[282] Hume, David, geb. 26. April 1711 in Edinburg, studierte daselbst Jurisprudenz, lebte 1734-1737 in Frankreich, schrieb dort den »Treatise«, und kehrte dann nach Schottland zurück, wo er »Essays« Veröffentlichte. 1745 war er Gesellschafter des Lord Annandale, ging 1747 als Sekretär des Generals Sinclair nach Wien und Turin, von wo er 1749 nach Schottland zurückkehrte, nachdem er den »Treatise« umgearbeitet und aus einem Teil davon den »Enquiry« verfaßt hatte. 1752-1757 war H. Bibliothekar in Edinburg, wo er seine »Geschichte Englands« (1763) herausgab. Als Sekretär des Grafen von Hertford kam H. 1763 nach Paris und verkehrte dort mit Rousseau und den Enzyklopädisten; mit Rousseau, der ihn nach England begleitete, befreundete er sich, entzweite sich aber bald mit ihm, infolge der Empfindlichkeit des Genfer Philosophen. 1767 wurde H. Unterstaatssekretär, aber schon nach zwei Jähren zog er sich ins Privatleben zurück (1769) und starb am 25. August 1776 in Edinburg.
H. hat Lockes Empirismus und Berkeleys Idealismus zu einem Positivismus weitergebildet, der insofern »Skeptizismus« ist, als er die Möglichkeit metaphysischer Erkenntnis bestreitet und auch innerhalb der Wissenschaft (mit Ausnahme der Mathematik) keine apriorische, von vornherein absolut gewisse Erkenntnis anerkennt. H. analysiert die Erkenntnis, besonders die fundamentalen Begriffe der Kausalität und der Substanz, und kommt hierbei zu dem Ergebnis, daß nichts als real anzunehmen ist, was nicht auf äußere oder innere Erfahrung – auf »Eindrücke« beider – sich gründet und daß sichere Erkenntnis nicht weiter reicht als Erfahrung, also nicht ins Transzendente, mag dessen Existenz auch feststehen. Im ganzen steht H. auf dem Boden des Phänomenalismus und Psychologismus. H. vertritt, wie er sagt, einen »milderen«, »akademischen« Skeptizismus, der alles die Erfahrung Übersteigende als müßig und unwißbar zurückweist und auf die Erfahrung und die praktische Beherrschung der Natur verweist. Die letzten Ursachen der Dinge sind unerkennbar.
Eine genaue Zergliederung der Kräfte und Fähigkeiten des Verstandes ist notwendig. Der Ursprung unserer Begriffe ist zu ermitteln, die »secrets springs and principles« des Verstandes sind aufzudecken, damit die Grundlagen und Grenzen unserer Erkenntnis gefunden werden. Überall ist nach dein primären Erlebnis (»impression«) zu suchen, aus dem ein Begriff hervorgeht; findet sich kein solches Erlebnis, dann handelt es sich um einen Scheinbegriff. Eindrücke (Impressionen) und Ideen (Vorstellungen, Begriffe) als »Kopien« jener machen den Bestand des geistigen Lebens aus. Unter »Eindruck« (impression) versteht H. jedes primäre Erlebnis wie Empfindung, Gefühl, Streben. Es gibt einfache und zusammengesetzte, ursprüngliche und[282] reflektive Eindrücke. Aus Eindrücken stammen alle Vorstellungen und Begriffe (ideas), die von jenen nur durch ihre geringere Lebhaftigkeit und Frische unterschieden sind. Die Ideen sind »faint images«, Kopien der Eindrücke. Die Vorstellungen verbinden sich gemäß ihrer Assoziation, einer Art »Anziehung in der geistigen Welt«. Die Assoziation ist das Prinzip des »erleichterten Überganges von einer Idee zur ändern« und das verknüpfende Band der Ideen. Sie erfolgt nach Ähnlichkeit, raum-zeitlicher Berührung (contiguity), Kausalität. Ein Begriff entsteht, indem mit einer Vorstellung eine Gewohnheit sich verbindet, ähnliche Vorstellungen zu reproduzieren: In nominalistischer Weise erklärt H., eine Einzelvorstellung werde zu einer allgemeinen nur durch ihre Verbindung mit einem allgemeinen Ausdruck. Das Denken besteht in einem Verbinden und Vergleichen von Ideen, im Auffinden der Beziehungen zweier Objekte; es ist nicht schöpferisch, nur zusammensetzend.
Eine apriorische Erkenntnis von Tatsachen ist unmöglich, alle Tatsachenerkenntnis ist empirisch, durch Erfahrung bedingt. Hingegen gibt es eine apriorische, unmittelbare, von der Existenz des Beurteilten ganz unabhängige Beurteilung von Relationen (vgl. Meinong). »Sätze dieser Art sind durch die reine Tätigkeit des Denkens zu entdecken, ohne von irgend einem Dasein in der Welt abhängig zu sein. Wenn es auch niemals einen Kreis oder ein Dreieck in der Natur gegeben hätte, so würden doch die von Euklid demonstrierten Wahrheiten für immer ihre Gewißheit und Evidenz behalten« (Enquir. IV). So ist die Mathematik eine demonstrativ-apriorische, analytische, deduktive Wissenschaft, denn sie hat es nur mit einer Art der Relationen; nicht mit wirklichen Dingen zu tun, und so ist hier die Vernunft imstande, apriorisch und apodiktisch zu schließen. Ähnlichkeit, Widerstreit, Qualitätsgrade, Quantität und Zahl werden durch reines Denken festgestellt und haben absolute Gewißheit.
Tatsachen hingegen sind nicht durch reines Denken zu erkennen, auch bleibt das Gegenteil jeder Tatsache immer möglich. Tatsachen sind nur durch Erfahrung erkennbar. Worin besteht nun diese Erfahrung? In einer Folgerung von Tatsachen aus anderen am Leitfaden der Kausalität. Welchen Ursprung und Geltungswert hat nun das Kausalprinzip? Nach H. ist die ursächliche Verbindung weder aus reiner Vernunft noch aus der objektiven Erfahrung zu entnehmen. Wir sind nicht imstande, a priori eine bestimmte Wirkung aus dem Begriff einer Ursache abzuleiten, mit absoluter Notwendigkeit und Evidenz darzutun, daß und warum, weil A auftritt, B mit ihm verknüpft sein muß. Die Regelmäßigkeit und Gleichförmigkeit des bisherigen Geschehens beweist nicht, daß sie auch in Zukunft statthaben muß, wenn wir sie auch erwarten; sie ist nicht logisch begründet. Das Prinzip unseres kausalen Erkennens ist nicht die Vernunft, sondern die Gewohnheit, die »große Führerin im menschlichen Leben«. Sie allein gestaltet unsere Erfahrungen nutzbringend. Ein »natürlicher Instinkt« treibt uns zum Glauben an konstante Kausalverknüpfung und Gesetzmäßigkeit: er ist notwendig zur Erhaltung des Menschen, ist biologisch zweckmäßig. Wir sind in allen Kausalurteilen auf die Beobachtung [283] und Erfahrung angewiesen, welcher wir die einzelnen, speziellen Gesetze entnehmen. Aber die Erfahrung – äußere und innere – zeigt uns nichts von einer Kraft, von einem inneren Bande, welches notwendig die Wirkung aus der Ursache hervorgehen läßt; ein besonderer »Eindruck« der Ursächlichkeit, ein Kausalerlebnis findet sich nirgends. Erst in der subjektiven Verbindung der Wahrnehmungen und Vorstellungen liegt das Kausale und dieses ist, rein empirisch genommen, nur ein regelmäßiges Aufeinanderfolgen von Ereignissen, nichts mehr. Die Art und Weise, wie und wodurch etwas wirkt, ist uns völlig unbekannt. Wir kennen nur – auch bei unseren Willensakten – eine Aufeinanderfolge, erkennen nicht ein Bewirken. Die Kraft, durch die etwas erfolgt, ist überall verborgen, gegeben ist nur eine mehr oder weniger konstante Beziehung zwischen Vorgängen. Wir kennen Zusammenhänge (conjunction), aber keine innere Verknüpfung (connexion). Das Plus, den inneren Zusammenhang, das »Durch«, die notwendige Verknüpfung legen wir selbst in die Objekte hinein. So ist die Kausalität rein subjektiven, psychologischen Ursprungs, ein Produkt der Gewohnheit, indem auf Grund wiederholter, konstanter Assoziation zwischen zwei Vorstellungen A und B das Auftreten der einen ein Gefühl subjektiver Notwendigkeit erzeugt, zur anderen überzugehen, sie zu erwarten. Erst dieses Überzeugungsgefühl, dieser feste »Glaube« (belief), die Vorstellung B werde wieder auftreten, macht aus dem post hoc ein propter hoc, welches letztere nichts objektiv Erfahrbares ist. Der »Glaube«, auf den sich H. beruft, ist ein lebhaftes, intensives Überzeugungsgefühl, das sich an Vorstellungen und deren Ablauf knüpft, nicht etwa eine bloße Vermutung. Ungeachtet dieses subjektiven Ursprungs des Kausalprinzips aus Assoziation, Gewohnheit und »Glauben« können und müssen wir es doch für Erfahrungsobjekte gebrauchen, auch zu immer allgemeineren Ursachen und Gesetzen aufsteigen, ohne aber über metaphysische, transzendente »Ursachen« und Kräfte das Geringste ausmachen zu können (Positivismus). Der einzige unmittelbare Nutzen der Wissenschaften besteht darin, »uns die Beherrschung und Regelung künftiger Ereignisse durch ihre Ursachen zu lehren« (Aktivismus).
Mag auch eine Realität außer uns bestehen, so ist doch auch der Ursprung des Ding- und Objektsbegriffs ein subjektiv-psychologischer. Gegeben sind nur »Perzeptionen« (Wahrnehmungsinhalte) in bestimmter Verbindung (wie nach Berkeley). Die Einbildungskraft erst macht daraus dauernde und selbständige Dinge, auf Grund der Konstanz (constancy) und des Zusammenhanges (coherence) der Wahrnehmungskomplexe. Da der Geist »einmal im Zuge ist, in den Gegenständen auf Grund der Beobachtung Gleichförmigkeit anzunehmen, so ist es ihm natürlich, damit fortzufahren, so lange, bis er die Gleichförmigkeit in eine möglichst vollkommene verwandelt hat. Zu diesem Zweck genügt aber die einfache Annahme der dauernden Existenz der Gegenstände«. Aus der Ähnlichkeit von Wahrnehmungen macht die Einbildungskraft eine Identität derselben und beseitigt die scheinbare Unterbrechung der Wahrnehmung durch Erdichtung eines dauernden Dinges. So ist auch der Begriff der Substanz (den Berkeley noch für die innere Erfahrung aufrecht erhielt) eine Fiktion der Einbildungskraft, für die er ein Prinzip der Vereinheitlichung und Verbindung[284] ist. Die Idee der Substanz ist nur »ein Zusammen einfacher Vorstellungen (collection of simple ideas), die durch Einbildungskraft (imagination) vereinigt (united) worden sind, und einen besonderen Namen erhalten haben«. Die Perzeptionen bedürfen aber keiner Substanz als Träger, sie existieren selbständig in ihren Komplexen. Auch die Seele oder das Ich ist keine Substanz, sondern ein Bündel fortwährend wechselnder Vorstellungen und Gefühle (»a bundle of perceptions in a perpetual flux and movement«). Es ist dies der »aktualistische« Seelenbegriff. Diese »skeptischen« Betrachtungen über Ding, Substanz, Ich finden sich im »Treatise«, nicht mehr im »Enquiry.« Von Wichtigkeit ist, daß H. dort, wo er eine logische Grundlage fundamentaler Begriffe wie Kausalität und Ding nicht findet, doch die biologische Notwendigkeit und Nützlichkeit ihres Gebrauchs betont (vgl. Mach u. a.).
Unter »Moralphilosophie« versteht H. die Wissenschaft von der menschlichen Natur, die Geisteswissenschaft überhaupt. In ausführlicher Weise untersucht er die Affekte, Neigungen und Leidenschaften und betont, daß die Vernunft für sich allein nicht das Handeln bestimmen kann; jedes Motiv ist ein Gefühl oder Affekt. Auch das Wollen ist eine Wirkung des Gefühls. Die Freiheit des Menschen ist nur die Freiheit zu handeln, die Fähigkeit willensgemäß tätig zu sein (»a power of acting or not acting, according to the determination of the will«). Gleiche Motive führen zu gleichen Akten; die Verknüpfung zwischen Motiv und Handlung ist eine regelmäßige und gleichförmige, der Wille ist durch Umstände, Motive, Charakter bestimmt. Die Quelle der Moral ist die Sympathie als die Fähigkeit, sich in die Gemütslage anderer hineinzuversetzen. Die sozialen Gefühle sind ebenso ursprünglich wie die selbstischen. Die Tugend ist eine geistige Eigenschaft oder Handlung, welche in dem unbeteiligten Zuschauer ein Gefühl des Beifalls erregt (»whatever mental action or quality gives to a spectator the pleasing sentiment of approbation«). Das sittlich Rechte wird unmittelbar wahrgenommen, gefühlt und beurteilt; es bezieht sich in erster Linie auf das Gesamtinteresse.
Von Bedeutung ist auch die Religionsphilosophie Humes. Er leitet die Religion aus der Sorge um das Leben, aus Hoffnung, Furcht und Schrecken und dem Anthropomorphismus ab, welche zuerst zum Poly-, dann zum Monotheismus führt. Der Mensch hat einen Hang, an eine unsichtbare intelligente Macht zu glauben. Den Glauben an Wunder kritisiert H. scharf, mit dem Hinweise darauf, daß jedes Wunder eine Verletzung von Naturgesetzen bedeutet, der Erfahrung widerspricht und nicht genügend beglaubigt ist. In religiösen Dingen verbleibt H. (gegenüber dem Deismus) in skeptischer Haltung. Eine Unsterblichkeit der Seele ist zweifelhaft. »Unsere Empfindungslosigkeit vor der Zusammensetzung des Körpers scheint für die natürliche Vernunft einen gleichen Zustand nach der Auflösung zu beweisen.«
Von H. unmittelbar beeinflußt ist Ad. Smith. Teilweise eine Reaktion gegen seine Lehren bedeutet die Schottische Schule (Reid u. a.). Von H. aus seinem »dogmatischen Schlummer« geweckt wurde, nach seinem eigenen Zeugnis, Kant, der aber an die Stelle der psychologischen die transzendental-logische Wurzel der Erkenntnis sucht. Weitergebildet wurde der Humesche[285] idealistische Positivismus von J. St. Mill u. a., teilweise auch von E. Mach u. a., so daß von einem »Neu-Humismus« geredet werden kann.
SCHRIFTEN: Treatise on human nature, 1739-40, 1874; I, deutsch von Lipps 1895, 2. A. 1904; II, 1906. – Enquiry concerning human understanding, 1748; deutsch 1755, 1793, 1869 (Kirchmann), 1893 (Nathanson) und in der Philos. Bibliothek, neu von R. Richter. – Enquiry concerning the principles of morals, 1751; 1902; 1908; deutsch Ton Masaryk, 1883. – The natural history of religion, 1755; deutsch 1909 (Anfange u. Entwicklung der Religion). – Essays and treatises, 1770 (enthält u. a. die Essays von 1741). – Dialogues concerning natural religion, 1779; deutsch 1781. – Essays on suicide and the immortality of soul, 1783, 1789 (Drei Dialoge über natürliche Religion, über Selbstmord und Unsterblichkeit, deutsch von Paulsen, 3. A. 1905). – Works, 1827, 1836, 1856, 1874, 1898 (von Green und Grose). – Selbstbiographie, 1777. – Vgl. JODL, H.s Lehre von der Erkenntnis, 1871; Leben und Philosophie D.H.s, 1872. – A. MEINONG, Hume-Studien, 1877-1882. – W. KNIGHT, Hume, 1886. – GIZYCKI, Die Ethik D. H.s, 1878. – HEDVALL, H.s Erkenntnistheor., 1900.
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