[370] Külpe, Oswald, geb. 1862 in Candau, Prof., früher in Würzburg, jetzt in Bonn.
K. ist in psychologischer Beziehung zum Teil von Wundt, Avenarius u. a. beeinflußt, entscheidet sich aber weder für den Intellektualismus noch für den Voluntarismus, ferner erklärt er sich für die Annahme einer substantiellen Seele und deren Wechselwirkung mit dem Leibe, also für den Dualismus, der keineswegs noch widerlegt, sondern möglich ist. Die Psychologie ist die »Wissenschaft von den Erlebnissen in deren Abhängigkeit von erlebenden Individuen« (vgl. Avenarius). »Gegenstand der Psychologie ist dasjenige in und an der vollen Erfahrung eines Individuums, das von ihm selbst abhängig ist.« Die gewöhnlich als »Assoziation« bezeichnete Verbindung ist nach K. eine »empirisch motivierte Reproduktion«. Empfindungen, die einmal im Bewußtsein zusammen waren, begründen eine Tendenz zur Reproduktion der einen durch die andere. Das Gefühl ist eine Reaktionsweise der »Apperzeption« (im Sinne Wundts) auf die Empfindungen und Vorstellungen; es ist von der Empfindung verschieden. läßt sich nicht für sich reproduzieren, ist nicht vorstellbar. Erregung und Spannung sind keine Gefühle (Ein Beitrag zur Gefühlslehre, Bericht über den III. internat. Kongreß f. Philos. 1909, S. 546 ff.). Einen besonderen, spezifischen Wahlakt gibt es nach K. nicht; der Wille führt auf das Erstreben eines Vorstellungsinhaltes zurück und das Streben selbst ist ein Komplex von Spannungs- und Gelenkempfindungen. Die Seele ist eine Substanz als einheitliches Subjekt, der Erlebnisse. Eine Umsetzung psychischer in physische Energie bei schließlicher Ausgleichung der Differenz hielt K. früher für möglich (vgl. Stumpf). Der »Parallelismus« ist nur als Arbeitsprinzip zu akzeptieren.
Die Philosophie hat eine dreifache Aufgabe: die wissenschaftliche Ausbildung einer Weltansicht, die Untersuchung der Voraussetzungen aller Wissenschaft, die Vorbereitung neuer Einzelwissenschaften. Die Erkenntnistheorie ist die Lehre von den Grundbegriffen und Grundsätzen als den materialen Voraussetzungen aller besonderen Wissenschaften. Die Logik ist nicht psychologisch aufzufassen, sondern eine normative Wissenschaft (gegen den Psychologismus). In erkenntnistheoretischer Beziehung ist K. ein gemäßigter Rationalist, welcher die Bedeutung des Denkens für das Erkennen betont, und kritischer Realist (gegen Mach u. a.). Es gibt eine vom Bewußtsein unabhängige Realität, welche Gegenstand der Naturwissenschaft ist. Eine kritische Metaphysik ist möglich. Die Ethik hat eine empirisch-genetische und eine apriorisch-normative Aufgabe. Der Gesamtwille ist eine reale sittliche Macht (Verbindung von Universalismus und sozialem Utilitarismus). Die Ästhetik hat K. durch experimentell-psychologische Arbeiten gefördert. Die Einfühlung ist kein notwendiger Faktor des. Ästhetischen. Die ästhetischen Gefühle knüpfen sich an die bloße Beschaffenheit des Vorstellungsinhalts (Kontemplationswerte).
SCHRIFTEN: Die Lehre vom Willen in der neueren Psychologie, Philos. Stud. V, 1888. – Zur Theorie der sinnlichen Gefühle, Vierteljahrsschr. f. wissensch. Philos. Bd. 11-12. – Über den assoziativen Faktor des ästhetischen Eindrucks, Vierteljahrsschr. f.[370] wissensch. Philos., 1899. – Grundriß der Psychologie, 1893. – Ein Beitrag zur experimentellen Ästhetik, 1903. – Einleitung in die Philosophie, 5. A. 1910. – Die Philosophie der Gegenwart in Deutschland, 4. A. 1908. – Immanuel Kant, 1906; 2. A. 1908. – über die Beziehungen zwischen körperlichen und seelischen Vorgängen, Zeitschr. f. Hypnotismus VII. – Erkenntnistheorie und Naturwissensch., 1910. – Der gegenwärtige Stand der experimentellen Ästhetik. 1907, u. a. –