Haeckel, Ernst

[221] Haeckel, Ernst, geb. 16. Februar 1834 in Potsdam, seit 1865 Prof. der Zoologie in Jena.

H. ist der Hauptvertreter des naturalistisch-evolutionistischen Monismus in Deutschland. Er ist ein scharfer Gegner aller transzendenten Spekulation, alles Theismus, Dualismus, Spiritualismus, aller Teleologie. Gegenüber Dubois-Reymond hält er alle »Welträtsel« für lösbar. Alle unsere Begriffe stammen aus der Erfahrung. Ein »Ding an sich« gibt es nicht; dann aber heißt es wieder, wir kennen das letzte Wesen der Dinge nicht. Ein gewisses Schwanken findet sich überhaupt öfter. Unter Monismus versteht H. die »einheitliche Auffassung der Gesamtnatur«, die Ansicht, daß die Welt eine »kosmische Einheit« bildet und daß Gott und Welt eins sind. Der Monismus ist die naturgemäße Weltanschauung, die allen »Anthropismus«- überwindet und rein auf den Ergebnissen der Naturwissenschaft und Entwicklungstheorie (Darwinismus) beruht. Es gibt im Universum nur eine einzige Substanz, die »Gott und Natur« zugleich ist. Körper und Geist (oder Materie und Energie) sind untrennbar verbunden. Materie und Geist sind die Attribute der universalen. Substanz (»Realmonismus«). Da alles, auch das Atom (hier macht sich in Pluralismus, die Annahme einer Vielheit von Elementen, geltend), belebt, beseelt ist, alles Fühlung (Ästhesis) und Strebung (Tropesis) besitzt (wenn auch zum Teil unbewußt), so ist die Substanz physisch und psychisch zugleich (Hylozoisinus). In den »Lebenswundern« bezeichnet H. Materie, Kraft (Energie) und »Psychom« (Empfindung) als Attribute der Substanz. Das Substanzgesetz ist das Gesetz von der Erhaltung der Kraft und des Stoffes; es ist zugleich das universale Entwicklungsgesetz. Das Weltall ist ewig, unendlich und unbegrenzt, ewig bewegt, in allem Wechsel ewig sich erhaltend (»Axiom von der Konstanz des Universums«); das Entropiegesetz in seiner kosmischen Deutung ist abzulehnen. Mit J. G. Vogt ist der »pyknotische« Substanzbegriff anzunehmen, wonach die Urkraft Verdichtung einer den Raum stetig erfüllenden Substanz ist, durch deren Kontraktionsstreben[221] die »Pyknatome« entstehen. Nur die Masse, nicht der Äther ist in Atome gegliedert. Bei Verdichtung entsteht Lust, bei Spannung Unlust. Äther und Masse stehen in Wechselwirkung. Überall herrschen nur physikalisch-chemische Gesetze, wirken nur mechanische Kräfte, gibt es nur »Werkursachen«, keine Zweckursachen. Die »Dysteleologie« (Unzweckmäßigkeitslehre) widerlegt die teleologische Naturauffassung. Alle Zweckmäßigkeit ist rein kausal-mechanisch entstanden, ein Produkt des Kampfes ums Dasein, der Selektion oder der Übung. Ohne jede Zielstrebigkeit ist die Vervollkommnung (»Teleosis«) der Organismen zu erklären. Von einer Lebenskraft kann nicht die Rede sein, das Leben ist ein physikalisch-chemischer Prozeß. Durch Urzeugung ist das Plasma entstanden; die niedrigsten Lebewesen sind die Moneren. In der Entwicklung herrscht das bekannte »biogenetische Grundgesetz«, wonach die Ontogenese eine kurze und schnelle Rekapitulation der Phylogenese ist. Der Mensch stammt nach der »Pithekoidentheorie« von einem affenartigen Vorfahren ab und ist ein Glied der Natur wie alles andere.

Die Psychologie ist nur ein Teil der Physiologie, Einen immateriellen Geist gibt es nicht. Das Seelenleben ist vielmehr »eine Summe von Lebenserscheinungen, welche gleich allen anderen an ein bestimmtes materielles Substrat gebunden sind«. Dieses Substrat ist das »Psychoplasma«, bei dein höheren Tieren das »Neuroplasma«. Durch Differenzierung und »Assozion« hat sich das menschliche Geistesleben aus dem tierischen entwickelt. Die. Psyche ist nur ein »Kollektivbegriff für die gesamten psychischen Funktionen des Plasma«. Empfindung kommt schon den niedersten Organismen zu; es gibt ferner »Zellseelen«, »Gewebeseelen«, »Nervenseelen«. Die Psyche des Menschen entsteht durch »Seelenmischung« aus der Verschmelzung der. »Seelen« der Sperma- und Eizelle. Die empfindenden organischen Moleküle nennt H. »Pastidule«. Das eigentliche Bewußtsein ist an ein zentralisiertes Nervensystem geknüpft. Der Wille ist streng determiniert, teils von der Außenwelt, teils durch die Organisation des vollendeten Individuums selbst, die wiederum durch die Vererbung bedingt ist. Das stärkste Motiv gibt beim Handeln stets den Ausschlag, Nach dem »Thanatismus« ist die Seele sterblich. – Der Mensch ist ein »soziales Wirbeltier«. Neben dem Egoismus ist der Altruismus ein ursprüngliches Gefühl und muß in der Gesellschaft mit jenem in Einklang gesetzt werden. Das »goldene Sittengesetz« lautet: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. Die Sittlichkeit hat also nach H. eine biologisch-soziologische Basis.

Alle Dogmen positiver Religionen sind abzulehnen. Gott, die Summe der Naturkräfte, ist für den Pantheismus eins mit der Natur, die Natur selbst, im Innern der Substanz als Kraft oder Energie tätig. Dieser Pantheismus ist zugleich Atheismus, da es nach ihm keinen Gott außerhalb der Natur gibt. Gegen das (theologische) Christentum übt H. scharfe Polemik.

Unter der Ägide H.s entstand 1896 der »Deutsche Monistenbund«, dessen Vorsitzender jetzt W. Ostwald ist. Organ desselben ist die Zeitschrift »Der Monismus« (seit 1906, früher unter dem Titel »Blätter des deutschen Monistenbundes«).[222] Außerdem gibt der Monistenbund Flugschriften heraus. Schriften gegen Haeckel und den naturalistischen Monismus verfaßten Adickes, Paulsen, Loofs, Wobbermin, Engert, Br. Weiß, Gutberlet, V. Brander, Dennert, Reinke, Chwolson u. a.

SCHRIFTEN: Generelle Morphologie der Organismen, 1866, 1906. – Anthropogenie. 1874; 5. A. 1904. – Ziele und Wege der heutigen Entwicklungsgeschichte, 1875. – Die heutige Entwicklungslehre im Verhältnis zur Gesamtwissenschaft, 1878-79. – Die Perigenesis der Plastidule, 1876. – Gesammelte populäre Vorträge aus dem Gebiete der Entwicklungsgeschichte, 1878-79; 2. A. 1902. – Natürliche Schöpfungsgeschichte, 1886; 11. A. 1909. – Der Monismus als Band zwischen Religion und Wissenschaft, 1893; 10. A. 1900. – Die Welträtsel, 1899, 1903 u. ö. – Die Lebenswunder, 1904 u. ö. – Der Kampf um den Entwicklungsgedanken, 1905. – Monismus u. Naturgesetz, 1906. – Zellseelen und Seelenzellen, 1909. – Freie Wissensch. u. freie Lehre, 1908. Das Weltbild vom Dasein u. Lamarck, 1909, u. a. – Vgl. H. SCHMIDT, Der Kampf um die Welträtsel, 1900. – B. HOENIGSWALD, E. H., 1900. – W. BÖLSCHE, E. H., 1900. – ADICKES, Kant contra H., 1901. – PAULSEN. Philosophia militans, 1901. – BAUMANN, H.s Welträtsel, 1900. – BELART, H.s Naturphilos., 1905. – W. MAY, E. H., 1909 (mit Literatur über H.), – EISLER, Gesch. d. Monism., 1910.

Quelle:
Eisler, Rudolf: Philosophen-Lexikon. Berlin 1912, S. 221-223.
Lizenz:
Ähnliche Einträge in anderen Lexika