|
[3] Der Gegenstand dieses Wörterbuches ist die Geschichte der philosophischen Begriffe und Ausdrücke auf Grundlage der Schriften der Philosophen, so daß diese möglichst selbst zum Worte kommen. Jeder philosophische Terminus wird zunächst vom Herausgeber begrifflich bestimmt und sodann gezeigt, welche Bedeutung derselbe und welchen Inhalt der durch ihn vertretene Begriff bei den verschiedenen Philosophen des Altertums, des Mittelalters, der neueren und der jüngsten Zeit besitzt, Nicht alles, was von allen Philosophen jemals über den Sinn der Begriffe gesagt wurde, konnte angeführt werden, eine Auswahl mußte naturgemäß getroffen werden, aber es wurde danach gestrebt, möglichst viel typische Begriffsbestimmungen aufzunehmen, so daß wenigstens eine relative Art »Vollständigkeit« erzielt werden konnte. Das Hauptgewicht wurde auf die eigentlich philosophischen Begriffe gelegt, doch sind auch wichtigere angrenzende Begriffe und Termini berücksichtigt worden; Begriffe, die weniger philosophische Theorien, Deutungen, Bestimmungen ausdrücken als concrete, erfahrungsmäßig – allgemeingültig festlegbare Tatsachen, sind teilweise nur kurz, mit Heranziehung einiger Hauptquellen, erörtert worden (z.B. Gehörsinn, Affinität, Freude u. dergl.). Betont muß werden, daß wenn etwas unter dem einen Schlagworte vermißt wird, es sich noch finden kann: 1. bei verwandten Ausdrücken, 2. in den Nachträgen im Anhang, wo auch Berichtigungen zu finden sind. Ferner sei bemerkt, daß der Herausgeber noch während des (lange Zeit im Anspruch nehmenden und daher früh begonnenen) Druckes[3] weiteres Material sammelte; dasselbe ist im Texte so weit verwertet, als dieser noch nicht gedruckt war, zum anderen (kleineren) Teile aber im Nachtrag angebracht; viele Autoren und Begriffsbestimmungen, die in den vorderen Partien des Buches noch nicht vorkommen, treten in späteren Teilen noch auf.1 Teils die verhältnismäßige Kürze der Zeit, die dem Herausgeber vergönnt war, teils die Unmöglichkeit, alle gewünschten Werke rechtzeitig zu erhalten, sind schuld an diesem sowie an dem Umstande, daß auch in dieser zweiten Auflage noch manches fehlt, was immerhin hätte berücksichtigt werden können. Wer also gewisse Lücken findet, möge nicht etwa glauben, daß sie aus Mißachtung bestimmter Autoren entspringen, sondern möge sie den Schranken, denen solch eine Arbeit begegnet, zuschreiben.
Die Anordnung des Materials ist so getroffen worden, daß in erster Linie die Übersichtlichkeit des Stoßes gesichert wurde. Die logisch-systematische und die chronologisch-genetische Dispositionsweise wurden nach Möglichkeit miteinander combiniert. Auf allzu subtile Einteilungen kam es hier, in einem Wörterbuche, nicht so sehr an, verführt doch eine solche, die gewöhnlich durch allerhand Voraussetzungen und Annahmen bedingt ist, selbst also den Charakter einer Theorie, einer Hypothese hat, zur Subjectivierung der Darstellung, während doch dem Herausgeber an möglichster Objektivität lag; diese ist denn auch von der Kritik anerkannt worden. Den eigenen Standpunkt, den der Fachmann als einen in so mancher Beziehung selbständigen erkennen wird, hat der Herausgeber in den an der Spitze der einzelnen Artikel stehenden Begriffsbestimmungen zwar kurz, präcis, aber, wie er glaubt, nicht unwissenschaftlich, entwickelt.
Begriffe sind der Niederschlag von Einsichten in das Constante, Allgemeine, Charakteristische, Typische einer Gruppe von Objecten, die Concentrierung und Fixierung des in einer Reihe von Urteilen Gedachten. Sie enthalten das »Wesen« einer Klasse von Objecten. Dieses »Wesen« ist aber nicht etwa das »Ding an sich«, sondern das, was dem Denkenden als logisch wichtig, bedeutsam erscheint, und das hängt sehr vom Standpunkt und von der Individualität des[4] Denkenden ab. Daher repräsentieren insbesondere die philosophischen Begriffe ganze Theorien, Hypothesen, Deutungen, Wertungen, ein jeder von ihnen will eine Seite der Objecte erfassen, fixieren. Die Verschiedenheit der philosophischen Charaktere bringt Einseitigkeiten in der begrifflichen Bestimmung der Dinge mit sich, der Stand der wissenschaftlichen Forschung, der Einfluß der Religion, Gesellschaft, Moral, Rasse u.a.m., sie wirken auf die Gestaltung, auf den Inhalt der Begriffe ein. Dazu kommt der Wechsel der Bedeutung der Ausdrücke, der seinen Grund teils in der Subjectivität der Philosophen, teils in allgemeinen Zweckmäßigkeitserwägungen hat. Endlich führt die Notwendigkeit, neuen Begriffen entsprechende Fixationspunkte zu geben, zu neuen »Fachausdrücken«. Diesen Wechsel in der Bedeutung der Begriffe und Ausdrücke, diese Veränderung von Quantität, Qualität, Wert der Begriffsinhalte will das vorliegende Wörterbuch erkennen lassen.Es will zeigen, was jeder Philosoph mit den von ihm in seinen Schriften gebrauchten, aber nur stellenweise definierten Ausdrücken meint, und welchen Inhalt die von ihm verwendeten Begriffe im Unterschiede von anderen Denkern haben. Es will damit auch die Quintessenz der Theorien und Weltanschauungen der verschiedenen Denker durch diese selbst formulieren lassen. Der Unterschied wissenschaftlich-präciser von der »naiven« Begriffsbestimmung soll dem »Laien« klar werden. Unterscheiden sich doch die philosophischen Begriffe von den »populären« hauptsächlich dadurch, daß in ihnen dasjenige, was der »Naive« functionell, unterbewußt denkt, mit voller Besonnenheit, mit der Klarheit und Bewußtheit der Apperception erfaßt und fixiert wird. Gerade die Einseitigkeiten und Halbheiten der Begriffsbestimmungen aber sind notwendig, damit im Fortgange der philosophischen Evolution allmählich das wahre Wesen der Dinge, nach Überwindung der Einseitigkeiten, Irrtümer und Widersprüche, an den Tag komme. Die Kenntnis der verschiedenen, einander ergänzenden »Meinungen« ist für den nach Objectivität des Erkennens Strebenden wertvoll.
Solch eine Kenntnis wird zunächst durch das Studium der klassischen Autoren selbst erworben. Teils zum besseren Verständnis dieser, teils um auch andere, dem Nichtfachmanne ferner liegende Philosophen kennen zu lernen, also zur Vorbereitung und[5] Ergänzung des philosophischen Studiums, dienen die philosophiegeschichtlichen Werke. Da diese aber in der Regel die Philosophen in toto als Systematiker behandeln und den Stoff nach Perioden und Denkern anordnen, so sind auch Werke notwendig, welche eine Geschichte nicht der Philosophen, sondern der Begriffe geben. Eine vollständige, allumfassende, ausführliche Geschichte aller philosophischen Begriffe gibt es naturgemäß noch nicht, sie muß erst allmählich entstehen. Das Bedürfnis nach Übersicht über die historische Gestaltung der Begriffe kann daher bis jetzt nur befriedigt werden durch das Studium: 1. der vorhandenen Monographien2), 2. einiger Speciallexika3, 3. durch allgemeine philosophische Wörterbücher4), deren es eine Anzahl gibt. Während diese aber das Historische nur nebenbei berücksichtigen und ihren Hauptzweck darin setzen, eine philosophische Enzyklopädie, ein lexikalisches Compendium der Philosophie und Psychologie abzugeben, ist das vorliegende Wörterbuch in erster Linie historisch. Insofern unterscheidet es sich von allen anderen Werken dieser Art, vor allem durch die im wesentlichen consequente Durchführung der quellenmäßigen, bezw. auch der wörtlichen (im Originaltext oder in Übersetzung) Darstellung. Das Wörterbuch bietet ein ausgewähltes,[6] geordnetes Quellenmaterial für vergleichende und kritische Untersuchungen, es erleichtert dem Fachmanne die Arbeit nach verschiedenen Richtungen, besonders demjenigen, der nicht eigentlich Historiker der Philosophie ist. Dem Schriftsteller und Lehrer gibt es Citatenstoff, dem Studierenden und Laien kann es zum leichteren Verständnis bei der Lektüre und beim Studium und es kann ihm als Hand- und Hilfsbuch für die Orientierung in der Entwicklung der philosophischen Begriffe dienen. Es kann ferner zum eigenen Denken anregen. Zahlreiche Zuschriften haben dem Herausgeber dargetan, daß er mit seinem Buche einem Bedürfnisse entgegenkam. Nur möge man beachten, daß das »Wörterbuch« nicht eine Geschichte der Philosophie überhaupt sein, nicht eine solche ersetzen will, sondern daß es die Benutzung einer solchen voraussetzt, welche es ergänzen will. Bibliographisches z.B. bringt es nicht, zumal es schon ein eigenes biographisch-philosophisches Wörterbuch (von L. Noack, 1879) gibt.
Gegenüber der ersten Auflage weist die vorliegende besonders folgende Vorzüge auf: 1. Eine bedeutende Vermehrung des Stoffes (der Schlagworte wie der Citate); 2. eine systematischere, übersichtlichere Anordnung; 3. genauere und meist ausführlichere Begriffsbestimmungen seitens des Herausgebers; 4. umfassendere Berücksichtigung der Ethik, Ästhetik, Religions-, Rechts-, Socialphilosophie sowie 5. der neueren ausländischen Autoren.5
Der meist wohlwollenden, wenn auch zuweilen strengen Kritik spricht der Herausgeber für verschiedene nützliche Fingerzeige seinen Dank aus. Ebenso dankt er dem PÜblikum für die über Erwarten günstige Aufnahme seines Buches, die ihn für seine nicht geringen Anstrengungen entschädigt.6)
Wien, Oktober 1903.
Der Herausgeber.[7]
1 | Ein Urteil über den Grad der Reichhaltigkeit des Buches ist daher erst nach Kenntnis des Gesamtwerkes möglich. |
2 | Zu diesen ist auch R. EUCKENS »Geschichte und Kritik der Grundbegriffe der Gegenwart«, 1878, zu rechnen; vgl. desselben Autors »Geschichte der philosophischen Terminologie im Umriß«, 1879. Vgl. WINDELBAND, »Gesch. d. Philos.« 2. A. |
3 | MEISSNER, »Philosoph. Lexikon aus Wolffs deutschen Schriften«, 1737. MELLIN, »Kunstsprache der krit. Philosophie«, 1798; »Encyklopäd. Wörterbuch d. krit. Philos.« 1797-1803; »Marginalien und Register zu Kants Kritik der Erkenntnisvermögen«, 1794-95. G. WEGNER, »Kant-Lexicon«, 1893. FRAUENSTÄDT, »Schopenhauer-Lexicon«, 1871. L. SCHULZE, »Thomas-Lexicon«, 1895. M. KAPPES, »Aristoteles-Lexicon«, 1894. BOURDET, »Vocabulaire des principaux termes de la philosophie positive«, 1875. J. J. Wagner, »Wörterb. d. Platon. Philos.«, 1799. |
4 | GOCLENIUS, »Lexicon philosophicum«, 1613. MICRAELIUS, »Lexicon philosophicum«, 1653. MARTINI, FOGELII »Lexicon philosophicum«, 1689. WALCH, »Philosoph. Lexicon«, 1726. CHAUVIN, »Lexicon rationale«, 1692. LOSSIUS, »Neues philosoph. allgemein. Real-Lexicon«, 1803. KRUG »Allgemeines Handwörterbuch der philosoph. Wissenschaften«, 1827 ff. Vgl. auch BAYLE, »Dictionnaire histor. et critique«, 1695-97. VOLTAIRE, »Dictionnaire philosophique«, 1764. Von neueren Wörterbüchern seien erwähnt: A. FRANCK, »Dictionnaire des sciences philosophique«, 1844-52, 3. A. 1885. A. BERTRAND, »Lexique de philosophie«, 1893. J. R. THOMSON, »A Dictionary of philosophy«, 1887; W. FLEMMING, »Vocabulary of Philosophy«, 4. A. 1887. BALDWIN, »Dictionary of Philos. and Psychol.«, 1901 ff. E. KIRCHNER, »Wörterbuch der philosoph. Grundbegriffe«, 4. Aufl. von C. Michaëlis, 1902 (populär). |
5 | Soweit deren Werke hier zu erlangen war. Eine noch umfassendere Berücksichtigung (auch deutscher Autoren) behält sich der Herausgeber für eine event. neue Auflage vor. |
6 | Die Nachträge, sowie das Literatur-Register befinden sich am Schluß des zweiten Bandes. |
Buchempfehlung
Die tugendhafte Sara Sampson macht die Bekanntschaft des Lebemannes Mellefont, der sie entführt und sie heiraten will. Sara gerät in schwere Gewissenskonflikte und schließlich wird sie Opfer der intriganten Marwood, der Ex-Geliebten Mellefonts. Das erste deutsche bürgerliche Trauerspiel ist bereits bei seiner Uraufführung 1755 in Frankfurt an der Oder ein großer Publikumserfolg.
78 Seiten, 4.80 Euro
Buchempfehlung
Im nach dem Wiener Kongress neugeordneten Europa entsteht seit 1815 große Literatur der Sehnsucht und der Melancholie. Die Schattenseiten der menschlichen Seele, Leidenschaft und die Hinwendung zum Religiösen sind die Themen der Spätromantik. Michael Holzinger hat elf große Erzählungen dieser Zeit zu diesem Leseband zusammengefasst.
430 Seiten, 19.80 Euro