Grenzbegriffe

[412] Grenzbegriffe sind Begriffe, die als Inhalt die Existenz eines Transcendenten[412] (6. d.) enthalten, ohne dessen Qualitäten (adäquat) mitzuenthalten, oder Begriffe, die bis zur Grenze unseres Erkennens führen, deren Inhalt zugleich für die subjective wie für die objective Wirklichkeit gilt. – KANT versteht unter einem Grenzbegriff einen Begriff, der die Ansprüche der Sinnlichkeit begrenzt, einschränkt und der zugleich bis zur Grenze unseres Erkennens führt, indem er etwas denkend setzt, ohne es qualitativ, positiv bestimmen zu können. Dieses Etwas ist das »Noumenon« (s. d.), das als übersinnlich, rein rational gedachte Ding. »Am Ende aber ist doch die Möglichkeit solcher Noumenorum gar nicht einzusehen, und der Umfang außer der Sphäre der Erscheinungen ist (für uns) leer, d. i. wir haben einen Verstand, der sich problematisch weiter erstreckt als jene, aber keine Anschauung, ja auch nicht einmal den Begriff von einer möglichen Anschauung, wodurch uns außer dem Felde der Sinnlichkeit Gegenstände gegeben, und der Verstand über dieselbe hinaus assertorisch gebraucht werden könne. Der Begriff eines Noumenon ist also bloß ein Grenz-begriff, um die Anmaßung der Sinnlichkeit einzuschränken, und also nur von negativen Gebrauche. Er ist aber gleichwohl nicht willkürlich erdichtet, sondern hängt mit der Einschränkung der Sinnlichkeit zusammen, ohne doch etwas Positives außer dem Umfange derselben setzen zu können« (Kr. d. r. Vern. S. 235). »Unser Verstand bekommt nun auf diese Weise eine negative Erweiterung, d. i. er wird nicht durch die Sinnlichkeit eingeschränkt, sondern schränkt vielmehr dieselbe ein, dadurch daß er Dinge an sich selbst (nicht als Erscheinungen betrachtet) Noumena nennt. Aber er setzt sich auch sofort selbst Grenzen, sie durch seine Kategorien zu erkennen, mithin sie nur unter dem Namen eines unbekannten Etwas zu denken« (l.c. S. 236). Nach A. LANGE ist das Ding an sich (s. d.) ein bloßer Grenzbegriff. Nach ULRICI ist ein Grenzbegriff »ein solches Wissen, das von der einen Seite als Wissen, von der andern als Nichtwissen sich ausweist« (Gott u. d. Nat. S. 617). RIEHL nennt Raum und Zeit »empirische Grenzbegriffe, deren Inhalt in gleichem Grade für das Bewußtsein wie für die Wirklichkeit selber gültig ist« (Philos. Krit. II, 1, 73). Nur die »Grenzen«, nicht das An-sich, der Dinge sind erkennbar.

Quelle:
Eisler, Rudolf: Wörterbuch der philosophischen Begriffe, Band 1. Berlin 1904, S. 412-413.
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