[75] Bradley, Francis Herbert, Prof. in Oxford, geb. 1846. B. ist ein von Kant und Hegel beeinflußter »kritischer Idealist«, der aber den Intellektualismus teilweise bekämpft und auch dem Gefühl eine Rolle im Erkennen zuschreibt. (Nach B. ist das Universum nicht ein »ungreifbarer Einschlag gespenstiger Abstraktionen oder ein überirdisches Ballet blutleerer Kategorien«.) Wahrheit und Wirklichkeit decken sich nicht. Dies zeigt nächst die Theorie des Urteils. Dieses ist logisch die Qualifizierung der Wirklichkeit durch einen Begriff, indem es einen ideellen Inhalt auf die Wirklichkeit bezieht (»the act which refers an ideal content... to a reality beyond the act«). Der »ideelle Inhalt«, die »logische Idee« ist die Bedeutung des Gedachten, nicht ein psychisches Gebilde, sondern ein Symbol für das Wirkliche, das diesem aber nie adäquat ist, obzwar es ein Teil der Wirklichkeit selbst ist(»No idea can be real«). Das Prädikat ist ein Zeichen für die Wirklichkeit, die Wirklichkeit selbst ist das Subjekt des Urteils (l. c. I, 2). Die Wahrheit des Urteils ist allgemein, begrifflich, relativ; das Denken ist ideell und einseitig und kann die konkrete, individuelle, volle Wirklichkeit nicht als solche erreichen. Die Wirklichkeit ist konkret, einheitlich zusammenhängend, individuell, alle Verschiedenheit in einer umfassenden Harmonie einschließend, Für sich-Sein (»self-existent«), die Begriffe aber, durch welche wir sie bestimmen, sind allgemein und unselbständig (»general and adjectival«). Insofern etwas als einzelnes Gedachtes dem absolut Wirklichen nicht entspricht, indem es in sich widerspruchsvoll ist, ist es, mag es auch »existieren«, Erscheinung. Die Erscheinung ist, als das Widerspruchsvolle, Relative unwirklich, wenn sie auch in der Wirklichkeit selbst eine Stelle hat. Die Dinge[75] als einzelne, unselbständige Denkobjekte, die Relationen aller Art: Raum, Zeit, Kausalität, Veränderung, Bewegung sind phänomenal, enthalten einen »Widerspruch« in sich selbst. Auch das Ich ist Erscheinung. Leib und Seele sind nur »phänomenale Konstruktionen«. Die Wirklichkeit darf aber nicht widerspruchsvoll sein: Übereinstimmung mit sich selbst (»selfconsistency«) ist ihr Kriterium (»Ultimate reality is such, that it does not contradict itself«). In ihr müssen alle Differenzen, Widersprüche, Gegensätze der Erscheinungen aufgehoben sein, sie muß alle Erscheinungen als aufgehobene Momente enthalten, Subjekt und Objekt umspannen, absolute Totalität sein. Das Absolute ist eine individuelle lebendige, geistige Einheit, wie sie ähnlich in unserem noch undifferenzierten Gefühl sich darstellt, ein harmonisches »System«, die allumfassende, sich selbst durchdringende (»self-pervading«) Erfahrung, die sich in den Subjekten und Objekten entfaltet, so daß in der Einheit des göttlichen Geistes alles Einzelne beschlossen und aufgehoben »transformiert« ist (absoluter Idealismus). Die volle Harmonie des Seins ist für das an Relationen gebundene Denken ein nie erreichtes Ideal.
SCHRIFTEN: Ethical Studios, 1876. – The Principles of Logic, 1883. – Appearance and Reality, 1893; 2. ed. 1897. – Abhandlungen im »Mind« (VIII, IX, XI, XII, XIII u. ff.). – Vgl. H. EVANS, F. H. B.s Metaphysik, 1902.