Ebbinghaus, Hermann

[146] Ebbinghaus, Hermann, geb. 1850 in Barmen, Prof. in Halle, zuletzt Prof. in Breslau u. Herausgeber der »Zeitschr. f. Psychol. u. Physiol. d. Sinnesorgane«, gest. 1908.

E. nimmt in der Psychologie einen vermittelnden Standpunkt ein. Ohne Anhänger des psychologischen Atomismus zu sein, hält er die Zerlegung des Bewußtseins in Elemente für notwendig. Bei der Assoziation stellt die Seelemöglichst »die umfassenderen Verbände und größeren Einheiten wieder her, in denen sie das gegenwärtig fragmentarisch und lückenhaft in ihr Hervorgerufene früher erlebt hat«. Die Aufmerksamkeit besteht in dem »lebhaften Hervortreten und Wirksamwerden einzelner seelischer Gebilde auf Kosten anderer«. Die Gefühle sind »Nebenwirkungen derselben Ursachen, die den begleitenden Empfindungen und Vorstellungen zugrunde liegen«. Es gibt keine einfachen Willensakte, sondern nur Kombinationen von Empfindung (bezw. Vorstellung) und Gefühl; Wille im engeren Sinn ist der »vorausschauend gewordene Trieb«. Das Gedächtnis weist folgendes Gesetz auf: »Die Quotienten aus Behaltenem und Vergessenem verhalten sich etwa umgekehrt wie die Logarithmen der verstrichenen Zeit.« Alle psychischen Prozesse haben biologische Bedeutung, dienen Lebenszwecken. Seele und Nervensystem sind »ein und derselbe Verband, nur dieser in verschiedenen und auseinander fallenden Manifestationsweisen. Seele ist dieser reichhaltige Verband, so wie er sich gibt und darstellt für seine eigenen Glieder, für die ihm angehörigen Teilrealitäten. Gehirn ist derselbe Verband, so wie er sich anderen analog gebauten Verbänden darstellt« (Identitätstheorie). Es besteht ein psychophysischer Parallelismus, keine Wechselwirkung zwischen Seele und Leib.

SCHRIFTEN: Über das Gedächtnis, 1885. – Theorie d. Farbensehens, 1893. – Neue Methode zur Prüfung geistiger Fähigkeit, 1897. – Grundzüge der Psychologie I, 2. A. 1905. – Abriß d. Psychol., 1908; 2. A. 1909 (vgl. Kultur der Gegenwart I, 6). – Über erklärende u. beschreib, Psychol., Zeitschr. f. Psych. IX (gegen Dilthey), u. a.

Quelle:
Eisler, Rudolf: Philosophen-Lexikon. Berlin 1912, S. 146.
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