Driesch, Hans

[136] Driesch, Hans, geb. 1867, Privat-Dozent in Heidelberg.

D. ist ein vitalistischer Biologe, der erkenntnistheoretisch von Kant (Annahme eines A priori, Kategorien als Bedingungen der Natur), naturphilosophisch von Aristoteles, Ed. v. Hartmann u. a. beeinflußt ist. Das Leben ist etwas Autonomes, es hat eine Eigengesetzlichkeit. ist mechanisch nicht restlos zu erklären. Die Prozesse der Regulation, Restitution, Regeneration, Selbststeuerung, die Tatsache der »harmonischen Äquipotentialität« (Umgestaltung von Bruchstücken des Organismus zu einem verkleinerten Ganzen), die Tatsache der »Handlung«, der historisch-individuelle Faktor des Lebens, der die Funktionen immer im bestimmten Sinne ausfallen läßt, zwingen zu einer dynamischen Teleologie. Was in den Organismen zweckmäßig wirkt und auch der »prospektiven Potenz« des Keimelementes zugrunde liegt, ist ein besonderer Naturfaktor, dem Psychischen analog (»Psychoid«), aber nicht psychologisch-subjektiv, sondern objektiv, als »Entelechie« zu bestimmen, als ein nicht-energetisches, das Ziel in sich tragendes und verwirklichendes Prinzip, eine Konstante höchster Art, welche gestaltend, organisierend, hemmend und regulierend wirkt. Sie ist die »Individualitätskonstante«, indem die Individualität nach D. eine eigene Kategorie ist. Eine der Hauptkomponenten der Handlungen ist die »historische Reaktionsbasis«, die individuelle Geschichte des Organismus. »Entelechie« ist die Grundlage des Ursprungs eines organischen Körpers und die Grundlage der Handlung: sie ist eine Mannigfaltigkeit typischer Art, keine Maschine, sondern eine »intensive Mannigfaltigkeit«, deren Leistung nicht räumlich ist, wenn sie auch Räumliches schafft. Es gibt verschiedene Arten von Entelechien (Entelechia morphogenetica, E. psychoidea usw.).

Zu betonen ist: »Es gibt freilich im Organismus viele Prozesse vom statisch-teleologischen Typus, d.h. Prozesse, welche auf Grundlage einer maschinellen Basis teleologisch oder zweckmäßig verlaufen; aber die Entelechie hat diese Basis geschaffen; und so hat statische Teleologie ihre Wurzel in dynamischer Teleologie.« Ferner: »Entelechie kann zur Entfaltung gebracht[136] werden durch eine Veränderung in der körperlichen Natur..., und auf der anderen Seite kann Entelechie ihrerseits zu Änderungen der körperlichen Natur führen.« Da der Entelechie alle quantitativen Kennzeichen fehlen, sie nur »beziehende Ordnung« ist, kann sie nicht Energie sein. Sie kann Energie nicht vermehren, nicht auslösen, nicht in ihrer Richtung verändern, sondern nur mögliches Geschehen so lange »suspendieren«, wie sie es nötig hat. Sie ist nur fähig, »diejenigen Reaktionen, welche zwischen den in einem System vorhandenen Verbindungen möglich sind und ohne die Dazwischenkunft von Entelechie geschehen würden, so lange zu suspendieren, wie sie es nötig hat«. »Wir lassen Entelechie nur das in Aktualität setzen, was sie selbst vordem gehindert, was sie selbst suspendiert hatte« (Philos. d. Organischen II). Die Selektion ist nur ein negativer Entwicklungsfaktor, sie setzt das Zweckmäßige schon voraus und ist nur Ausmerzung des Unzweckmäßigen. Die »Finalität« ist eine Unterklasse der Kategorie der Individualität. Was wirkt, ist nicht das Ende, sondern »das. Ende in seiner Einbildung haben«. Der übliche psychophysische Parallelismus ist abzulehnen. Es gibt nur einen »Parallelismus« zwischen dem bewußten Selbsterlebten der intrapsychischen Reihe und den Tätigkeiten des »Psychoid«. Metaphysisch aber tritt das Wirkliche, dessen beide Seiten das Psychische und das Psychoid sind, mit dein Wirklichen, welches wir in der Erscheinungsform des Mechanischen oder Energetischen kennen, in Wechselwirkung. – Die Natur besteht aus einem vollständig räumlichen und aus einem nur teilweise räumlichen Teile; sie ist also nicht bloß ein mechanisches System. Eine Kategorie ist auch die »Moralität«, die ein Bestandteil der (idealen) Natur ist, Gott oder das Absolute ist die primäre Entelechie der Bauordnung der Welt.

SCHRIFTEN: Über d. Grundlagen der Erkenntnis, 1890. – Die Biologie als selbständige Grundwissenschaft, 1893, – Die organischen Regulationen, 1901. – Analyt. Theorie d. organischen Entwicklung, 1894. – Die »Seele« als elementarer Naturfaktor, 1903. – Die Maschinentheorie d. Lebens, 1896. – Naturbegriffe und Natururteile, 1904. – Der Vitalismus, 1905. – Philosophie d. Organischen, 1909. – Über den Begriff »Natur«, Bericht über den III. int. Kongreß f. Philos., 1909, S. 512 ff. – Zwei Vorträge zur Naturphilosophie, 1910, u. a.

Quelle:
Eisler, Rudolf: Philosophen-Lexikon. Berlin 1912, S. 136-137.
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