Folge der genauen Mitzählung der mithelfenden Familienangehörigen in Österreich; von letztern waren 76 Proz. Frauen.

In der eigentlichen Industrie kommt die Erwerbsarbeit der Frauen in der Hautsache in zwei Gewerbegruppen, in der Textilindustrie sowie in der Bekleidungs- und Reinigungsindustrie, vor. In diesen beiden Industrien steht die Zahl der Frauen mit der der Männer annähernd im Gleichgewicht oder übertrifft sie sogar. In weitem Abstande folgt dann die Industrie der Nahrungs- und Genußmittel, in der auch relativ die Frauenarbeit schon stärker zurücktritt, wie folgende Tabelle zeigt. Die Zahl der beschäftigten Personen betrug:

Frauenfrage. Erwerbstätigkeit der weiblichen Bevölkerung in der Industrie.
Frauenfrage. Erwerbstätigkeit der weiblichen Bevölkerung in der Industrie.

Die Entfaltung dieser Industrien hat zwar die hauswirtschaftliche Tätigkeit der Frauen eingeschränkt, dafür ihnen aber neue Erwerbsquellen außer dem Hause eröffnet. Die Zunahme der industriellen Frauenarbeit im 19. Jahrh. ist wesentlich auf die Entwicklung der genannten drei Industriezweige zurückzuführen.

Was endlich die soziale Stellung der erwerbstätigen Frauen in ihrem Berufe anbetrifft, so ist die eigentümlichste Erscheinung auf diesem Gebiete die, daß die Frau im Vergleich mit dem Manne seltener unter den Selbständigen und Angestellten, d. h. in den höhern Stellungen, dagegen häufiger unter den Dienstboten und den mittätigen Familienmitgliedern zu finden ist.

Von je 100 Erwerbstätigen waren 1895 im Deutschen Reiche bei dem männlichen Geschlecht Selbständige 31, Angestellte 5, mittätige Familienangehörige 6, Arbeiter 58, häusliche Dienstboten 0,2; bei dem weiblichen Geschlecht dagegen stellten sich die entsprechenden Prozentsätze in derselben Reihenfolge auf 18, 1, 18, 44 und 20 Proz. In Österreich waren 1900 von je 100 berufstätigen Frauen (Männern) Selbständige 20 (38), Angestellte 1,2 (4,6), Arbeiter und Tagelöhner 27,2 (44,5), mithelfende Familienmitglieder 51,6 (12,9). Ebenso zeigt die franz. Statistik ein Zurücktreten der Frauen bei den Selbständigen und Angestellten. Und dabei ist zu beachten, daß die selbständigen Frauen diese Bezeichnung oft nur sehr wenig verdienen. Die große Zahl von Wäscherinnen und Schneiderinnen, die ihr Gewerbe allein betreiben, und ebenso zahlreiche Heimarbeiterinnen der Konfektions- und andern Industrien werden von der Statistik zu den »Selbständigen« gerechnet! Berücksichtigt man endlich, daß von den weiblichen »Arbeitern« die weit überwiegende Mehrheit als ungelernte Arbeiterinnen beschäftigt werden, so ergibt sich, daß trotz der erheblichen Zunahme der Frauenerwerbsarbeit im 19. Jahrh. das weibliche Geschlecht im eigentlichen Erwerbsleben doch nur eine untergeordnete Rolle spielt und der Schwerpunkt seiner wirtschaftlichen Tätigkeit nach wie vor in der Haus-(Konsumtions-)Wirtschaft liegt.

III. Frauenstudium. Für das Hochschulstudium der Frauen, das in der Zeit der Renaissance keine allzuseltene Erscheinung war, entstand in der zweiten Hälfte des 19. Jahrh. eine sich immer mehr ausbreitende Bewegung. Die Schweizer Universitäten wurden zuerst, seit Anfang der sechziger Jahre, den Frauen geöffnet. Im Jahre 1904 betrug die Zahl der in der Schweiz studierenden Frauen fast 1200, worunter sich aber mehr Ausländerinnen als Inländerinnen (884 Russinnen gegen 120 Schweizerinnen) befanden. Von der Gesamtzahl der Studentinnen studierten 779 Medizin, 18 Jura und 373 Philosophie. Die Schweiz läßt Frauen auch als Dozenten zu. Am größten ist die Zahl der Studentinnen nach der Statistik in der Ver. Staaten. Doch gehört von den 24.863 Studentinnen, welche die neueste Statistik verzeichnet, nur ein ganz kleiner Bruchteil zu den »Studierenden« im deutschen Sinne. Die Mehrzahl der amerik. Universitäten und Hochschulen läßt sich nach ihren Bildungszielen nicht mit den deutschen Hochschulen, sondern nur mit den Gymnasien, Realgymnasien etc. vergleichen. Die Anstalten, welche die Frauen besuchen, sind teils gemischte, teils reine Frauenuniversitäten, letztere im Osten vorwiegend. Die vier ältesten und bedeutendsten der amerik. Universitäten (Harvard, Yale, Columbia und Johnshopkins) lassen die Frauen noch nicht als gleichberechtigt mit den Männern zu. In mancher Hinsicht ähnlich sind die Verhältnisse in dem engl. Mutterlande. Die Universitäten Cambridge und Oxford lassen jetzt die Frauen nach langen Kämpfen zwar zu den Prüfungen zu, verleihen ihnen aber nicht die entsprechenden akademischen Grade. An den übrigen Universitäten in Großbritannien genießen die Frauen meist volle Gleichberechtigung mit den Männern, außerdem gibt es besondere Frauenhochschulen. Bis zum Anfang des 20. Jahrh. waren in Cambridge 1300, in London 1200 Frauen promoviert. Die Mehrzahl der studierenden Frauen in Nordamerika und Großbritannien gehören der philos. Fakultät an und wenden sich dann der Lehrtätigkeit, und zwar zum Teil der an den Universitäten selbst zu. Doch haben auch eine ganze Anzahl Medizin studiert. In Großbritannien gibt es über 200 Ärztinnen, in den Ver. Staaten sollen es schon 5000 sein.

In den skandinav. Ländern, wo die gemeinsame Erziehung beider Geschlechter nach amerik. Muster weit verbreitet ist, sind die Universitäten und die Universitätsprüfungen den Frauen meiste schon länger unter den gleichen Bedingungen zugänglich wie den Männern, in Norwegen auf Grund eines Gesetzes von 1884. Tatsächlich wenden sich in den skandinav. Ländern, die auch weibliche Dozenten kennen, Frauen in erheblicher Zahl dem Studium zu; auf der finnländ. Universität Helsingfors waren in den letzten Jahren durchschnittlich etwa 300 Frauen immatrikuliert.

Geringere Bedeutung als in den bisher erwähnten Staaten besitzt das Frauenstudium in den meisten übrigen Ländern. In den roman. Ländern sind die Frauen zwar fast zu allen Fakultäten zugelassen, so in Spanien, Portugal, Italien (seit 1890), Belgien (seit 1896) – eine Ausnahme machen in Frankreich nur die theol. Fakultäten in Paris und in Montpellier – , allein nur relativ wenig Frauen machen von der ihrem Geschlecht erteilten Erlaubnis Gebrauch, woran neben allgemeinern Ursachen vor allem wohl der Mangel an geeigneten Vorbildungsanstalten die Schuld trägt. Ähnliche Zustände herrschen auch in Österreich, wo seit 1896, und in Ungarn, wo seit 1895 die Universitäten – hier allerdings nur die philos. und mediz. Fakultäten der Universitäten Budapest und Klausenburg – den Frauen geöffnet sind.

Zu den Ländern, wo die Universitäten den Frauen mit am längsten verschlossen blieben, gehört das Deutsche Reich. Lange Zeit wurden Frauen an den deutschen Hochschulen nur als Hörerinnen zugelassen; die eigentliche Immatrikulation blieb ihnen dagegen versagt, was zur Folge hatte, daß sie die Staatsprüfungen nicht ablegen konnten und daß die Zulassung zu den Vorlesungen im Belieben des einzelnen Dozenten stand. An den süddeutschen Hochschulen werden jetzt aber Frauen, welche das Reifezeugnis besitzen, gleich den männlichen Studenten immatrikuliert, in Heidelberg und Freiburg schon seit 1898, in Bayern und Württemberg erst seit 1903 und 1904; auch an den Technischen Hochschulen in Karlsruhe und in München können jetzt Frauen das volle akademische Bürgerrecht erwerben. Infolgedessen werden Frauen jetzt zu den entsprechenden Staatsprüfungen (für Ärzte, Apotheker, Zahnärzte) zugelassen. Die in den letzten Jahren an verschiedenen Orten errichteten Handelshochschulen waren meistenteils von Anfang an den Frauen unter den gleichen Bedingungen zugänglich wie den Männern. Die Gesamtzahl der studierenden Frauen an den deutschen Universitäten betrug im Sommersemester 1905 beinahe 1200; davon waren aber nur 137 immatrikuliert.

Die weitere Zunahme des Frauenstudiums in Deutschland hängt naturmäßig in erster Linie von der Vermehrung der Gelegenheiten zur Erwerbung des Reifezeugnisses für das weibliche Geschlecht ab. Dabei kommen zwei Einrichtungen in Betracht: die Eröffnung der jetzt allein für die Knaben bestimmten Anstalten auch für Mädchen, sowie die Schaffung besonderer Mädchengymnasien oder -Realgymnasien etc. Während in einer Reihe von Staaten (z. B. in den Ver. Staaten, den Niederlanden, den skandinav. Ländern etc.) die gemeinsame Erziehung beider Geschlechter auch in den höhern Schulgattungen schon seit lange in großem Umfange besteht, hat man in Deutschland erst in allerjüngster Zeit vereinzelt mit der Zulassung von Mädchen zu den Gymnasien, Realgymnasien und Oberrealschulen begonnen (in Baden 1900, in Württemberg 1901, in Hessen 1904). In der Hauptsache waren daher Mädchen, die sich auf das Studium vorbereiten wollten, auf den Besuch der in einer Anzahl deutscher Großstädte begründeten besondern Mädchengymnasien oder -Realgymnasien angewiesen. Solcher Anstalten mit gymnasialem bez. realgymnasialem Unterricht gab es Ende 1905 in Deutschland mehr als 30. Die betreffenden Anstalten, die zum großen Teil auf Anregung des Vereins »Frauenbildung – Frauenstudium« gegründet worden sind, besitzen zum Teil den Charakter von städtischen Schulen, so in Karlsruhe, Charlottenburg, Berlin-Schöneberg, Breslau, Hannover, Mannheim, Magdeburg. In diesem Falle schließt sich ihr Unterricht gewöhnlich organisch an den der höhern Mädchenschulen an (nach dem 6. oder 7. Schuljahre der letztern beginnend). Zum Teil verdanken die Einrichtungen aber auch der Privatinitiative ihre Entstehung, so in Cassel, Köln, Leipzig, Dresden, Erfurt, Essen, Frankfurt a. M., Hamburg, Königsberg, München etc., und in diesem Falle fehlt dann die Verbindung mit bestimmten höhern Mädchenschulen. Genaue Auskunft über die einzelnen Anstalten sowie überhaupt über alle den Frauen offenstehenden Berufe finden sich in dem »Handbuch der Frauenbewegung«, hg. von Helene Lange und Gertrud Bäumer, V. Teil: »Die deutsche Frau im Beruf«, bearbeitet von Josephine Levy-Rathenau und Lisbeth Wildbrandt (Berl. 1906).

In Rußland hat das Frauenstudium nur in der Medizin eine größere Bedeutung erlangt. Dort wurden 1872 vom Staate mediz. Kurse für Frauen eingerichtet, aber 1881 wieder geschlossen. 1897 wurde in Petersburg ein Mediz. Institut für studierende Frauen eröffnet, dem ein gleiches in Moskau folgen soll. In Rußland sind auch bereits zahlreiche vom Staate oder von den Gemeinden angestellte weibliche Ärzte tätig. 1901 wurden in Petersburg auch pharmazeut. Kurse für Frauen eingerichtet und 1903 daselbst die erste Apotheke von Frauen mit einer Apothekerschule eröffnet. Außerdem bestehen höhere Frauenkurse (hi storisch-philologische-mathematische) in Petersburg und Moskau, pädagogische in Moskau und Odessa, ein Pädagogisches Institut für Frauen in Petersburg, mehrere Lehrerinnenseminare u. a.

IV. Die polit. Rechte der Frauen. Polit. Rechte, und zwar meist auch nur in beschränktem Umfange besitzen, die Frauen gegenwärtig lediglich in einer Reihe german. Länder, zu denen jedoch das Deutsche Reich nicht zu rechnen ist. In den roman. und slaw. Ländern findet sich nur vereinzelt, wohl als eine Erinnerung an primitive Wirtschaftszustände, ein Frauenstimmrecht. So stimmt in der russ. Dorfgemeinde die Frau als Haushaltungsvorstand, wenn der Mann abwesend oder verstorben ist, und zwar persönlich, während in den Städten die Hausbesitzerinnen und Steuerzahlerinnen nur durch Bevollmächtigte stimmen dürfen.

Am weitesten gehen die polit. Rechte der Frauen in einigen Staaten der nordamerik. Union und Australiens. In ersterer haben vier Staaten den Frauen das volle kommunale und polit. (aktive und passive) Wahlrecht gegeben: Whoming (seit 1869), Utah (1870), Colorado (1893), Idaho (1896). Kansas gewährte 1887 den Frauen das allgemeine, aktive und passive Gemeindewahlrecht. Außerdem besitzen die Frauen in weitern 20 Staaten das Stimmrecht wenigstens für die Schulwahlen. In Kanada üben die Steuerzahlerinnen das aktive Gemeinde- und Schulwahlrecht aus. Von den austral. Staaten hat Südaustralien 1896 den Frauen bei den kommunalen und polit. Wahlen das aktive und passive Wahlrecht unter den gleichen Bedingungen wie den Männern verliehen. In Neuseeland, Westaustralien, Neusüdwales und Tasmanien haben sie seit den neunziger Jahren das aktive Wahlrecht bei Gemeinde- und Staatswahlen, in den beiden ältesten Kolonien Victoria und Queensland nur das aktive Gemeindewahlrecht. Für das Bundesparlament des 1900 gegründeten austral. Staatenbundes sind die Frauen des sechs beteiligten Kolonien unter denselben Bedingungen wie die Männer wahlberechtigt. Das hat zur Folge, daß sie in Victoria und Queensland zwar für das Bundes-, aber nicht für das eigene Staatsparlament wählen dürfen.

In den german. Staaten Europas ist das Stimmrecht der Frauen überall auf Gemeinde- und ähnliche Wahlen beschränkt. In Norwegen besitzen die Steuerzahlerinnen seit 1901 das aktive und passive Gemeindewahlrecht, nachdem sie schon seit 1891 in die Armenkommission wählbar waren. In Kristiania wurden 1902 sechs Frauen in die Stadtverwaltung gewählt. In Schweden (seit 1862), Finnland (1865), Dänemark (1903) haben die Frauen nur das aktive Gemeindewahlrecht, und zwar in Finnland nur die unverheirateten, während in Schweden die Frau es auch bei ihrer Heirat behält. Ebenso haben in England, Schottland und Wales die Steuerzahlerinnen das aktive Gemeindewahlrecht wieder bekommen, das sie schon bis 1835 theoretisch besessen hatten, aber ohne es praktisch auszuüben. Das passive Wahlrecht ist den Frauen in ganz Großbritannien und Irland zu den Schul-und den Armenverwaltungen gewährt. In Österreich stimmen seit 1849 die Grundbesitzerinnen und Steuerzahlerinnen durch Abgeordnete bei den Gemeindewahlen und seit 1861 auch für die Provinziallandtage; in Niederösterreich ist ihnen das letztere Recht allerdings 1888 wieder genommen worden. In der Schweiz endlich dürfen die Frauen das Gemeindewahlrecht nur in Vertretung ihrer abwesenden Männer ausüben. In Deutschland besitzen die Frauen zwar in einzelnen Bundesstaaten das aktive Wahlrecht in Gemeindeangelegenheiten; sie dürfen es aber nur durch Vermittlung männlicher Personen ausüben.[615]

Quelle:
Brockhaus' Kleines Konversations-Lexikon, fünfte Auflage, Band 1. Leipzig 1911., S. 615-616.
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