[311] Kant, Immanuel, geb. 22. April 1724 in Königsberg als Sohn eines Sattlermeisters, dessen Familie (früher wohl Cant) wahrscheinlich aus Schottland stammt. Er wurde streng religiös, im Geiste des Pietismus erzogen. Er besuchte 1732-1740 das Collegium Fridericianum mit bestem Erfolge und bezog dann die Königsberger Universität, wo er (1740-46) Philosophie, Mathematik, Physik und Theologie studierte und besonders von Martin Knutzen beeinflußt wurde (Bekanntschaft mit den Lehren Newtons). Von 1746 bis 1755 war K. Hauslehrer, zuletzt im Hause des Grafen Keyserling in Bautenburg. Im Jahre 1755 habilitierte sich K. in Königsberg, wo er über Mathematik und Physik, dann über Logik, Metaphysik, Moralphilosophie, auch über physische Geographie, Anthropologie u. a. las. Seine Vortrüge waren sehr anregend, so daß er durch sie einen großen Ruf hatte. Trotzdem und trotz seiner Arbeiten bewarb er sich mehrmals vergeblich um eine Professur, die er erst nach fünfzehnjährigem Warten, 1770 erhielt, nachdem er seit 1766 eine bescheidene Stelle als Unterbibliothekar bekleidet hatte. Infolge Altersschwäche, die immer mehr zunahm und Kant schließlich des Gedächtnisses beraubte, gab er 1706 seine Vorlesungen auf.
Unter dem neuen Ministerium Wöllner kam ihm infolge des Erscheinens seiner »Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft« (1793) eine Kabinettsordre zu (1794), welche ihm die Veröffentlichung weiterer Schriften über Religion verbot. Kant, dessen Maxime es war, nur Wahres zu sagen, aber nicht verpflichtet zu sein, alles Wahre, was man denke, auch öffentlich sagen zu müssen, unterwarf sich, ohne aber das Geringste zu widerrufen. Am 12, Februar 1804 starb Kant, der Zeit seines Lebens nicht aus dem Bannkreise von Königsberg herausgekommen war und doch von der Welt die anschaulichste Vorstellung hatte. Er wurde feierlich zu Grabe getragen und erhielt einen Denkstein, später ein Denkmal in Königsberg (von Rauch). Sein Ruhm war damals schon lange weit verbreitet, nachdem es kurze Zeit nach dem Erscheinen der »Kritik der reinen Vernunft« (1781) nicht an Zurückhaltung oder Mißverständnissen seitens der Leser gefehlt hatte. Trotzdem meinte Kant, er sei mit seinen Schriften um ein Jahrhundert zu früh gekommen, man werde sie erst nach hundert Jahren recht verstehen, sie neu studieren und gelten lassen. In der Tat ist, seit Ende der 50er und Anfang der 60er Jahre des 10. Jahrhunderts, wo der Ruf »Zurück zu Kant« erscholl, der Kantsche »Kritizismus« immer mehr in den Vordergrund getreten, ja es ist eine eigene »Kantphilologie« entstanden, ferner eine eigene »Kantgesellschaft« und auch eine eigene Zeitschrift (»Kant-Studien«, herausgegeben von Vaihinger und Br. Bauch) für das Studium Kants und für Arbeiten, die im Geiste der philosophischen Kritik gehalten sind. Anläßlich des hundertjährigen Jubiläums der »Kritik der reinen Vernunft«, 1881, sind viele Schriften über Kant erschienen, ebenso gelegentlich der Feier des hundertsten Todestages Kants, 1904.
Kants Charakter zeichnet sich durch größte Lauterkeit der Gesinnung, strengste Wahrhaftigkeit und Pflichttreue, die sogar bis zur Pedanterie geht,[311] aus. Obzwar Kant das Sittliche »rigoristisch« auffaßt, den Neigungen wenig Einfluß auf das Handeln einräumt, war er doch kein »Mucker«, sondern heiter und gesellig (Freundschaft mit Hamann, Motherby, Hippel u. a.). Kant war eine tief religiöse Natur, stand aber nicht im Banne theologischer Dogmatik. In politischer Beziehung verbindet Kant einen starken Liberalismus – er sympathisierte z.B. mit der französischen Revolution – mit gewissen konservativen Tendenzen, die ihm zum Teil sein (auch in der Ethik sich äußerndes) Preußentum eingab.
K. ist der Begründer des Kritizismus. Aber er ist nicht gleich zu diesem Standpunkte gelangt, sondern stand erst im Banne der Leibniz-Wolffschen Philosophie und ihres Rationalismus, sowie später unter dem Einflusse der Newtonschen Lehren, Lamberts, Rousseaus, Shaftesburys und des Empirismus und Skeptizismus, bis er endlich – nachdem auch Leibniz' »Nouveaux essais« auf ihn eingewirkt – von Hume aus dem »dogmatischen Schlummer« erweckt wurde und zum Kritizismus überging, der schon in den »Träumen eines Geistersehers« (1766) anklingt, in der Schrift »De mundi sensibilis usw.« (1770) weiter ausgebildet wird und in der »Kritik der reinen Vernunft« gipfelt. Der Kritizismus bedeutet eine Synthese von Rationalismus, Empirismus und Skeptizismus zu einem neuen, allen Momenten dieser drei Geistesrichtungen gerecht werdenden Standpunkte. Über die Entwicklung des Kantschen Denkens vgl. Vaihinger, Kommentar zu Kant I; B. Erdmann, Paulsen, Adickes, Riehl u. a.
SCHRIFTEN: Gesamtausgabe von Hartenstein, 10 Bde., 1838-39: neue Ausgabe, S Bde., 1867-69; von Rosenkranz und Schubert, 12 Bde., 1838-42; von Kirchmann (Philos. Bibl.), 1868 ff., jetzt ganz neu von verschiedenen Herausgebern, endlich von der Akademie der Wissenschaften in Berlin (vollständigste Ausgabe mit den Vorlesungen zu »Reflexionen«, Briefen; noch nicht vollendet). – Vermischte Schriften, 1799. – Kleinere Schriften, 1800.
Die wichtigeren Arbeiten Kants bis zum Erscheinen der Vernunftkritik sind:
Gedanken von der wahren Schätzung der lebendigen Kräfte. 1747 (Vermittlung zwischen der Kartesianischen und Leibnizschen Auffassung). – Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmels, 1755. Hier verbindet K. die mechanistische Naturerklärung mit der teleologischen so, daß die Kräfte, die Gott in die Materie hineingelegt hat, von selbst zu geordneten, zweckmäßigen Zuständen führen. Durch Ballung der Materie sind die Himmelskörper entstanden (vgl. die Theorie von Laplace, Exposition du système du monde, 1769). – Es sei hier gleich bemerkt, daß K. auch zu den Vorläufern der Entwicklungstheorie zu zählen ist, indem er hypothetisch von einer Verwandtschaft der Lebensformen »in der Erzeugung von einer gemeinschaftlichen: Urmutter« spricht (Krit. d. Urteilskraft, § 80). – Meditationum quarundam de igne succinta delineatio, 1755 (Doktor-Dissertation). – Principiorum primorum cognitionis metaphysicae nova dilucidatio, 1755 (Habilitationsschrift). Teil-: weise auf Leibnizscher Grundlage, doch nimmt K. eine Wechselwirkung der Geister und Körper an. Oberstes Denkgesetz ist der Satz der Identität. Gewicht legt K. auf den Satz des »bestimmenden Grundes« (ratio determinans):[312] »Nihil est verum sine ratione determinante«. Zu unterscheiden sind Seins- und Erkenntnisgrund. Die Quantität der absoluten Realität in der Welt bleibt konstant (l. c. sct. II, prop. X). – Metaphysicae cum geometria iunctae usus in philosophia naturali, cuius specimen I. continet monadologiam physicam, 1756. K. nimmt hier physische Monaden als Kraftzentren an, welche undurchdringlich sind und abstoßende (elastische) und anziehende Kräfte haben, durch die sie den Raum erfüllen. – Neue Anmerkungen zur Erläuterung der Theorie der Winde, 1756 (bedeutsam). – Neuer Lehrbegriff der Bewegung und Ruhe, 1755 (Relativität der Bewegung). – Versuch einiger Betrachtungen über den Optimismus, 1759 (Die Welt ist die beste der möglichen). – Die falsche Spitzfindigkeit der vier syllogistischen Figuren, 1763 (Nur die erste Schlußfigur ist natürlich). – Versuch, den Begriff der negativen Großen in die Weltweisheit einzuführen, 1763. K. unterscheidet logischen Gegensatz (auf Widersprach der Gedanken beruhend) und realen Gegensatz (Widerstreit von Kräften und anderen Prädikaten, die beide – nur nach entgegengesetzter Richtung – positiv sein können). – Der einzig mögliche Beweisgrund zu einer Demonstration des Daseins Gottes, 1763. K. bestimmt hier schon das Dasein als absolute Position eines Dinges, nicht Prädikat eines solchen und glaubt Gott aus der Unmöglichkeit, daß nichts existiert, und aus der Notwendigkeit, daß etwas existiert, als seiend erweisen zu können. – Untersuchung über die Deutlichkeit der Grundsätze der natürlichen Theologie und der Moral, 1764 (Preisschrift der Berliner Akademie, K. erhielt nur das Akzessit, Mendelssohn für seine Arbeit den ersten Preis). Hier zeigt sieh wieder der Einfluß Newtons, dessen Methode K. für die Philosophie empfiehlt, deren analytisches Verfahren von der synthetischen Methode der Mathematik zu unterscheiden ist. In den Äußerungen über Ethik ist K. von den Engländern (Hutcheson u. a.) beeinflußt. – Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen, 1764 (Einfluß Shaftesburys und Burkes; Gefühlsmoral).
Träume eines Geistersehers, erläutert durch Träume der Metaphysik, 1766. Diese, teilweise ironisierende Schrift knüpft an die Visionen und die Geistertheorie Swedenborgs an und zeigt, zu welchen Ergebnissen eine alle Erfahrung überschreitende Spekulation gelangen kann, ohne logischen Widerspruch, aber auch ohne jede wirkliche objektive Grundlage. Eine Metaphysik als vermeintliche Wissenschaft vom Übersinnlichen enthält lauter Fiktionen und reizt zum Skeptizismus. Hingegen wird hier schon die Metaphysik mit Einschränkung auf die Grenzen unserer Erfahrung, also kritisch, aufgefaßt. »Der andere Vorteil ist der Natur des menschlichen Verstandes mehr angemessen und besteht darin: einzusehen, ob die Aufgabe aus demjenigen, was man wissen kann, auch bestimmt sei, und welches Verhältnis die Frage zu den Erfahrungsbegriffen habe, darauf sich alle unsere Urteile jederzeit stützen müssen. Insofern ist die Metaphysik eine Wissenschaft von den Grenzen der menschlichen Vernunft.« K. meint, »daß die verschiedenen Erscheinungen des Lebens in der Natur und deren Gesetze alles seien, was uns zu erkennen vergönnt ist, das Prinzipium dieses Lebens aber... niemals positiv könne gedacht werden, weil keine Data hierzu in unseren gesamten Empfindungen anzutreffen sind«. Die[313] Geltung der sittlichen Gesetze ist unabhängig von der Metaphysik. – Von dein ersten Grunde des Unterschiedes der Gegenden im Räume, 1768 (Existenz eines absoluten Raumes, auf den die Lage bezogen wird).
De mundi sensibilis atque intelligibilis forma et principiis, 1770 (Professursschrift). Hier nähert sich K, schon erheblich dem Standpunkt der Vernunftkritik, doch anerkennt er noch eine Erkenntnis der Dinge an sich durch den Verstand und hält nur die raum-zeitlichen Wahrnehmungsdinge für Erscheinungen. Die Sinnlichkeit hat es mit Phänomenen, der Intellekt mit den Noumena, den intelligiblen Wesen zu tun. Form und Materie der Erkenntnis werden (wie bei Tetens und Lambert) unterschieden (l. c. § 13 ff.). Die Materie der Sinneserkenntnis ist die Mannigfaltigkeit der Empfindungen, die Formen jener sind Raum und Zeit, welche »reine Anschauungen«, subjektive Verknüpfungsweisen seitens des Geistes sind, nicht empirische, von den Dingen abstrahierte Begriffe, denn die Möglichkeit äußerer Wahrnehmungen setzt schon den Raum voraus. Die Raumvorstellung ist eine »reine Anschauung« (»intuitus purus«), nichts Objektives (»non est aliquid obiecti et realis entis vel affectionis«). sondern etwas Imaginäres (»imaginarium«), Subjektives, Ideelles (»subiectivum et ideale e natura mentis stabili lege proficiscens«), aber dennoch in bezug auf jedes mögliche Wahrnehmungsobjekt wahr (»verissimum«); analog die Zeit. Die Formen des Verstandes sind nicht angeborene Begriffe, sondern ursprüngliche Beziehungsformen (Substanz, Ursache, Notwendigkeit usw.), welche gesetzlich aus der Seele bei Gelegenheit der Erfahrung entspringen (»in ipsa natura intellectus puri, non tamquam conceptus connati, sed e legibus mentis insitis... abstracti, adeoque acquisiti«). Die Wechselwirkung der Dinge ist durch die göttliche Einheit vermittelt.
Schriften aus der endgültigen kritischen Periode: Kritik der reinen Vernunft, 1781; 2. teilweise veränderte Auflage 1786 (Stärkere Betonung des Ding an sich). Ausgaben der Kr. d. r. V. von B. Erdmann, 5. A. 1900; Adickes, 1889; Vorländer 1899 (mit Register); Kehrbach (Univ.-Bibl., nach ihr wird oft zitiert); Valentiner (Philos. Bibl.). – Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik, die als Wissenschaft wird auftreten können, 1783 (durch die Rezension der Kr. d. r. V, seitens Garve-Feder, 1782, veranlaßt); wie die anderen kritischen Hauptwerke auch in der Univ.-Bibl. – Idee 7.11 einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht, 1784. – Was ist Aufklärung? 1784 (A. ist »der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit«). – Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, 1785. – Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft, 1786: herausg. von Höfler, 1900. – Was heißt, sich im Denken orientieren? 1786 (Es heißt, »sich, bei der Unzulänglichkeit der objektiven Prinzipien der Vernunft, im Fürwahrhalten nach einem subjektiven Prinzip derselben bestimmen«, d.h. auf Grund theoretisch-praktischer »Bedürfnisse« der Vernunft etwas annehmen). – Über den Gebrauch teleologischer Prinzipien in der Philosophie, 1788. – Kritik der praktischen Vernunft, 1788. – Kritik der Urteilskraft, 1790. – Über eine Entdeckung, nach der alle neue Kritik der reinen Vernunft durch eine ältere entbehrlich gemacht werden soll. 1790; auch in: Kleinere Schriften zur Logik und Metaphysik,[314] Philos. Bibl. (Gegen Eberhard). – Über das Mißlingen aller philos. Versuche in der Theodizee, 1791. – Welches sind die wirklichen Fortschritte, die die Metaphysik seit Leibniz' und Wolffs Zeiten gemacht hat? 1804 (Kl. Schrift, z. L. u. M.). – Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft, 1793. – Über Philosophie überhaupt, 1794. – Zum ewigen Frieden, 1795. – Zu Sömmering über das Organ der Seele, 1790. – Von einem neuerdings erhobenen vornehmen Tone in der Philosophie, 1796 (Gegen die Gefühlsphilosophie). – Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, 1797; Metaphysische Anfangsgründe der Tugendlehre, 1797 (Zusammen = Metaphysik der Sitten, 2 Teile). – Der Streit der Fakultäten; Von der Macht des Gemüts, durch den bloßen Vorsatz seiner krankhaften Gefühle Meister zu sein, 1798. – Anthropologie in pragmatischer Hinsicht, 1798. – Logik, hrsg. von Jäsche, 1800; hrsg. von Kinkel, Philos. Bibl., 1904 (Nach Vorlesungen). – Physische Geographie, hrsg. von Rink, 1802-3. – Pädagogik, hrsg. von Rink, 1803. – Übergang von den metaphysischen Anfangsgründen der Naturwissenschaft zur Physik, teilweise hrsg. von Reicke (Altpreuß. Monatsschrift), 1882-83, – Vorlesungen über die philos. Religionslehre, hrsg. von Pölitz, 1817. – Vorlesungen über die Metaphysik, hrsg. von Pölitz, 1821; vgl. Heinze, Vorlesungen Kants über Metaphysik aus drei Semestern, 1894. – Reflexionen Kants zur kritischen Philosophie, hrsg. von B. Erdmann, 1882-84. – Lose Blätter aus Kants Nachlaß, hrsg. von Reicke, 1889, 1895, 1899.
Erkenntnislehre. Der Standpunkt, den K. gegenüber dem Rationalismus einerseits, dem Empirismus anderseits einnimmt, ist der des Kritizismus. Verschiedene Elemente und Tendenzen verbinden sich hier zu etwas Neuem. Mit dem Rationalismus, der bei K. zum Teil stark hervortritt, wird das Vorhandensein absolut gewisser und notwendiger Begriffe und Urteile, die aus reiner Vernunft entspringen, angenommen: es gibt Erkenntniselemente, die unabhängig von der Erfahrung gelten. Aber gegenüber dem Ontologismus der rationalistischen Metaphysik behauptet K., daß auch die aus reiner Vernunft stammenden Erkenntniselemente nur für mögliche Erfahrung, also nur soweit Erfahrung überhaupt reicht, Geltung haben, also nicht über alle Erfahrung hinaus, nicht für das Transzendente, nicht für das »Ding an sich«, welches unerkennbar ist und bleibt. Erkenntnis bezieht sich, auch da, wo sie »apriorisch« ist, auf Erfahrung und deren. Objekte; auch das Rationale dient nur der Verarbeitung des Erfahrungsmaterials und das Apriorische ist Bedingung der Erfahrung. Innerhalb des Gebietes wissenschaftlicher Erkenntnis gibt es nach K. – gegenüber dem Skeptizismus – unbedingt gültige, feste, sichere Erkenntnis, über die Erfahrung hinaus aber versagt die Gesetzlichkeit unseres Erkennens, die hier keinen Stoff mehr hat. Eine transzendente Metaphysik, eine Metaphysik vom Übersinnlichen, von den Dingen an sich und ihren Eigenschaften ist nicht möglich. Da wir aber vom Übersinnlichen nichts wissen können, so ist der negierende Dogmatismus und Skeptizismus unschädlich gemacht, es bleibt Platz für den (auf Moral und Vernunft gestüzten) Glauben an Gott, Freiheit, Unsterblichkeit. »Ich mußte also das Wissen aufheben, um zum Glauben Platz zu bekommen.« Das vermeintliche Wissen dogmatischer Metaphysik,[315] welches jederzeit den Angriffen des Skeptizismus ausgesetzt ist, gibt K. völlig preis, um aber zugleich den Skeptizismus in seine Schranken zu weisen.
Unter dem Dogmatismus der Metaphysik versteht K. »das allgemeine Zutrauen zu ihren Prinzipien ohne vorhergehende Kritik des Vernunftsvermögens selbst, bloß um ihres Gelingens willen«. Dogmatismus ist die »Anmaßung, mit einer reinen Erkenntnis ans Begriffen (den philosophischen) nach Prinzipien, so wie sie die Vernunft längst im Gebrauche hat ohne Erkundigung der Art und des Rechts, wodurch sie dazu gelangt ist, allein fortzukommen«. »Dogmatismus ist also das dogmatische Verfahren der reinen Vernunft, ohne vorangehende Kritik ihres eigenen Vermögens.« Auf das Stadium des Dogmatismus und des Skeptizismus folgt das Stadium der Kritik, welche die Erkenntnisfähigkeit der reinen Vernunft prüft und zugleich eine Theorie der Erfahrung gibt. Die »Kritik der reinen Vernunft« ist eine Kritik »des Vernunftgebrauchs überhaupt, in Ansehung aller Erkenntnisse, zu denen sie, unabhängig von der Erfahrung, streben mag, mithin die Entscheidung der Möglichkeit, einer Metaphysik überhaupt und die Bestimmung sowohl der Quellen als des Umfanges und der Grenzen derselben, alles aber aus Prinzipien«. Die Kritik will also feststellen, was die Vernunft bezw. das apriorische Erkennen aus sich heraus zu leisten vermag, was es zustande bringt, worauf es sich erstreckt. Die Bedingungen der Erkenntnis, die Quellen derselben in der Gesetzlichkeit der Vernunft sind zu suchen und es ist zu zeigen, welches der einheitliche Zusammenhang dieser Erkenntnisbedingungen ist, welche die »Möglichkeit« der Erfahrung und ihrer Objekte enthalten.
Denn der »Kopernikanische Standpunkt« in der Erkenntnistheorie bedeutet eine Umkehrung des früheren Standpunktes. »Bisher nahm man an, alle unsere Erkenntnis müsse sich nach den Gegenständen richten; aber alle Versuche, über sie a priori etwas durch Begriffe auszumachen, wodurch unsere Erkenntnis erweitert würde, gingen unter dieser Voraussetzung zunichte. Man versuche es daher einmal, ob wir nicht in den Aufgaben der Metaphysik damit besser fortkommen, daß wir annehmen, die Gegenstände müssen sich nach unserer Erkenntnis richten, welches so schon besser mit der verlangten Möglichkeit einer Erkenntnis derselben a priori zusammenstimmt, die über Gegenstände, ehe sie uns gegeben werden, etwas festsetzen soll«. Es ist eben zu beachten, daß wir von Dingen nur das a priori, unabhängig von der Erfahrung erkennen, was wir »selbst in sie legen«. Die Kritik leistet nun zweierlei: erstens beschneidet sie dem Dogmatismus gänzlich die Flügel betreffs der Erkenntnis des Übersinnlichen; zweitens grenzt sie das Gebiet ab, auf dem sichere, objektive, allgemeingültige Erkenntnis möglich ist. Das fruchtbare Tiefland der Erfahrung ist die wahre Domäne der Erkenntnis trotz, ja wegen der Grundlage derselben in der reinen Vernunft.
Die Kritik der reinen Vernunft ist die »notwendige vorläufige Veranstaltung zur Beförderung einer gründlichen Metaphysik als Wissenschaft«. Diese Metaphysik ist aber keine vermeintliche Wissenschaft vom Transzendenten mehr, sondern »das System aller Prinzipien der reinen theoretischen Vernunftbegriffe«, das System der »reinen theoretischen Philosophie«, die[316] »Wissenschaft von den Gesetzen der reinen Vernunft«. Sie ist nicht transzendent, sondern das System des Transzendentalen, also »Transzendentalphilosophie«. Transzendental ist aber die Erkenntnis nicht des jenseits aller Erfahrung Liegenden (Transzendenten), sondern des vor der Erfahrung Gültigen, sie Konstituierenden, Apriorischen, sofern es zugleich die Möglichkeit enthält, sich auf Erfahrung und Erfahrungsobjekte zu beziehen. Transzendental ist die Erkenntnis, wie etwas apriorisch und doch objektiv sein kann, also jene Erkenntnis, »dadurch wir erkennen, daß und wie gewisse Vorstellungen ,.. lediglich a priori angewandt werden oder möglich seien«. »Ein transzendentales Prinzip ist dasjenige, durch welches die allgemeine Bedingung a priori vorgestellt wird, unter der allein Dinge Objekte unserer Erkenntnis überhaupt werden können.«
Die Methode der Vernunftkritik ist (wenn auch nicht frei von allem »Psychologismus«) nicht genetisch-psychologisch (wie bei Locke, Condillac u. a.), sondern transzendental, insofern nicht gefragt wird, wie die Erkenntnis sich im subjektiven, individuellen Bewußtsein zeitlich entwickelt, sondern welches die Bedingungen der Anwendung apriorischer Begriffe und Urteile auf die Erfahrung oder wie reine Mathematik, reine Naturwissenschaft und »Metaphysik« möglich sind. Daß es allgemeingültige, streng notwendige, von der Erfahrung unabhängige Wahrheiten, also reine Wissenschaft gibt, setzt Kant auf Grundlage der Mathematik usw. voraus; wie solche Begriffe und Urteile apriorisch und doch objektiv gültig sein, wie sie nicht aus der Erfahrung stammen und doch für die Erfahrung gelten können, dies will Kant begreiflich machen. Unter der »reinen Vernunft« versteht K. das Vermögen apriorischer Erkenntnis. Vernunft im engeren Sinne ist das »Vermögen der Prinzipien«.
Die »Kritik der reinen Vernunft« gliedert sich in die »transzendentale Elementarlehre« und die »transzendentale Methodenlehre«; erstere zerfällt in die »transzendentale Ästhetik« und »transzendentale Logik«, welche wiederum in die »transzendentale Analytik« und »transzendentale Dialektik« zerfällt. Die »transzendentale Ästhetik« ist die Wissenschaft von den »Prinzipien der Sinnlichkeit«. Die Frage: wie ist reine Mathematik möglich, beantwortet sie durch ihre Bestimmung von Raum und Zeit als apriorischer Anschauungsformen. Die »transzendentale Logik« hat es mit den apriorischen Denkformen oder Kategorien als Bedingungen der reinen Naturwissenschaft zu tun. Als »transzendentale Analytik« befaßt sie sich mit den Prinzipien, ohne welche überall kein Gegenstand gedacht werden kann; als »transzendentale Dialektik« ist sie eine Kritik des Scheins, als ob unsere Vernunft über die Erfahrung hinaus könnte.
Erkenntnis von Gegenständlichem ist nach K. nur »in dem Ganzen aller möglichen Erfahrung« möglich.. Alle Erkenntnis beginnt, bei der Erfahrung und endet bei ihr, aber nicht alles an der Erkenntnis stammt aus der Erfahrung, die Erfahrung selbst ist mehr als bloße Wahrnehmung, mehr als bloß ein von außen Gegebenes, sie ist schon ein Werk des Intellekts und durch die Formen desselben bedingt. Die Erfahrung selbst besteht in den »synthetischen Verknüpfungen der Erscheinungen in einem Bewußtsein, sofern dieselbe notwendig ist«. Durch Analyse der Erfahrungserkenntnis findet man das rein Empirische[317] in ihr und das, was »Zutat« unseres Geistes ist. »Wenn aber gleich alle unsere Erkenntnis mit der Erfahrung anhebt, so entspringt sie darum doch nicht eben alle aus der Erfahrung. Denn es könnte wohl sein, daß selbst unsere Erfahrungserkenntnis ein Zusammengesetztes aus dem sei, was wir durch Eindrücke empfangen, und dem, was unser eigenes Erkenntnisvermögen (durch sinnliche Eindrücke bloß veranlaßt) aus sich selbst hergibt, welchen Zusatz wir von jenem Grundstoffe nicht eher unterscheiden, als bis lange Übung uns darauf aufmerksam und zur Absonderung desselben geschickt gemacht hat.« »Erfahrung ist ohne Zweifel das erste Produkt, welches unser Verstand hervorbringt, indem er den rohen Stoff sinnlicher Empfindungen bearbeitet.« K. unterscheidet also Stoff und Form der Erscheinung. Die Form ist dasjenige, was macht, »daß das Mannigfaltige der Erscheinung in gewissen Verhältnissen geordnet angeschauet wird«. Die Form liegt a priori in uns, sie geht (logisch) allen sinnlichen Eindrücken vorher; sie bringt Einheit und Ordnung in das Empfindungsmaterial (Formen der Sinnlichkeit) und die Anschauungsmannigfaltigkeit (Formen des Denkens). Die Erfahrung enthält nämlich außer der Anschauung der Sinne, wodurch etwas gegeben wird, noch einen Begriff von einem Gegenstande als Bedingung a priori der (objektiven) Erfahrungserkenntnis.
Die Erfahrung nun »lehrt mich zwar, was da sei und wie es sei, niemals aber, daß es notwendigerweise so und nicht anders sein müsse«. Sie gibt daher ihren Urteilen keine wahre, strenge, sondern nur »komparative« Allgemeinheit (durch Induktion), keine Apodiktizität, keine unbedingte Notwendigkeit. Allgemeinheit und Notwendigkeit kommen zu: erstens in strenger Weise den analytischen Urteilen, welche nur »Erläuterungsurteile« sind, d.h. im Prädikate nur etwas, was schon im Subjekt liegt, aussagen und auf dem Prinzip des zu vermeidenden Widerspruchs beruhen (z.B. alle Körper sind ausgedehnt); zweitens (in komparativer Weise) den synthetischen Urteilen (»Erweiterungsurteilen«) a posteriori, welche auf Grund der Erfahrung ein neues Prädikat mit dem Subjekt verbinden (z.B. alle Körper sind schwer). Es gibt aber, drittens, auch synthetische Urteile a priori, welche unabhängig von aller Erfahrung mit strenger Allgemeinheit und Notwendigkeit etwas von einem Subjekt aussagen. Unter dem Apriorischen im engeren Sinne versteht K. nicht wie andere Autoren Erkenntnis aus den Ursachen oder aus Begriffen oder durch Schlußfolgerung, auch nicht das psychologisch Angeborene, sondern das von aller Erfahrung schlechthin Unabhängige und dabei doch absolut Gewisse, Notwendige. Allgemeingültige, weil rein in der Vernunft Wurzelnde. »Solche allgemeine Erkenntnisse nun, die zugleich den Charakter der inneren Notwendigkeit haben, müssen, von der Erfahrung unabhängig, vor sich selbst klar und gewiß sein; man nennt sie daher Erkenntnisse a priori, da im Gegenteil das, was lediglich von der Erfahrung erborgt ist, nur a posteriori oder empirisch erkannt wird.« Die Apriorität der Urteile kündigt sich von selbst durch das Bewußtsein ihrer Notwendigkeit an und bezieht sich nur auf das Formale der Erkenntnis, nicht auf deren Stoff oder deren Einzelheiten. Das Apriorische liegt in der »formalen Beschaffenheit des Subjekts«, wobei unter »Subjekt« nicht das individuelle Bewußtsein als solches, sondern das[318] allen Individuen gemeinsame, insofern überindividuelle Geistige oder das Erkennen in Abstraktion vom zufälligen Erleben verständen, wird. A priori ist was wir in die Dinge hineinlegen, was in unserem Erkennen »niemals weggelassen« werden kann, was der formenden Tätigkeit des Geistes entspringt, in ihm bereit liegt und, bei Gelegenheit der Empfindung, als Eigengesetzlichkeit des Anschauens und Denkens funktioniert. Rein sind jene apriorischen Erkenntnisse, denen gar nichts Empirisches beigemischt ist, die vielmehr selbst Bedingungen der Erfahrung sind.
Wie sind nun synthetische Urteile a priori möglich ? Wie können wir a priori, unabhängig von der Erfahrung, dabei notwendig und allgemeingültig etwas von möglichen Erfahrungsobjekten aussagen, wie dies nach K. in der (reinen) Mathematik, Naturwissenschaft und Metaphysik geschieht? Worauf stützt sich eine solche apriorische Erkenntnis, welches ist ihre Grundlage, wodurch ist sie ermöglicht? Die Antwort lautet: solche Urteile sind möglich weil die Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung zugleich die Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrungsobjekte sind, weil diese letzteren nicht. Dinge an sich sind, deren Übereinstimmung mit der Gesetzlichkeit unseres Geistes rätselhaft wäre, sondern synthetische Produkte des Bewußtseins selbst, die in einem »Ding an sich« ihren »Grund« haben, als solche Synthesen aber nur für ein »Bewußtsein überhaupt« Sinn und Existenz (»empirische Realität«) haben (Transzendentaler Idealismus). Weil die Dinge als Erscheinungen selbst schon durch die Formen des Bewußtseins bedingt sind, gelten diese Formen, obwohl, ja gerade weil sie nur »subjektiv« sind, a priori für alles Objektive, das durch sie erst konstituiert wird..
Die Urteile der reinen Mathematik zunächst sind nach K. (im Gegensatz zu Hume) synthetisch und apriorisch, weil streng allgemein und notwendig. Die mathematischen Axiome »gelten als Regeln, unter denen überhaupt Erfahrungen möglich sind, und belehren uns vor denselben und nicht durch dieselben«. Die mathematische Erkenntnis ist Vernunfterkenntnis aus der »Konstruktion der Begriffe«. Nicht auf die Erfahrung, sondern auf die Handlung der Konstruktion in der reinen Anschauung kommt es an; wir schaffen die Gegenstände in Raum und Zeit selbst, durch »gleichförmige Synthesis«. Der Satz 5 + 12 z.B. ist kein analytischer Satz. Der Begriff der Summe von sieben und fünf enthält nur »die Vereinigung beider Zahlen in eine einzige, wodurch ganz und gar nicht gedacht wird, welches diese einzige Zahl sei, die beides zusammenfaßt«. Die zwölf ist durch Analyse in dem Begriff der Summe nicht zu finden. »Man muß über diese Begriffe hinausgehen, indem man die Anschauung zu Hilfe nimmt, die einem von beiden korrespondiert, oder... fünf Punkte und so nach und nach die Einheiten der in der Anschauung gegebenen fünf zu dem Begriffe der sieben hinzutut.« »Ebensowenig ist irgend ein Grundsatz der reinen Geometrie analytisch. Daß die gerade Linie zwischen zween Punkten die kürzeste sei, ist ein synthetischer Satz. Denn mein Begriff vom Geraden enthält nichts von Größe, sondern nur eine Qualität. Der Begriff des Kürzesten kommt also gänzlich hinzu und kann durch keine Zergliederung aus dem Begriffe der geraden Linie gezogen werden. Anschauung muß also[319] hier zu Hilfe genommen werden, vermittelst deren allein die Synthesis möglich ist.«
Die Apriorität dieser Urteile nun begründet K., indem er dartut daß Raum und Zeit, auf die sich die Mathematik stützt, Formen der Anschauung (»reine Anschauungen «) sind, welche die apriorischen Bedingungen der Existenz von Gegenständen für uns sind. Unter der »Form« der Sinnlichkeit versteht K. »das, worinnen sich die Empfindungen ordnen«, was also nicht selbst Empfindung sein kann. Die Anschauungsformen sind nicht angeboren, sondern »ursprünglich erworben«. Angeboren ist nur der »erste formale Grund« der Möglichkeit der Anschauungsformen.
Der Raum ist die Form des »äußeren Sinnes«, kein aus der Erfahrung abstrahierter Begriff, sondern eine »reine Anschauung«. K. argumentiert wie folgt: »1. Der Raum ist kein empirischer Begriff, der von äußeren Begriffen abgezogen worden. Denn damit gewisse Empfindungen auf etwas außer mir bezogen werden (d. i. auf etwas in einem anderen Orte des Raumes, als darinnen ich mich befinde), ingleichen damit ich sie als außer (und neben) einander... vorstellen könne, dazu muß die Vorstellung des Raumes schon zugrunde liegen. Demnach kann die Vorstellung des Raumes nicht aus den Verhältnissen der äußeren Erscheinung durch Erfahrung erborgt sein, sondern diese äußere Erfahrung ist selbst nur durch gedachte Vorstellung allererst möglich.« »2. Der Raum ist eine notwendige Vorstellung a priori, die allen äußeren Anschauungen zugrunde liegt. Man kann sich niemals eine Vorstellung davon machen, daß kein Raum sei, ob man sich gleich ganz wohl denken kann, daß keine Gegenstände darin angetroffen werden.« »3. Auf diese Notwendigkeit a priori gründet sich die apodiktische Gewißheit aller geometrischen Grundsätze und die Möglichkeit ihrer Grundsätze a priori.« 4. »Der Raum ist kein diskursiver, oder, wie man sagt, allgemeiner Begriff von Verhältnissen der Dinge überhaupt, sondern eine reine Anschauung. Denn erstlich kann man sich nur einen einigen Raum vorstellen, und wenn man von vielen Bäumen redet, so verstehet man darunter nur Teile eines und desselben alleinigen Raumes. Diese Teile können auch nicht vor dem einigen allbefassenden Räume gleichsam als dessen Bestandteile... vorhergehen, sondern nur in ihm gedacht werden.« »5. Der Raum wird als eine unendliche Größe gegeben vorgestellt.«
Damit in der Geometrie apriorische Sätze möglich sind, muß der Raum ursprünglich Anschauung, nicht bloßer Begriff sein. Diese Anschauung muß ferner apriorisch sein. Wie kann nun eine solche Anschauung dem Objekte selbst vorangehen? »Offenbar nicht anders, als sofern sie bloß im Subjekte, als die formale Beschaffenheit desselben, von Objekten affiziert zu werden und dadurch unmittelbare Vorstellung derselben, d. i. Anschauung zu bekommen, ihren Sitz hat, also nur als Form des äußeren Sinnes überhaupt.« Die Apriorität des Raumes schließt nun nach K. auch dessen »Subjektivität« (bzw. Erfahrungs-Immanenz im Gegensatz zum Transzendenten) ein, freilich nicht die individuelle Subjektivität der Empfindungsqualitäten, sondern die Gattungs-Subjektivität, die eine Allgemeingültigkeit und insofern eine Objektivität[320] (ein vom Einzelwahrnehmen Unabhängigsein) des Raumes nicht ausschließt. »Der Raum stellet gar keine Eigenschaft irgend einiger Dinge an sich, oder sie in ihrem Verhältnis aufeinander vor, d. i. keine Bestimmung derselben, die an Gegenständen selbst haftete, und welche bliebe, wenn man auch von allen subjektiven Bedingungen der Anschauung abstrahierte. Denn weder absolute, noch relative Bestimmungen können vor dem Dasein der Dinge, welchen sie zukommen, mithin nicht a priori angeschauet werden.« Der Raum ist also kein Ding an sich, auch keine Eigenschaft desselben, auch keine Beziehung zwischen Dingen an sich, sondern die Form der »Erscheinung äußerer Sinne«, d.h. der Dinge, wie sie in Beziehung zum äußeren Sinne sich allgemein darstellen müssen. »Der Raum ist nichts anderes als nur die Form aller Erscheinungen äußerer Sinne, d. i. die subjektive Bedingung der Sinnlichkeit, unter der allein uns äußere Anschauung möglich ist.« Wir können nur vom Standpunkte eines Menschen (bzw. eines analogen Wesens) vom Raum, von ausgedehnten Dingen, von Bewegung, von Körperlichkeit u. dgl. reden. »Gehen wir von der subjektiven Bedingung ab, unter welcher wir allein äußere Anschauung bekommen können..., so bedeutet die Vorstellung des Raumes gar nichts. Dieses Prädikat wird den Dingen nur insofern beigelegt, als sie uns erscheinen, d. i. Gegenstände der Sinnlichkeit sind.« Der Raum hat »empirische Realität«, d.h. er ist die Form aller nur denkbaren äußeren Erfahrung, zugleich aber »transzendentale Idealität«, d.h. er ist nur auf Erscheinungen, nicht auf das Ding an sich – welches nicht räumlich ist, wenn es auch den Grund zu unseren (so und so bestimmten) Raumvorstellungen (bzw. zu deren Anwendung) enthält – bezüglich.
Analog verhält es sich mit der Zeit, der Form des »inneren Sinnes« (mittelbar auch der äußeren Sinne). Die Erfahrung ist nicht die Quelle der Zeitanschauung, sondern setzt diese schon voraus. Die Zeit ist eine stetige Größe ohne Teile, nur mit Grenzen. Die Zeit ist keine Bestimmung der Dinge an sich, als welche sie nicht die Grundlage apriorischer Sätze (Arithmetik) sein könnte. »Die Zeit ist nichts anderes, als die Form des inneren Sinnes, d. i. des Anschauens unserer selbst und unseres inneren Zustandes.« Sie ist weiter die »formale Bedingung aller Erscheinungen überhaupt«. Alle Erscheinungen sind in der Zeit, insofern ist die Zeit objektiv, d.h. empirisch real; nie kann uns ein Gegenstand in der Erfahrung gegeben werden, der nicht unter die Bedingung der Zeit gehörte. Betreffs der inneren Erfahrung hat die Zeit »subjektive Realität«, als Erlebnisform ist sie wirklich, nicht ein Schein. »Wenn aber ich selbst oder ein ander Wesen mich, ohne diese Bedingung der Sinnlichkeit anschauen könnte, so würden eben dieselben Bestimmungen, die wir uns jetzt als Veränderungen vorstellen, eine Erkenntnis geben, in welcher die Vorstellung, mithin die Veränderung gar nicht vorkäme.« An sich gibt es also keine Zeit, keine Sukzession, keine Veränderung, und der »innere Sinn« zeigt unser Ich nicht wie es an sich ist, sondern nur als Erscheinung, wie es der Körper ist.
Erscheinung ist aber vom Schein scharf zu sondern. Erscheinung ist das Ding, sofern es »Objekt der sinnlichen Anschauung« ist, das Ding im[321] Verhältnisse zum Subjekt. Erscheinungen als solche sind »Vorstellungen, die nach empirischen Gesetzen zusammenhängen« und »Gründe« haben, die nicht selbst Erscheinungen sind. Der Satz: die Körper sind Erscheinungen, heißt also nicht etwa, die Körper scheinen bloß außer mir oder außer einander zu sein; sie sind es wirklich (in aller möglichen und allgemeinen Erfahrung), wenn auch nicht ohne Beziehung zum Erfahren überhaupt. »Ein Ding an sich« muß es geben, denn sonst wäre Erscheinung ohne etwas, was da erscheint. Die Dinge an sich sind nicht Gegenstand unserer Erkenntnis, aber sie geben den Stoff zu empirischen Anschauungen, indem sie uns »affizieren«, d.h. den Grund zu unserem Empfinden und Wahrnehmen enthalten (was noch nicht die Kategorie der Kausalität im engeren Sinne erfordert). Die Dinge sind nicht an sich das, als was wir sie anschauen; was sie unabhängig von unseren Anschauungen sind, wissen wir nicht.
Aber auch nicht, was sie unabhängig von den Formen unseres Denkens (den »Kategorien«) sind, denn auch diese sind nicht Bestimmungen der Dinge an sich, sondern Einheitssynthesen des Denkens, des Intellekts, wie er sich allgemein in aller Erfahrung und namentlich in der Wissenschaft betätigt. – Anschauung und Denken, Sinnlichkeit und Verstand sind, wenn sie auch nur zusammen zur Erkenntnis führen und vielleicht sogar eine gemeinsame Wurzel haben, scharf zu sondern. Die Sinnlichkeit ist rein rezeptiv, der Verstand aktiv. Unter der »Sinnlichkeit« versteht K. die Fähigkeit (»Rezeptivität«), »Vorstellungen durch die Art, wie wir von Gegenständen affiziert werden, zu bekommen«. »Vermittelst der Sinnlichkeit also werden uns Gegenstände gegeben, und sie allein liefert uns Anschauungen; durch den Verstand aber werden sie gedacht, und von ihnen entspringen Begriffe.« Alles Denken aber muß sich direkt oder indirekt auf mögliche Anschauung beziehen, sonst ist es leer: »Gedanken ohne Inhalt sind leer, Anschauungen ohne Begriffe sind blind.« Der Verstand vermag nichts anzuschauen, die Sinne vermögen nichts zu denken; nur aus ihrer Vereinigung kann Erkenntnis entspringen. Die Anschauung beruht auf »Affektion«, der Begriff aber (die »Einheit des Bewußtseins verbundener Vorstellungen«) auf »Funktionen« des Verstandes. Dieser hat »Spontaneität«, d.h. das Vermögen, »Vorstellungen selbst hervorzubringen«; er ist das »Vermögen zu urteilen«, das »Vermögen der Regeln«. Die Funktion des Denkens ist die Vereinigung von Vorstellungen in einem Bewußtsein, zugleich Beziehung gegebener Anschauungen auf einen Gegenstand. »Realisierte logische Funktionen« sind nun die Kategorien, die allgemeinsten Formen der gedanklich bestimmten Erscheinungen.
Die Kategorien oder »reinen Verstandesbegriffe« entnimmt K. den logischen Urteilsformen, in denen sie sich entfalten. Sie sind nicht Prädikate der Dinge an sich, sondern Begriffe von je einer Art »reiner Synthese« seitens des Verstandes, durch welche er Anschauungsinhalte formt, ordnet und objektiviert. Sie sind also nicht angeborene Begriffe, sondern ursprüngliche Synthesen, vermittelst Funktionen, die erst bei Gelegenheit der Anschauung wirksam werden. Diese Funktion aber ist nach K. dieselbe Funktion, welche den verschiedenen Vorstellungen in einem Urteile Einheit gibt. So viele logische[322] Funktionen in allen möglichen Urteilen, so viele Kategorien gibt es, nämlich genau zwölf: 1. Der Quantität nach: Einheit, Vielheit, Allheit. S. Der Qualität nach: Realität, Negation, Limitation. 3. Der Relation nach: Inhärenz und Subsistenz (Substanz und Akzidenz), Kausalität und Dependenz (Ursache und Wirkung), Gemeinschaft (Wechselwirkung). 4. Der Modalität nach: Möglichkeit und Unmöglichkeit, Dasein und Nichtsein, Notwendigkeit und Zufälligkeit. Als Quelle der Kategorien ist der Verstand »reiner« Verstand; die Kategorien sind die wahren »Stammbegriffe« des reinen Verstandes. Es gibt ferner »Prädikabilien«, reine, aber (aus den Kategorien, Prädikamenten) schon abgeleitete Verstandesbegriffe (Kraft, Handlung, Leiden, Widerstand usw.). – In der Tafel der Kategorien entspringt überall die dritte Kategorie aus der Verbindung der zweiten mit der ersten. Die »mathematischen« Kategorien gehen auf Gegenstände der Anschauung, die »dynamischen« auf die Existenz der Gegenstände. Im allgemeinen sind die Kategorien Denkformen, welche einen Gegenstand überhaupt bestimmen. Sie ermöglichen, konstituieren objektive Erfahrung und Erfahrungsobjekte, indem sie erst die Mannigfaltigkeit der Anschauungen auf feste Einheiten und Zusammenhänge allgemeingültig beziehen lassen. Die »transzendentale Deduktion« der Kategorien rechtfertigt die apriorische Geltung derselben für alle mögliche Erfahrung durch den Nachweis, daß durch sie allein Erfahrung in begrifflicher Form möglich ist, daß sie also Bedingungen solcher Erfahrung sind und daß es ohne sie keine Erfahrungsobjekte. (d.h. wirkende Dinge in gesetzlichen Relationen) geben kann. Der Begriff der Kausalität z.B. ist ein apriorischer Verstandesbegriff, der erst feste Ordnung in die Erscheinungen bringt. Es ist nur dadurch, »daß wir die Folge der Erscheinungen, mithin alle Veränderung dem Gesetze der Kausalität unterwerfen«. Erfahrung möglich. So ergibt sich a priori das Gesetz: Alles, was geschieht, setzt etwas voraus, worauf es nach einer Regel folgt. Aber die einzelnen Kausalverbindungen und Gesetze können nur auf Grund denkender Verarbeitung der Erfahrung – also nicht rein apriorisch – gefunden werden. Im Gegensatze zu Hume aber schreibt K. der Kausalität (wie allen Kategorien) strenge Notwendigkeit zu, sie hat nicht eine biologisch-psychologische, sondern eine transzendental-logische (aber nicht formal-logische) Wurzel.
Zu betonen ist, daß die Kategorien nur Erkenntnis verschaffen, wenn sie auf mögliche Anschauung sich beziehen, ohne welche sie absolut leer sind. Sie gelten nur für Gegenstände möglicher Erfahrung, dienen gleichsam nur, »Erscheinungen zu buchstabieren, um sie als Erfahrung lesen zu können«. »Unsere sinnliche und empirische Anschauung kann ihnen allein Sinn und Bedeutung verschaffen.« Was der Verstand aus sich selbst schöpft, hat er dennoch nur zum Erfahrungsgebrauch. Die Kategorien bedürfen daher »Bestimmungen ihrer Anwendung auf Sinnlichkeit überhaupt«, der »transzendentalen Schemate«, welche die Kategorien »realisieren« und auf die Sinnlichkeit »restringieren«. Indem das Schema sowohl mit der Kategorie als mit der Anschauung etwas gemein hat, ermöglicht es die Anwendung jener auf diese. Das transzendentale Schema ist »die reine Synthesis, die die reine Kategorie ausdrückt, und ist ein[323] transzendentales Produkt der Einbildungskraft«. Die Verbindung zwischen Kategorie und Anschauung stellt die transzendentale Zeitbestimmung her. Die Schemate sind nichts als »Zeitbestimmungen a priori nach Regeln, und diese gehen nach der Ordnung der Kategorien auf die Zeitreihe, den Zeitinhalt, die Zeitordnung, den Zeitinbegriff in Ansehung aller möglichen Gegenstände«. Das Schema der Große Ist die Zahl, das der Realität die stetige Erzeugung des Inhalte in der Zeit; das Schema der Substanz ist die Beharrlichkeit des Realen in der Zeit, usw. Was also in der Kategorie abstrakt gedacht ist, wird durch den »Schematismus« als formal-anschauliche Relation gesetzt. – Die Gesetzmäßigkeit, die wir in den Dingen anschauen und erfahren, ist also schon durch die Funktionen unseres Verstandes bedingt. Dieser ist »selbst die Gesetzgebung für die Natur, d.h. ohne Verstand würde es überall nicht Natur, d.h. synthetische Einheit des Mannigfaltigen der Erscheinungen geben«. Der Verstand ist der »Quell der Gesetze der Natur«, ohne daß aber die empirischen, einzelnen Gesetze als solche aus dem reinen Verstände entspringen. Die Frage: Wie ist reine Naturwissenschaft möglich? beantwortet sich also wie folgt: Sie ist möglich, weil die Begriffe und Grundsätze, welche in ihr a priori verwendet werden, erst Natur (als objektive Erscheinung) konstituieren, herstellen.
Die apriorischen Grundsätze sind die Regeln des Gebrauchs der Kategorien, aus deren Abstraktion sie gewonnen werden. Sie sind die obersten Regeln und Bedingungen der synthetischen Urteile, zugleich allgemeine Gesetze der Natur, welche a priori erkannt werden können, sie erst machen ein »Natursystem« aus. Alles, was uns als Gegenstand vorkommen kann, steht notwendig unter Regeln, weil ohne solche überhaupt keine gegenständliche Erkenntnis möglich ist. Die Regelmäßigkeit der Natur legen wir selbst – aber methodisch, allgemeingültig, durch das Erkenntnisziel genötigt – in sie hinein. Die mathematischen Grundsätze gehen nur auf die Anschauung und sind unmittelbar evident, die dynamischen gehen auf das Dasein überhaupt und sind mittelbar evident. Das Prinzip der Axiome der Anschauung ist: »Alle Erscheinungen sind ihrer Anschauung nach extensive Größen.« Das Prinzip der Analogien der Erfahrung (nach welchen aus Wahrnehmungen Einheit, der Erfahrung entspringen soll) ist: »Alle Erfahrungen stellen, ihrem Dasein nach, a priori unter Regeln der Bestimmung ihres Verhältnisses untereinander in der Zeit.« Darin liegen die Grundsätze der Substanz, der Kausalität, der Gemeinschaft (Wechselwirkung). Die Postulate des empirischen Denkens überhaupt sind: »1. Was mit den formalen Bedingungen der Erfahrung (der Anschauung und den Begriffen nach) übereinkommt, ist möglich.« »2. Was mit den materiellen Bedingungen der Erfahrung (der Empfindung) zusammenhängt, ist wirklich.« »3. Dessen Zusammenhang mit dem Wirklichen nach allgemeinen Bedingungen der Erfahrung bestimmt ist, ist (existiert) notwendig.« Vermittelst dieser Grundsätze können wir a priori über das Allgemein-Formale aller Erscheinungen urteilen. Die Realität dieser aber ist ebenso groß für die innere wie für die äußere Wahrnehmung; das empirische Ich ist ebenso unmittelbar gegeben[324] wie der Körper, ja die innere Erfahrung ist sogar ohne die äußere nicht möglich.
Großes Gewicht legt K. auf den Begriff der Synthese. Durch eine solche kommt erst alle Verbindung in den Erscheinungen zustande, die niemals von selbst oder von außen gegeben ist. Synthesis ist die Handlung, »verschiedene Vorstellungen zueinander hinzuzutun und ihre Mannigfaltigkeit in einer Erkenntnis zu begreifen«. Sie sammelt erst »Elemente zu Erkenntnissen«. Zunächst ist sie die Wirkung der »Einbildungskraft«, »einer blinden, obgleich unentbehrlichen Funktion der Seele, ohne die wir überall gar keine Erkenntnis haben würden, der wir uns aber selten nur einmal bewußt sind«. Die transzendentale, reine, produktive Einbildungskraft geht auf die »Verbindung des Mannigfaltigen a priori« und vermittelt zwischen Sinnlichkeit und Verstand, indem sie Vorstellungen den Kategorien gemäß verbindet. Die »reine Synthesis« aber, allgemein gedacht, gibt den reinen Verstandesbegriff; die Kategorien sind geradezu »Arten der synthetischen Einheit der Apperzeption«.. Die erste Synthesis der produktiven Einbildungskraft ist die »Synthesis der Apprehension«, das »Durchlaufen der Mannigfaltigkeit und dann die Zusammennehmung derselben«. Dazu kommt die Synthesis der »Reproduktion« und die der »Rekognition«, der Identifizierung des Jetzigen mit Früherem. Ohne diese Synthesen ist Einheit und Zusammenhang des Bewußtseins nicht möglich.
Die Einheit der transzendentalen Apperzeption ist die oberste Bedingung alles Denkens und aller Kategorien, ja auch der Einheit von Raum und Zeit. Die Einheit, welche der Gegenstand notwendig macht, die ihn konstituiert, ist die »Einheit des Bewußtseins in der Synthesis des Mannigfaltigen der Vorstellungen«. Nichts kann Objekt der Erfahrung werden, was nicht den Bedingungen dieser formalen Einheit genügt, nicht zur Einheit des reinen Selbstbewußtseins zusammengeht. Es können keine Erkenntnisse stattfinden, keine Synthesen derselben zur Einheit ohne »diejenige Einheit des Bewußtseins, welche vor allen Datis der Anschauungen vorhergeht und worauf in Beziehung alle Vorstellung von Gegenständen möglich ist«. »Dieses reine, ursprüngliche, unwandelbare Bewußtsein will ich nun die transzendentale Apperzeption nennen« (im Unterschiede von der empirischen Apperzeption, dem wandelbaren inhaltlichen Ichbewußtsein). Die Einheit und Identität, um die es sich hier handelt, ist die des Ich überhaupt, nicht des jeweilig auftretenden (empirischen) Ichbewußtseins. Der Ausdruck der Apperzeption ist das »Ich denke«, das alle unsere Vorstellungen muß begleiten können (als logische Möglichkeit); dieses »Ich denke« ist »in allem Bewußtsein ein und dasselbe«. Die Identität des reinen Selbstbewußtseins ist eine »notwendige Bedingung der Möglichkeit aller Vorstellungen«. Das »stehende und bleibende Ich« der reinen Apperzeption macht das Korrelat aller unserer Vorstellungen aus; alles Bewußtsein gehört zu einer »allbefassenden reinen Apperzeption«. Die transzendentale Einheit der Apperzeption macht aus allen möglichen Erscheinungen, die in einer Erfahrung sein können, einen gesetzmäßigen Zusammenhang, indem die reine Apperzeption ein Prinzip der synthetischen[325] Einheit des Mannigfaltigen an die Hand gibt. »Es werden also soviel Begriffe a priori im Verstande liegen, worunter die Gegenstände, die den Sinnen gegeben werden, stehen müssen, als es Arten der Zusammensetzung (Synthesis) mit Bewußtsein, d. i. als es Arten der synthetischen Einheit der Apperzeption des in der Anschauung gegebenen Mannigfaltigen gibt« (Kleine Sehr. III2. S. 97).
Anschauungs- und Denkformen als allgemeingültige Ordnungen, in welche die Data der Sinne bezogen werden, konstituieren das Objektive. Urteile sind nach K. objektiv, wenn sie »in einem Bewußtsein überhaupt, d. i. darin notwendig vereinigt werden«. Das Objektive ist also zwar das vom psychischen Erleben des Individuums Unabhängige, diesem gegenständlich Entgegentretende, aber nicht das absolut Transzendente, nicht das Ding an sich, welches unerkennbar ist, nie selbst Objekt wird. Objekt ist das, in dessen Begriff das Mannigfaltige einer gegebenen Anschauung vereinigt ist; die Einheit des Bewußtseins allein macht die Beziehung der Vorstellung auf einen Gegenstand aus, die objektive Einheit ist durch die Einheit der transzendentalen Apperzeption bedingt, ja nur das Korrelat, der Ausdruck derselben: Wir erkennen den Gegenstand, wenn wir in dem Mannigfaltigen der Anschauung synthetische Einheit bewirkt haben. Der Begriff vom Gegenstande ist nichts als der Begriff der »Einheit der Regel«, nach welcher das Mannigfaltige verbunden wird. Die Beziehung auf einen »transzendentalen Gegenstand«, d.h. die objektive Realität unserer empirischen Erkenntnis beruht auf dem Gesetze, daß alle Erscheinungen. sofern uns durch sie Gegenstände gegeben werden sollen, unter apriorischen Regeln der synthetischen Einheit derselben stehen müssen. »Wenn wir untersuchen, was denn die Beziehung auf einen Gegenstand unseren Vorstellungen für eine neue Beschaffenheit gebe, und welches die Dignität sei, die sie dadurch erhalten, so finden wir, daß sie nichts weiter tut, als die Verbindung der Vorstellungen auf eine gewisse Art notwendig zu machen und sie einer Regel zu unterwerfen.« Der Gegenstand ist etwas, »was dawider ist, daß unsere Erkenntnisse nicht aufs Geratewohl oder beliebig, sondern a priori auf gewisse Weise bestimmt seien«, also das nach einer Regel zu einer festen, allgemeingültig gedachten Einheit, zu einem Inhalt des »Bewußtseins überhaupt« Verknüpfte und vom subjektiven Ablauf der Vorstellungen wohl Unterschiedene (z.B. das Ding »Sonne« mit dem, was wesentlich zu ihm gehört, im Unterschied von den einzelnen Wahrnehmungen, welche dieses Ding in uns auslöst). Der Gegenstand einer Wahrnehmung heißt Erscheinung, und Erscheinungen (Phänomene) sind die einzigen Gegenstände unserer Vorstellungen und selbst nur gesetzmäßig verknüpfte (mögliche) »Vorstellungen«, die selbst wieder ihren Gegenstand haben. Dieser »transzendentale Gegenstand« kann nicht mehr angeschaut werden, er ist nicht empirisch, ein X, wovon wir nichts wissen können; er kann nur als »Korrelatum der Einheit der Apperzeption« dienen.
Dies führt zum Grenzbegriff des Noumenon. »Erscheinungen, sofern sie als Gegenstände nach der Einheit der Kategorien gedacht werden, heißen Phänomena. Wenn ich aber Dinge annehme, die bloß Gegenstände des Verstandes[326] sind und gleichwohl, als solche, einer Anschauung, obgleich nicht der sinnlichen (als coram intuitu intellectualis) gegeben werden können, so würden dergleichen Dinge Noumena (intelligibilia) heißen.« Die Noumena sind also die Dinge, wie wir sie als nichtsinnliche Gegenstände einer rein geistigen, intellektuellen Anschauung (bzw. eines reinen Verstandes) denken, die aber uns nicht zukommt, so daß wir nichts Positives über die Noumena aussagen können. Dieser Begriff ist daher nur ein »Grenzbegriff«, um die »Anmaßung der Sinnlichkeit« einzuschränken und uns zu erinnern, daß die Dinge (etwa durch Gott oder höhere Wesen als wir) noch anders erfaßt werden können, als wir es mit unserer sinnlichen Wahrnehmung, auf die sich unsere ganze Wirklichkeitserkenntnis bezieht, vermögen. Außerdem ist der Begriff des Noumenon von Wert für die Ethik, welche den Menschen als »homo noumenon«, als intelligiblen, freien autonomen Charakter (als »causa noumenon«) betrachtet. Wenn wir also auch nichts von der Beschaffenheit der Dinge an sich erkennen können; daß sie bestehen und daß sie anders sind, als die Objekte unserer Erfahrung, denen sie letzten Endes zugrunde liegen, steht fest. Wir dürfen daher nie Bestimmungen, die nur auf die Welt der Erscheinungen passen, auf das Ding an sich anwenden, auch nicht glauben, daß selbst die feinste (experimentell ermöglichte oder gedankliche) Zergliederung der Erfahrungsobjekte oder die Ergänzung der Erfahrung durch Hypothesen (Atom u. dgl.) uns über mögliche Erfahrung zum Ding an sich führe. Auch wenn wir über etwas nicht Wahrgenommenes, über etwas längst Vergangenes oder Zukünftiges urteilen, so können wir es nur so vorstellen und denkend bestimmen, wie es für ein Bewußtsein überhaupt gewesen wäre, ist oder sein würde. Man muß sich auch vor der Amphibolie der Reflexionsbegriffe hüten (was z.B. Leibniz nicht getan hat). Vermittelst der »transzendentalen Überzeugung« stellen wir vergleichend fest, ob Vorstellungen zum reinen Verstände oder zur sinnlichen Anschauung gehören. Die »Reflexionsbegriffe« (Einerleiheit und Verschiedenheit, Einstimmung und Widerstreit, Materie und Form) sind nur Begriffe der Vergleichung, des Verhältnisses schon gegebener Begriffe, dürfen also nicht auf die Dinge an sich angewandt werden und es darf nicht (wie bei Leibniz) geglaubt werden, daß die sinnliche Anschauung nur eine »verworrene Vorstellung« intellektueller Verhältnisse sei; sie hat vielmehr ihre eigenen Beziehungen, die auch da vorhanden sind (z.B. räumliche Unterschiede), wo der Verstand nichts mehr unterscheidet (Gegen das »Prinzip der Identität des Nichtzuunterscheidenden«). –
Die transzendentale Dialektik hat es mit der Vernunft (im engeren Sinne, im Unterschiede vom Verstande) und mit den Illusionen zu tun. welche aus der falschen Anwendung der Vernunftbegriffe entspringen, sie ist also eine Kritik der (älteren, dogmatischen, transzendenten) Metaphysik. Die Dialektik: ist die »Logik des Scheins«, die transzendentale Dialektik die »Kritik des dialektischen Scheins«. Die in der Natur der Vernunft liegende Dialektik, die zur Verwechslung subjektiver Notwendigkeit des Fortgangs im Denken mit objektiver Realität führt, beruht auf »ursprünglichen, natürlichen Illusionen«, auf einem »transzendentalen Schein«, den sie nicht gänzlich zerstören, wohl[327] aber unschädlich machen und begründen kann. Eine Selbsterkenntnis der reinen Vernunft ist das beste Mittel gegen die Verwirrungen und Widersprüche, in welche sie gerät, »wenn sie ihre Bestimmung mißdeutet und dasjenige transzendenterweise aufs Objekt an sich bezieht, was nur ihr eigenes Subjekt und die Leitung desselben in allem immanenten Gebrauche angeht«. »Immanent« bedeutet hier: innerhalb des Bereiches möglicher Erfahrung und möglichen Denkens bleibend. Die Vernunft (im engeren Sinne) ist nun das »Vermögen der Prinzipien«, der systematischen Einheit der Verstandesbegriffe, das Vermögen, zu schließen, vom Allgemeinen das Besondere abzuleiten, das Unbedingte zum Bedingten zu suchen, also alles unter eine höchste Einheit des Denkens zu bringen. Die Vernunft geht nicht direkt auf Erfahrung oder Gegenstände dieser, sondern auf den Verstand, um dessen Urteilen apriorische Einheit durch Begriffe zu geben (»Vernunfteinheit«). Sie hat »zu dem bedingten Erkenntnisse des Verstandes das Unbedingte zu finden, womit die Einheit desselben vollendet wird«, also die Verstandeserkenntnisse zu höchster Synthese zusammenzufassen.
Wie die Kategorien mit den Urteilen, so hängen mit den verschiedenen Arten der (Vernunft-)Schlüsse die reinen Vernunftbegriffe oder Ideen zusammen. Sie sind Begriffe, denen in der Erfahrung kein Gegenstand gegeben werden kann. Die »transzendentalen Ideen« betrachten alle Erfahrungserkenntnis als »bestimmt durch eine absolute Totalität der Bedingungen«. »Sie sind nicht willkürlich erdichtet, sondern durch die Natur der Vernunft selbst aufgegeben und beziehen sich daher notwendigerweise auf den ganzen Verstandesgebrauch. Sie sind endlich transzendent und übersteigen die Grenze aller Erfahrung.« Daher sind sie nicht wie die Kategorien »konstitutiv«, d.h. nicht Bedingungen von Gegenständen, sondern nur »regulativ«, die Richtung des Denkens, der Einheitssetzung bestimmend und nur dann, wenn sie als methodische Regeln des Fortgangs im Denken gebraucht werden, nicht als Begriffe von Dingen und deren Verhältnissen, werden sie frei von dialektischem Schein: »Der Grundsatz der Vernunft... ist eigentlich nur eine Regel, welche in der Reihe der Bedingungen gegebener Erscheinungen einen Regressus gebietet, dem es niemals erlaubt ist, bei einem schlechthin Unbedingten stehen zu bleiben. Er ist also kein Prinzipium der Möglichkeit der Erfahrung und der empirischen Erkenntnis der Gegenstände der Sinne.« Auch die Ideen also führen nicht wirklich ins Transzendente, sie regeln nur den immanenten Verstandesgebrauch, geben ihm nur die Richtung aufs Unbedingte, Unendliche, nicht dieses selbst als abgeschlossene Einheit. – Die Vernunftschlüsse gliedern sich in kategorische, hypothetische und disjunktive. Die darauf gegründeten Vernunftbegriffe (Ideen) sind: das Unbedingte der kategorischen Synthesis in einem Subjekt (Seele), das Unbedingte der hypothetischen Synthesis der Glieder einer Reihe (Welt), das Unbedingte der disjunktiven Synthesis zu einem System (Gott). Die dialektischen Vernunftschlüsse, die sich darauf beziehen, sind die psychologischen Paralogismen. die kosmologischen Antinomien und die Beweise für das Dasein Gottes.
Die transzendentalen Paralogismen sind Fehlschlüsse betreffs der Natur[328] der Seele, welche auf Grund der psychologischen Identität und logischen Einheit des Subjekts als eine einfache, immaterielle, unvergängliche Substanz bestimmt wird, ohne daß diese Eigenschaften aus jener Identität und Einheit folgen. In Wahrheit wird das Ich, das Subjekt des Denkens nur als ein X gedacht, welches nur durch seine Prädikate, die Vorstellungen erkannt wird, niemals aber abgesondert von diesen; schon deshalb nicht, weil durch die Form des »inneren Sinnes« das Ich nur als Erscheinung, nicht als Ding an sich erfaßt werden kann. also nur so, wie es den inneren Sinn »affiziert«, nicht als reines, übersinnliches Wiesen. Denn daß das Ich in seinem Denken und Wollen als Aktionsprinzip auftritt und sich als mehr als Erscheinung existierend weiß, genügt noch nicht zur Erkenntnis des Ichs an sich; Erkenntnis ohne Anschauung ist ja, nach Kant, unmöglich. Das Ich ist also stets nur Subjekt, nie Prädikat, aber nicht eine Substanz jenseits des Bewußtseins, von der wir nichts wissen. Ebenso ist die Einheit des Bewußtseins noch keine Erkenntnis der Einfachheit des Subjekts. Logische Einheit des Subjekts ist nicht reale, substantielle Einfachheit. Ferner bedeutet die Identität der Persönlichkeit in ihren Erlebnissen als Konstanz des Ichbewußtseins nicht die numerische Identität einer einfachen Seele. Daß ich endlich als psychologisch-logisches Subjekt von meinem Körper mich unterscheide, weist noch nicht auf die Möglichkeit einer leibfreien Existenz der Seele hin, deren Unsterblichkeit theoretisch nicht zu erweisen ist. Im Bewußtsein ist alles in kontinuierlichem Flusse, von einer einfachen, unveränderlichen Seelensubstanz findet sich hier nichts. Doch kann man sich die Seele so denken, als ob sie einfach wäre. also in regulativer Hinsicht. Das (empirische) Ich ist nicht das Ding an sich, sondern Erscheinung desselben wie der Körper; das beiden zugrunde liegende Ding an sich ist weder Materie noch ein denkendes Wesen. Es ist aber möglich, daß dasjenige, welches uns als ausgedehnt erscheint, für sich selbst vorstellend; denkend ist. So würde »eben dasselbe, was in einer Beziehung körperlich heißt, in einer anderen zugleich ein denkendes Wesen sein, dessen Gedanken wir zwar nicht, aber doch die Zeichen derselben in der Erscheinung anschauen können« (Annäherung an Leibniz; vgl. die Identitätstheorie Schellings, Schopenhauers, Fechners, Wundts u. a.). Das Etwas, was den äußeren Erscheinungen zugrunde liegt, könnte zugleich das Subjekt der Gedanken sein.
Die vier kosmologischen Ideen sind: 1. Die absolute Vollständigkeit der Zusammensetzung des gegebenen Ganzen aller Erscheinungen; 2. die absolute Vollständigkeit der Teilung eines gegebenen Ganzen in der Erscheinung; 3. die absolute Vollständigkeit der Entstehung einer Erscheinung überhaupt; 4. die absolute Vollständigkeit der Abhängigkeit des Daseins des Veränderlichen in der Erscheinung. Gemäß dem Grundsatze: »Wenn das Bedingte gegeben ist, so ist auch die ganze Summe der Bedingungen, mithin das schlechthin Unbedingte, gegeben« entstehen vier Antinomien, d.h. »Widersprüche, in die sich die Vernunft bei ihrem Streben, das Unbedingte zu denken, mit Notwendigkeit verwickelt, Widersprüche der Vernunft mit sich selbst«. Sie beruhen auf einer »natürlichen Täuschung«, weil die Idee der absoluten Totalität, welche nur als eine Bedingung der Dinge an sich gilt, auf Erscheinungen[329] angewandt wird. Jede Antinomie besteht aus einer »Thesis« und »Antithesis«. Beide sind nach K. in den ersten zwei (»mathematischen«) Antinomien falsch, weil Raum, Zeit, Einfachheit und Zusammengesetztheit nicht Bestimmungen von Dingen an sich sind. Es gilt nur das regulative Prinzip, nirgends eine Grenze (nach oben oder nach unten) anzunehmen, soweit wir auch in der Reihe der empirischen Bedingungen gekommen sind. Also weder die Thesis: die Welt ist veränderlich und zeitlich begrenzt, noch die Antithesis: die Welt ist unendlich; weder die Thesis: die Dinge bestehen aus einfachen Teilen, noch die Antithesis: es gibt nichts Einfaches, sind richtig. Als bloße Erscheinung kann die Welt weder ein an sich unendliches noch ein an sich endliches Ganzes sein, da sie nur »im empirischen Regressus der Reihe der Erscheinungen«, nicht als abgeschlossene Totalität gegeben ist. Ebenso ist die Menge der Teile in einer gegebenen Erscheinung an sich weder endlich noch unendlich. Der Raum besteht nicht aus unendlich vielen Teilen, er ist nur ins Unendliche teilbar, ebenso wie wir die Grenzen von Raum und Zeit immer weiter hinausrücken können. – Die beiden letzten (»dynamischen«) Antinomien lösen sich so, daß die Thesis für das Ding an sich, die Antithesis für die Erscheinungen gilt. Also: im Reiche des Ding an sich (des Intelligiblen, Noumenalen) herrscht Freiheit (»Kausalität durch Freiheit«), in der Natur hingegen ist alles (auch das Handeln des Menschen) streng und ausnahmslos gesetzlich, bedingt, notwendig. Ferner gibt es in der Erscheinungswelt kein Absolutes, keine »schlechthin notwendiges Wesen«, wohl aber jenseits der Erscheinungen überhaupt. Die Antinomien setzen den transzendentalen Idealismus voraus, sind aber auch eine Stütze für denselben, wie später besonders Fries betont.
Das transzendentale Ideal ist »theologischer« Art, es ist Gott als Inbegriff aller Vollkommenheit. In rein theoretischer Hinsicht ist Gott kein Gegenstand der Erkenntnis, kein als existierend zu erweisendes Wesen, sondern ein »bloßes, aber doch fehlerfreies Ideal, ein Begriff, welcher die ganze menschliche Erkenntnis schließt und krönet, dessen objektive Realität auf diesem Wege zwar nicht bewiesen, aber auch nicht widerlegt werden kann«. Die Ideale der Vernunft sind also nicht Hirngespinste, sondern sie beziehen sich auf etwas, von dem man (zu ethischen Zwecken) glauben kann. daß ihnen (Gott, Unsterblichkeit, Freiheit) etwas entspricht, aber die »Beweise« für das Dasein Gottes beweisen nicht, was sie wollen. Das ontologische Argument, welches aus dem bloßen Begriffe Gottes dessen Existenz erschließt, ist hinfällig, denn die unbedingte Notwendigkeit der Urteile ist nicht die absolute Notwendigkeit der Dinge und wenn ich in einem Satze Subjekt und Prädikat aufhebe. so besteht kein Widerspruch. Denn Existenz ist kein Prädikat von Dingen unter anderen Prädikaten, sondern die »absolute Position« eines Dinges oder gewisser Bestimmungen desselben, wodurch an diesen nichts geändert wird; hundert wirkliche Taler enthalten nicht das Mindeste mein- als hundert mögliche. Wo alle Beziehung zu möglicher Erfahrung fehlt, da können wir nicht das Dasein eines Gegenstandes erweisen. Aus dem bloßen Begriffe folgt noch keinerlei Existenz, wir müssen aus ihm herausgehen, um[330] dem Gegenstande Erkenntnis zu erteilen. »Bei Gegenständen der Sinne geschieht dies durch den Zusammenhang mit irgend einer meiner Wahrnehmungen nach empirischen Gesetzen; aber für Objekte des reinen Denkens ist ganz und gar kein Mittel, ihr Dasein zu erkennen.« Ebenso unhaltbar ist das kosmologische Argument, welches aus der Existenz der Dinge auf ein schlechterdings notwendiges Wesen schließt. Das teleologische (physikotheologische) Argument ist ebenfalls kein Beweis, wir können uns nur die Welt so betrachten, als ob sie von einer »verständigen Weltursache« herrühre, deren Erkenntnis aber völlig unmöglich ist. Kurz, hinsichtlich der Existenz Gottes läßt sich nichts beweisen, weder für noch gegen diese, so daß mit dem Dogmatismus auch der Skeptizismus weichen muß, denn nichts steht einem vernünftigen Glauben im Wege. Was als Erkenntnis der theoretischen Vernunft nicht möglich ist das rechtfertigt Kant als »Postulate« der praktischen Vernunft, der Ethik. Die Fragen: Was kann ich wissen? Was soll ich tun? Was darf ich hoffen? finden so ihre Erledigung (s. unten).
Die Metaphysik ist also nach K. als Wissenschaft vom Transzendenten, jenseits aller Erfahrung Liegenden, an sich Seienden unmöglich. Möglich (und notwendig) ist sie nur als kritische Metaphysik, als Transzendentalphilosophie, als Systematik der apriorischen Begriffe und Grundsätze, als Wissenschaft von den »obersten Prinzipien des Verstandesgebrauchs«. Sie gliedert sich in »Metaphysik der Natur« (Naturphilosophie) und »Metaphysik der Sitten« (Ethik, Rechtsphilosophie). Die Philosophie überhaupt ist »Vernunfterkenntnis aus bloßen Begriffen« (als »Schulbegriff«), oder (als Weltbegriff) Wissenschaft von der »Beziehung aller Erkenntnis auf die wesentlichen Zwecke der menschlichen Vernunft«. – Die (gewöhnliche, nicht »transzendentale«) Logik ist eine von allen Objekten abstrahierende Disziplin von der »bloßen Form des Denkens überhaupt«, ein »Kanon des Verstandes und der Vernunft, aber nur in Ansehung des Formalen ihres Gebrauchs, der Inhalt mag sein, welcher er wolle«. – Die empirische Psychologie gehört zur »angewandten Philosophie«, nicht zur »Metaphysik« und auch nicht zur Naturwissenschaft; denn sie kann, nach K., nie exakt werden, weil Mathematik auf die Phänomene des inneren Sinnes nicht anwendbar ist. Sie kann niemals mehr als eine historische, möglichst systematische »Naturlehre des inneren Sinnes, d.h. eine Naturbeschreibung der Seele, aber nicht Seelenwissenschaft, ja nicht einmal psychologische Experimentallehre werden«. Sie ist Anthropologie, Kenntnis des Menschen als Gegenstand des inneren Sinnes. Die »physiologische« Anthropologie geht auf die Erforschung dessen, was die Natur aus dem Menschen macht, die »pragmatische« auf das, was er als frei handelndes Wesen aus sich selber macht oder machen kann und soll. In der »pragmatischen Anthropologie« finden sich mancherlei gute psychologische Beobachtungen, eine Theorie und Einteilung der Affekte (»sthenische« – »asthenische« Affekte) u. dgl.
Naturphilosophie. K.s Naturphilosophie will keine Wissenschaft von Dingen an sich sein, sondern von objektiven Phänomenen, d.h. von der Art und Weise, wie die Wirklichkeit sich allgemeingültig darstellt und denken[331] läßt. Die Grundkräfte, auf welche die Erscheinungen zurückgeführt werden, sind und bleiben Relationen innerhalb möglicher Erfahrung auf Grund apriorischer Voraussetzungen. Reine Naturerkenntnis hat es nur mit a priori bestimmbaren Naturgesetzen zu tun. In jeder besonderen Naturlehre aber ist nur soviel eigentliche Wissenschaft, als in ihr Mathematik anzutreffen ist. Unter Natur ist das »Ganze aller Erscheinungen, d. i. die Sinnenwelt, mit Ausschließung aller nicht sinnlichen Objekte« zu verstehen. Natur ist die »Existenz der Dinge unter Gesetzen«. In der körperlichen Natur ist alles auf die Gesetzmäßigkeit der Materie, ihrer Kräfte und Bewegungen zurückzuführen (Mechanistisch-dynamische Naturauffassung). Die Materie ist (dynamisch) »das Bewegliche, sofern es einen Raum erfüllt«, d.h. sofern es anderem Beweglichen widersteht durch eine besondere »bewegende Kraft«. Sie erfüllt ihre Räume durch abstoßende, »repulsive Kräfte aller ihrer Teile«, durch eine ihr eigene »Ausdehnungskraft, die einen bestimmten Grad hat«, so daß alle Materie elastisch ist. Dazu kommt noch die Anziehungskraft, welche im Konflikt mit der Repulsion die Materie als einen »bestimmten Grad der Erfüllung des Raumes« möglich macht. Die Materie ist ins Unendliche teilbar, besteht also nicht aus Atomen. Bei allen Veränderungen bleibt die Quantität der Materie »im Ganzen dieselbe, unvermehrt und unvermindert«. Die Materie ist kein Ding an sich, sondern Phänomen bzw. die Anwendung der Kategorie der Substanz auf den Inhalt der äußeren Wahrnehmung. Alle Bewegung der Materie ist relativ; die Bewegung überhaupt ist ein gemischter, kein rein apriorischer Begriff, nur ein »sinnlich bedingter Begriff a priori« und natürlich ebenso phänomenal wie die Materie. Das Ding an sich ist nicht ausgedehnt, nicht materiell, nicht bewegt, sondern nur der verborgene »Grund« der Raumdinge und deren Bewegungen, die erst und nur in Beziehung zu einer möglichen Erfahrung als solche erscheinen. – Vgl. unten »Kants Teleologie«.
Ethik. Kants Ethik ist formalistisch, apriorisch. Gesinnungsethik, Vernunftmoral, rigoristisch. Die Ethik ist die »formale Philosophie, welche sich mit den Gesetzen der Freiheit beschäftigt«. Sie hat einen empirischen und rationalen Teil. Als reine Ethik (»Metaphysik der Sitten«) soll sie »die Idee und die Prinzipien eines möglichen reinen Willens untersuchen« und Kritik der praktischen Vernunft sein, denn reiner Wille ist nach K. mit der »praktischen Vernunft« identisch. Die Vernunft ist praktisch, sofern sie den Willen bestimmt; am Ende gibt es nur eine Vernunft, die bloß in der Anwendung verschieden ist. Die Kritik der praktischen Vernunft hat nun die Aufgabe, »die empirisch-bedingte Vernunft von der Anmaßung abzuhalten, ausschließungsweise den Bestimmungsgrund des Willens allein abgeben zu wollen«, und die Wirksamkeit und Forderung der reinen praktischen Vernunft, des reinen Willens, damit also das Prinzip reiner Sittlichkeit zu demonstrieren. Das apriorische Gesetz des sittlichen Willens als die Grundlage des sittlichen Handelns und der Beurteilung desselben soll als wirksam und gültig, als alle anderen Moralprinzipien ausschließend erwiesen werden.
Reine Vernunft ist für sich allein praktisch und gibt dem Menschen ein allgemeines Gesetz, das Sittengesetz. Sittlich ist nur, was der Forderung des[332] der Vernunft entspringenden Sittengesetzes gemäß ist, vorausgesetzt, daß es nur aus Achtung vor demselben, nicht aus Eigennutz, Neigung u. dgl. erfolgt. Als »eudämonistisch« bestimmt K. alles Handeln, welches um irgendwelcher »materialer« Zwecke (Glückseligkeit, soziale Wohlfahrt, Vervollkommnung usw.) erfolgt. Das Sittliche bestimmt er rein formalistisch, indem er betont: »In der Unabhängigkeit... von aller Materie des Gesetzes (nämlich einem begehrten Objekte) und zugleich doch Bestimmung der Willkür durch die bloße allgemeine gesetzgebende Form, deren eine Maxime fähig sein muß, besteht das alleinige Prinzip der Sittlichkeit.« Der »Rigorismus« K.s besteht darin, daß er erstens von allem Erfolg des Handelns absieht und nur auf die Gesinnung schaut, zweitens aber die sittliche Gesinnung unabhängig von allen Neigungen rein in dem Willen zur Pflichterfüllung erblickt. »Das Wesentliche alles sittlichen Wertes der Handlungen kommt darauf an, daß das moralische Gesetz unmittelbar den Willen bestimmt.« Es genügt nicht, daß eine Handlung pflichtmäßig ist, also »Legalität« hat, sie muß – um sittlich zu sein – auch »Moralität« haben, d, h. unbeeinflußt von Neigungen u. dgl., ja möglichst frei von solchen und »mit Abweisung aller derselben, sofern sie jenem Gesetze zuwider sein könnten«, rein aus Achtung (die später zum Wohlgefallen werden kann) vor dem Sittengesetze erfolgen. K.s Ethik ist in erster Linie Pflichtenmoral.
Die Sittlichkeit des Menschen ist nicht von außen bedingt, aber auch nicht durch innere Triebe, Affekte u. dgl. begründet, sie beruht nicht auf der »Heteronomie der Willkür«. Diese entsteht, wenn der Wille das Sittengesetz nicht rein aus sich selbst, sondern aus seiner Beziehung zu Objekten, die ihn erregen, entnimmt. Die reine praktische Vernunft, der reine Wille aber ist autonom, frei, selbstgesetzgebend. Die Autonomie des Willens bedeutet, daß · dieser sich selbst, unabhängig von allen Gegenständen des Wollens, allen Zwecken, ein Gesetz ist. Die Würde des Menschen liegt in dieser sittlichen Autonomie. Sittlich ist nur jene Handlung, bei der sich der Wille durch seine Maxime selbst als allgemein gesetzgebend betrachten kann; unsittlich sind alle Maximen, die mit dieser Gesetzgebung nicht zusammen bestehen können. Die Möglichkeit, ein allgemeines Gesetz des Willens und Handelns sein zu können, ist also nach K. das Kriterium der Sittlichkeit (Formalismus): »Das Prinzip der Autonomie ist also: nicht anders zu wählen, als so, daß die Maximen seiner Wahl in demselben Wollen zugleich als allgemeines Gesetz mit begriffen seien.«
So gelangt K. zum kategorischen Imperativ als dem obersten ethischen Grundsatze der Beurteilung des Handelns. »Imperativ« ist die »Vorstellung eines objektiven Prinzips, so wie es für einen Willen nötig ist«. »Hypothetisch« ist ein Imperativ, der etwas um eines bestimmten Zweckes willen gebietet (Klugheitsregeln), »kategorisch« aber ein solcher, der unbedingt gebietet, als absolutes Sollen, ohne Rücksicht auf »materiale« Motive, auf Zwecke, rein nur, weil der sittliche Wille selbst es verlangt, der sich nur so realisieren kann, so daß die Sittlichkeit Selbstzweck ist. Der kategorische Imperativ lautet nun: »Handle so, daß die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne.« Oder auch: »Handle nach derjenigen[333] Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, daß sie ein allgemeines Gesetz werde« (Vgl. schon Paley, Princ. of Mor. und Polit. Philos., 1786). Oder endlich, da der Mensch als sittliches Vernunftwesen Selbstzweck ist: »Handle so, daß du die Menschheit sowohl in deiner Person als in der Person eines jeden ändern jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchst.« Sittlich ist also das einheitliche, allgemeingültige Wollen, der Wille zum Allgemeingültigen im Handeln und Verhalten, das dein reinen Willen überhaupt Gemäße, ihn Konstituierende, der gute Wille.
Sittlich handeln heißt nach K., so handeln, wie es unserer Würde als freie Vernunftwesen, als Mitglieder eines geistigen »Reichs der Zwecke« angemessen ist. Sittlichkeit besteht in der »Beziehung aller Handlung auf die Gesetzgebung, dadurch allein ein Reich der Zwecke möglich ist«. Alle Maximen sollen zu einem möglichen Reich der Zwecke zusammenstimmen, ein Reich neben und über der Natur konstituieren, eine Welt der Aktivität, Freiheit, Vernünftigkeit. Jedes Wiesen muß so handeln, »als ob es durch seine Maximen jederzeit ein gesetzgebendes Glied im allgemeinen Reiche der Zwecke wäre«. Die »intelligible Welt«, die theoretisch nicht erfaßbar ist, hat ethische Bedeutung, indem sich der Mensch als Intelligenz und Wille als zur »Verstandeswelt« gehörig ansehen muß, unter Gesetzen, die bloß in der Vernunft, im Willen gegründet sind. Das sittliche Wollen ist ein Wollen als Glied einer intelligiblen Welt d.h. eines Ganzen vernünftiger Wesen als Dinge an sich selbst, als Idee eines solchen, dem wir uns nur durch unsere Freiheit eingliedern. So rückt unsere freie Pflichterfüllung in ein neues Licht, denn sie macht uns zu Bürgern eines höheren Reiches, als welche wir (als intelligible Wesen) uns selbst (als Sinneswesen) die Pflicht auferlegen. So kann denn Kant begeistert ausrufen: »Pflicht! Du erhabener großer Name, der du nichts Beliebtes, was Einschmeichelung bei sich führt, in dir fassest, sondern Unterwerfung verlangst, doch auch nichts drohest, was natürliche Abneigung im Gemüte erregte und schreckte, um den Willen zu bewegen, sondern bloß ein Gesetz aufstellst, welches von selbst im Gemüt Eingang findet.« Der bestirnte Himmel über uns und das moralische Gesetz in uns reizen stets zu neuer Bewunderung.
Die praktische Vernunft hat den »Primat«, den Vorrang vor der theoretischen, indem sie die nicht erkennbaren Gegenstände der letzteren, wie Freiheit, Unsterblichkeit, Gott als Objekte des Glaubens rechtfertigen kann. Diese Objekte sind Postulate der praktischen Vernunft: sie sind nichtbeweisbare Annahmen, die um des Praktischen. Sittlichen willen notwendig sind. »Wenn es nun Pflicht ist, zu einem gewissen Zweck (dem höchsten Gut) hinzuwirken, so muß ich auch berechtigt sein, anzunehmen: daß die Bedingungen da sind, unter denen allein diese Leistung der Pflicht möglich ist, obzwar dieselben übersinnlich sind und wir (in theoretischer Rücksicht) kein Erkennen derselben zu erlangen vermögend sind.« Das Postulat ist ein »Vernunftglaube«, der ebenso sicher ist wie das Wissen, weil er mit dem Sittlichen fest verwebt ist.
Ein solches Postulat, ist zunächst die Willensfreiheit. Abgesehen von[334] der psychologischen Freiheit, welche nach K. nur ein innerer Determinismus, ein Bedingtsein des Handelns durch Triebfedern, nur die »Freiheit eines Bratenwenders« ist, muß es eine absolute Freiheit als Autonomie des Willens geben, soll dieser sittlich sein können (Das Kantsche: »Ich kann, denn ich soll« wird hier gerechtfertigt). Die sittliche Freiheit ist die Unabhängigkeit von allem Naturgesetzlichen, auch von der psychologischen Gesetzlichkeit, die Fähigkeit des Vernunftwillens, rein sich aus sich selbst zu bestimmen, sich selbst das Gesetz zu geben, also »einen Zustand von selbst anzufangen«. Eine solche Freiheit ist kein Gegenstand sinnlicher Erfahrung, muß aber ethisch gefordert werden. Wie ist sie möglich, wenn die Kausalität alles Naturgeschehen bedingt? Durch die Unterscheidung zweier Arten von Kausalitäten, einer phänomenalen und einer intelligiblen (»causa noumenon«). Die Wirkung kann nach K. »in Anschauung ihrer intelligiblen Ursache als frei«, in Ansehung der Erscheinungen als Erfolg aus denselben als notwendig angesehen werden. Das Handeln ist als Erscheinung determiniert, naturgesetzlich bestimmt, Wirkung und Ursache von anderen Handlungen und Vorgängen; zugleich aber liegen ihr freie Ursachen, autonome Willensentscheidungen zugrunde. »Alle Handlungen vernünftiger Wesen, sofern sie Erscheinungen sind, stehen unter der Naturnotwendigkeit; eben dieselben Handlungen aber, bloß respektive auf das vernünftige Subjekt und dessen Vermögen, nach bloßer Vernunft zu handeln, sind frei.« Ein jedes Wesen, das nicht anders als unter der Idee der Freiheit handeln kann, ist praktisch wirklich frei. Der »empirische Charakter« des Menschen ist vom »intelligiblen Charakter« desselben zu unterscheiden. In der Erscheinung sind alle Handlungen durch die Natur und durch den empirischen Charakter so determiniert, daß sie im Prinzip voraussagbar sein – können. Insofern aber das Wollen ein Ausfluß des intelligiblen Charakters (des dem Menschen zugrunde liegenden Intelligiblen, Noumenalen) ist, ist es frei (vgl. Schelling, Schopenhauer).
Die Unsterblichkeit, die keinen Gegenstand theoretischer Erkenntnis bildet, ist ebenfalls ein praktisches Postulat. Der Mensch kann in dieser Welt der Glückseligkeit, deren er sich würdig gemacht, nicht völlig teilhaftig werden, es muß daher eine Welt, einen Zustand geben, wo das »Wohlbefinden des Geschöpfs dem Wohlverhalten desselben adäquat sein wird«. Die völlige Angemessenheit des Willens zum moralischen Gesetze (»die Heiligkeit«) ist nur »in einem ins Unendliche gehenden Progressus« zu erreichen und dieser Fortschritt ist, nur möglich »unter Voraussetzung einer ins Unendliche fortdauernden Existenz und Persönlichkeit«. – Endlich ist das Dasein Gottes ein solches Postulat (Ethiko-theologisches Argument, »Moral-Beweis«). Indem das moralische Gesetz uns einen Endzweck, das höchste Gut, bestimmt und dieses die Glückseligkeit als Mitbedingung fordert, müssen wir einen moralischen Weltgrund, der das rechte Verhältnis zwischen Sittlichkeit und Glückseligkeit herstellt, postulieren. Dieser Weltgrund muß als höchste Intelligenz und höchster Wille gedacht werden, als ewig, allmächtig, allwissend usw., kurz als höchste Persönlichkeit (Ethischer Theismus).
Rechts- und Geschichtsphilosophie. Während die »Tugendlehre«[335] (der zweite Teil der Metaphysik der Sitten) die Lehre von den Pflichten, die nicht unter äußeren Gesetzen stehen (Tugendpflichten), ist, hat es die Rechtslehre mit den Rechtspflichten, d.h. mit den aus äußerer Gesetzgebung entspringenden Pflichten zu tun. Die Tugend ist eine Willensfertigkeit, die »moralische Stärke des Willens in Befolgung seiner Pflicht«. Die Tugendpflichten gehen auf eigene Vollkommenheit und fremde Glückseligkeit, ohne daß aber das Kriterium des Sittlichen selbst ein eudämonistisches ist. Das Recht aber sieht von der Gesinnung, dem Moralischen ganz ab. Es ist der »Inbegriff der Bedingungen, unter denen die Willkür des einen mit der Willkür des ändern nach einem allgemeinen Gesetze der Freiheit zusammen vereinigt werden kann«. Das strikte Recht ist die »Möglichkeit eines mit jedermanns Freiheit nach allgemeinen Gesetzen zusammenstimmenden durchgängigen wechselseitigen Zwanges«. Die Strafe dient der Vergeltung. Der Staat beruht auf einem »ursprünglichen Vertrag« (als »Idee der Vernunft«) und ist die »Vereinigung einer Menge von Menschen unter Rechtsgesetzen«. Das Wohl desselben besteht im Zustand größter Übereinstimmung der Verfassung mit Rechtsprinzipien. K. faßt also den Staat wesentlich als Rechtsstaat auf. Der Staat hat drei Gewalten: Herrschergewalt (Gesetzgebung), vollziehende Gewalt (Regierung), richterliche Gewalt. Der Herrscher hat lauter Rechte, keine (Rechts-) Pflichten und es gibt auch kein Recht des Aufstandes (obzwar K. von der Souveränität des Volkes ausgeht). Daß auch in dem Verhältnis der Staaten zueinander das Recht herrsche, ist das Ziel der Geschichte, deren höchstes Ideal das Aufhören des Krieges, der »ewige Friede« auf Grundlage eines Völkerbundes ist. In jener Formulierung des kategorischen Imperativs, welche den Mensch als Zweck, nicht als bloßes Mittel zu behandeln gebietet, liegt die Grundlage zu einer sozial-teleologischen Ethik, wenn auch nicht gerade zum »Sozialismus«.
In der Geschichte kommen die menschlichen Kultur-Anlagen zur Entfaltung, was nur in der Gesellschaft möglich ist. Eine »ungesellige Geselligkeit«, ein Streit zwischen individuellen und sozialen Neigungen besteht, bis schließlich aus der Zwangsgesellschaft ein innerlich verbundenes, moralisches Ganzes mit einer vollkommenen Verfassung ersteht. Der »Antagonismus«, von dem K. spricht, ergibt sich aus der Neigung des Menschen einerseits zur Vergesellschaftung, anderseits zur Vereinzelung. Endziel der Geschichte ist »Freiheit unter äußeren Gesetzen«, eine »vollkommen gerechte bürgerliche Verfassung«, verbunden mit Herrschaft der Vernunft.
Die Kritik der Urteilskraft. Nach K. liegt zwischen Verstand und Vernunft die »Urteilskraft«, welche zwischen dem Übersinnlichen und Sinnlichen, Intelligiblen und Empirischen, Naturgesetzlichen vermittelt. Auch die Urteilskraft enthält ein »Prinzip a priori«, sie ist eine Quelle nicht-empirischer Urteile. Urteilskraft ist »das Vermögen, unter Regeln zu subsumieren« und tritt als »bestimmende« und »reflektierende« Urteilskraft auf. »Urteilskraft überhaupt ist das Vermögen, das Besondere als enthalten unter dem Allgemeinen zu denken. Ist das Allgemeine (die Regel, das Prinzip, das Gesetz) gegeben, so ist die Urteilskraft, welche das Besondere darunter subsumiert..., bestimmend. Ist aber nur das Besondere gegeben, wozu sie das Allgemeine[336] finden soll, so ist die Urteilskraft bloß reflektierend.« Die reflektierende Urteilskraft ist teils ästhetische, teils teleologische Urteilskraft, je nachdem sie es (in regulativer, nicht konstitutiver Weise) mit subjektiv-formaler oder aber mit objektiv-materialer Zweckmäßigkeit zu tun hat. Der bestimmenden Urteilskraft ist das Gesetz a priori vorgeschrieben, die reflektierende aber bedarf eines Prinzips, durch welches sie die Natur zwar nicht erklärt, aber doch deutet. Dieses Prinzip verlangt, daß die besonderen Gesetze der Natur, die nicht apriorisch erkannt werden, in bezug auf das ihnen unbestimmt Gelassene so zu einer Einheit verbunden gedacht werden, als ob ein höherer Verstand sie gegeben hätte, um ein System der Erfahrung möglich zu machen. (Vgl. Über Philosophie überhaupt.) Durch diese Einheit in der Vielheit besonderer Gesetze, durch diese innere Verbindung derselben – die nicht erkannt werden kann, aber als Regulativ für die Forschung dient – wird der Apriorismus der reinen Vernunft ergänzt. Zugleich wird der Einfluß der Freiheit (des Intelligiblen) auf die Natur durch den Gedanken der Einheit des beiden Zugrundeliegenden begreiflich gemacht. Die Natur muß »so gedacht werden können, daß die Gesetzmäßigkeit ihrer Form wenigstens zur Möglichkeit der in ihr zu bewirkenden Zwecke nach Freiheitsgesetzen zusammenstimme«. Die Urteilskraft vermittelt also zwischen »Naturbegriffen« und »Freiheitsbegriffen«.
Kants Teleologie. Wir lassen die Betrachtung der »teleologischen« Urteilskraft jener der »ästhetischen« vorangehen, befassen uns also zuerst mit der »materialen« Zweckmäßigkeit. Die »transzendentale« Zweckmäßigkeit ist uns schon bekannt, sie besteht in der Zusammenstimmung der Mannigfaltigkeit empirischer Naturgesetze zur Einheit vermittelst der Urteilskraft, welche bemüht ist, bei aller »Spezifikation« überall die Übergänge, die Verwandtschaft, die höhere Gattung, das Gemeinsame, Einheitliche zu finden, kurz eine einheitliche stetige Ordnung der Natur selbst methodisch herzustellen; soweit sich die Natur diesem Willen zur Einheit und Ordnung fügt, besteht eben die transzendentale, »idealische« Zweckmäßigkeit, ist die Natur unserem Erkenntnisvermögen »angemessen«. Diese Angemessenheit, die auch im Ästhetischen besteht, begründet hier die subjektiv-formale, im Intellektuellen die objektiv-formale Zweckmäßigkeit, von der endlich die objektiv-reale (materiale) Zweckmäßigkeit zu unterscheiden ist welche die Dinge selbst betrifft. »Objektiv« heißt aber hier nicht transzendent, sondern nur allgemeingültig für alle Deutung der Erscheinungen.
Der Zweck ist ein Begriff der Urteilskraft, keine Kategorie des Verstandes, denn er ist nicht im Objekte, sondern lediglich im Subjekte, in dessen Vermögen zu reflektieren, zu suchen. Den Zweck legen wir in die Dinge hinein, er ist kein konstitutiver Bestandteil der Erkenntnis des Gegenstandes. Es ist aber wohl zwischen äußerer Zweckmäßigkeit, »Zuträglichkeit« oder »Nutzbarkeit« für andere (z.B. der Dinge für den Menschen) und »innerer Zweckmäßigkeit« zu unterscheiden. Die äußere, relative Zweckmäßigkeit (d.h. daß etwas um des Vorteils eines ändern willen da ist) ist nicht das, was wir der Natur zumuten dürfen. Es, handelt sich vielmehr um die Zweckmäßigkeit der Dinge selbst, wobei Zweck deren »Begriff von einem Objekt, sofern er zugleich den Grund der Wirklichkeit dieses Objekts enthält«, also das ideale Prius des[337] Dinge?, das sich in ihm verwirklicht hat, bedeutet. Bei einem Dinge als »Naturzweck« ist die Beziehung der Teile und des Ganzen das Wesentliche, wonach die Teile ihrer Existenz und Form nach durch das Ganze bedingt sind und dieses wiederum durch die Wechselwirkung der Teile.
Naturzwecke sind nur die Organismen, bei denen dieses Verhältnis statt hat; in ihnen ist ein Teil durch den anderen und zugleich um des anderen (und des Ganzen) willen da. Die Natur organisiert sich hier selbst durch eine »bildende Kraft« (die aber nicht als Seele u. dgl. gedacht werden darf). Ein organisiertes Naturprodukt ist also »das, in welchem alles Zweck und wechselseitig auch Mittel ist«. »Nichte ist in ihm umsonst, zwecklos, oder einem blinden Naturmechanismus zuzuschreiben.« Rein mechanisch, d.h. ohne teleologische Beurteilung, läßt sich das Organische nicht verstehen, der »Newton des Grashalmes«, der das Wachstum des Grases bloß mechanisch zu erklären vermag, ist noch nicht da. Aber die teleologische Interpretation schließt die mechanisch-kausale Erklärung nirgend aus, wenn auch diese allein im Organischen nicht ausreicht und die heuristische Funktion der Zweckidee unentbehrlich ist. Mechanismus und Teleologie schließen einander nicht aus, die Antinomie zwischen beiden besteht nicht zu Recht, ist lösbar. Das Prinzip des Mechanismus besagt nur, wir sollen soweit als wir nur können, nach dem Mechanischen forschen, sonst gibt es keine eigentliche Naturerkenntnis. Dieses hindert nicht, bei einigen Naturformen (Organismen) und schließlich bei der ganzen Natur die Zweckbetrachtung heranbringen, wobei wir aber nicht den bloß regulativen Charakter des Zweckbegriffs vergessen dürfen, vermittelst dessen wir die Natur nach Analogie mit unserer Zwecktätigkeit deuten, ohne sie dadurch allein zu erklären. Jedenfalls ist der Zweck »ein Prinzip mehr, die Erscheinungen... unter Regeln zu bringen, wo die Gesetze der Kausalität nach dem bloßen Mechanismus derselben nicht zulangen«. Denn wir führen einen teleologischen Grund an, wo wir einem Begriff vom Objekt, als ob er in der Natur (nicht in uns) gelegen wäre, Kausalität zuschreiben, ohne aber absichtlich-wirkende Ursachen, die wir nur Vernunftwesen zuschreiben, in die Natur als solche hineinzulegen. Und wenn wir die Zweckmäßigkeit der Natur auf einen »obersten Verstand« zurückführen, so ist das zwar eine berechtigte Maxime, aber keine objektive Erkenntnis. Was den Unterschied zwischen Mechanismus und Teleologie betrifft, so ist es möglich, daß »in dem uns unbekannten inneren Grunde der Natur selbst die physisch-mechanische und die Zweckverbindung an denselben Dingen in einem Prinzip zusammenhängen mögen«.
Ästhetik. Als einer der ersten deutschen Philosophen unterscheidet K. scharf zwischen Erkenntnis und Gefühl. Das Gefühl ist das »Subjektive« im engeren Sinne, es bezieht sich nicht, auf das Objekt, sondern auf den Zustand des Subjekts, es kann durch Erkenntnis bewirkt werden, ist aber nicht selbst Erkenntnis. Auf die gefühlte Zweckmäßigkeit nun bezieht sich die »ästhetische Urteilskraft«. Die Ästhetik kann, nach K., mit einer psychologisch-empirischen Exposition anfangen, aber sie selbst ist eine kritische Wissenschaft, welche nach dem apriorischen Prinzip der Allgemeinheit ästhetischer Urteile fragt, welches sie zur Wertung der ästhetischen Urteile braucht. Eine »Deduktion«[338] (Legitimation) der reinen ästhetischen Urteile ist nötig. Das ästhetische Urteil (Geschmacksurteil) hat zum Gegenstand das Gefühl, welches das »harmonische Spiel der beiden Erkenntnisvermögen der Urteilskraft, Einbildungskraft und Verstand, im Subjekte bewirkt«, also die subjektive Zweckmäßigkeit, die unmittelbar (ohne Begriff) lustvoll empfunden wird. In der ästhetischen Urteilskraft liegt ein apriorisches Prinzip der Beurteilung, das hier auf die subjektive und formale Zweckmäßigkeit geht und subjektive Allgemeingültigkeit beansprucht. Das ästhetische Urteil fordert diese nicht absolut, erwartet aber die Einstimmung jedermanns mit dem eigenen Geschmack. Die Schönheit ist die Form der Zweckmäßigkeit eines Gegenstandes, sofern sie ohne Vorstellung eines Zweckes an ihm wahrgenommen wird, nämlich die Angemessenheit zu unserem Bewußtsein in der unmittelbaren Auffassung, Das Wohlgefallen, welches das Geschmacksurteil bestimmt, ist »ohne alles Interesse«, d.h. ohne Bezug auf das Begehren und unabhängig von der realen Existenz des Wohlgefallenden; hingegen ist die Lust am Angenehmen, an dem, »was den Sinnen in der Empfindung gefällt«, mit Interesse verbunden, ebenso das Wohlgefallen am Guten, an dem, »was vermittelst der Vernunft durch den bloßen Begriff gefällt«. Ästhetischer Geschmack ist das »Beurteilungsvermögen eines Gegenstandes oder einer Vorstellungsart durch ein Wohlgefallen oder Mißfallen, ohne alles Interesse«. Der Gegenstand eines solchen Wohlgefallens heißt schön. Das Schöne ist »das, was ohne Begriffe, als Objekt eines allgemeinen Wohlgefallens vorgestellt wird«. Das Schöne bezieht sich nicht auf die individuelle Neigung des Subjekts und muß daher »einen Grund des Wohlgefallens für jedermann« enthalten; daher haben wir Grund »jedermann ein ähnliches Wohlgefallen zuzumuten«. Was bloß einem Einzelnen gefällt, kann angenehm sein (z.B. eine besondere Farbe, ein einzelner Ton u. dgl.), aber nicht schön. Das Geschmacksurteil setzt »universale Regeln« voraus, wenn auch die Allgemeinheit hier »subjektiv« (d.h. als allgemein-subjektive Reaktion auf den schönen Gegenstand) ist, nicht auf einem Begriffe; sondern auf einem Gefühl beruht und als »Gemeingültigkeit« zu bezeichnen ist. Der Gemütszustand in dem »freien Spiele der Einbildungskraft und des Verstandes« ist die Bedingung und Grundlage dieser Allgemeinheit, eine »Zweckmäßigkeit ohne Zweck«. Nur dann, wenn diese Zweckmäßigkeit der Form ohne »Reiz« oder »Rührung« zum Ausdruck kommt, ist das Geschmacksurteil »rein«. Mit der Erkenntnis der Vollkommenheit eines Gegenstandes hat das ästhetische Urteil nichts zu tun (gegen Leibniz, Baumgarten u. a.); es kommt nur auf die (durch den Gegenstand veranlaßte) »Einhelligkeit im Spiele der Gemütskräfte« an.
Es gibt zweierlei Arten von Schönheit:.»Freie« Schönheit und »bloß anhängende« Schönheit. »Die erstere setzt keinen Begriff von dem voraus, was der Gegenstand sein soll; die zweite setzt einen solchen und die Vollkommenheit des Gegenstandes nach demselben voraus« (die Schönheit einer Blume – die Schönheit eines Gebäudes). Nur das Geschmacksurteil, dessen Gegenstand die freie Schönheit ist, ist rein. Begriffliche Geschmacksregeln gibt es nicht. Das Urbild des Geschmacks ist eine »bloße Idee, die jeder in sich selbst hervorbringen muß«, ein »Ideal der Einbildungskraft«. Der »Gemeinsinn«,[339] an den wir in unseren. Geschmacksurteilen appellieren und der »exemplarische Gültigkeit« besitzt, ist eine »bloße idealische Norm«, die wir a priori voraussetzen. Das Schöne ist insofern der Gegenstand eines »notwendigen« Wohlgefallens.
Das Erhabene findet sich im Gegensatz zum Schönen auch am Formlosen, Unbegrenzten. Es führt ferner eine »Bewegung des Gemüts« mit sich. Erhaben ist, »was schlechthin groß ist«, »was über alle Vergleichung groß ist«. Die Erweiterung der Einbildungskraft ins Große ist hier das Gefallende, indem die »Unangemessenheit unseres Vermögens der Größenschätzung« das Gefühl eines »übersinnlichen Vermögens in uns« erweckt. So ist erhaben, »was auch nur denken zu können, ein Vermögen des Gemütes beweiset, das jeden Maßstab der Sinne übertrifft«. Die Urteilskraft bezieht hier die Einbildungskraft auf die Vernunft und das Übersinnliche, Unendliche. Erhaben wirkt die Natur in jenen Erscheinungen, deren Anschauung »die Idee ihrer Unendlichkeit bei sich führt«, die also den Begriff der Natur auf ein »übersinnliches Substrat« führen, welches uns in eine erhabene Gemütsstimmung versetzt. Die Überlegenheit unserer das Unendliche denken könnenden Vernunft über das Gewaltigste der Natur ist der Grund dieser Gemütsstimmung. Das Gefühl des Erhabenen ist »ein Gefühl der Unlust aus der Unangemessenheit der Einbildungskraft in der ästhetischen Größenschätzung für die durch die Vernunft, und eine dabei zugleich erweckte Lust aus der Übereinstimmung eben dieses Urteils der Unangemessenheit des größten sinnlichen Vermögens zu Vernunftideen«. Im Gefühl des Erhabenen fühlen wir uns zugleich abgestoßen und angezogen. Je nachdem die Gemütsbewegung auf das Erkenntnis- oder auf das Begehrungsvermögen bezogen wird, liegt das »mathematisch« Erhabene (das Große der Anschauung) oder das »dynamisch« Erhabene vor. Dynamisch-erhaben ist die Natur als »Macht, die über uns keine Gewalt hat«, der wir uns als Vernunftwesen überlegen fühlen. Die eigene Erhabenheit unserer Menschlichkeit und deren Bestimmung kommt uns hier zum Bewußtsein, trotz aller physischen Ohnmacht wird unsere ureigene, höchste Kraft wachgerufen. Das Erhabene läßt uns die Natur selbst als »Darstellung von etwas Übersinnlichem« denken. Damit ist eine Annäherung an das Moralische gegeben. – Das Komische erweckt Lachen und dieses ist »ein Affekt aus der plötzlichen Verwandlung einer gespannten Erwartung in nichts«.
Es gibt keine Wissenschaft des Schönen, nur Kritik desselben und schöne Kunst. Von der mechanischen ist die ästhetische Kunst zu unterscheiden und diese ist entweder »angenehme« oder »schöne« Kunst. »Das erste ist sie, wenn der Zweck derselben ist, daß die Lust die Vorstellungen als bloße Empfindungen, das zweite, daß sie dieselben als Erkenntnisarten begleite«, sich an die Urteilskraft knüpft. Schöne Kunst ist »eine Vorstellungsart, die für sich selbst zweckmäßig ist, und obgleich ohne Zweck, dennoch die Kultur der Gemütskräfte zur geselligen Mitteilung befördert«. Die schöne Kunst ist eine Kunst, sofern sie zugleich Natur zu sein scheint. »An einem Produkte der schönen Kunst muß man sich bewußt werden, daß es Kunst sei und nicht Natur, aber doch muß die Zweckmäßigkeit in der Form desselben von allem[340] Zwange willkürlicher Regeln so frei scheinen, als ob es ein Produkt der bloßen Natur sei.« Begriffliche Kunstregeln gibt es nicht, sondern schöne Kunst ist Kunst des Genies. Dieses ist »das Talent (die Naturgabe), welches der Kunst die Regel gibt« oder die »angeborene Gemütsanlage (ingenium), durch welche die Natur der Kunst die Regel gibt«. Es besteht das Genie auch in dem glücklichen Verhältnis, »zu einem gegebenen Begriff Ideen aufzufinden und anderseits zu diesen den Ausdruck zu treffen«. Schönheit ist »Ausdruck ästhetischer Ideen«. Eine ästhetische Idee ist aber »diejenige Vorstellung der Einbildungskraft, die viel zu denken veranlaßt, ohne daß ihr doch irgend ein bestimmter Gedanke, d. i. Begriff adäquat sein kann«, im Gegensatze zur Vernunftidee, der keine Anschauung adäquat sein kann. Die ästhetische Idee ist eine »inexponible« Vorstellung der Einbildungskraft, die Vernunftidee ein »indemonstrabler« Begriff. Genie ist geradezu »das Vermögen ästhetischer Ideen«. Die Schönheit ist letzten Endes das »Symbol des Sittlichguten«, der Geschmack im Grunde ein »Beurteilsvermögen der Versinnlichung sittlicher Ideen«.
Religionsphilosophie. Bei K. steht die Religion in enger Beziehung zur Ethik. Religion ist ihm die »Erkenntnis unserer Pflichten als göttlicher Gebote«, derjenige Glaube, »der das Wesentliche aller Verehrung Gottes in die Moralität der Menschen setzt«. Sie ist nicht der Inbegriff gewisser Lehren als göttlicher Offenbarungen, nicht Theologie, sondern der Inbegriff aller Pflichten als göttlicher Gebote und die Maxime, sie als solche zu befolgen. In ethischer Hinsicht gibt es nur eine Religion, wenn auch der »statutarische« Offenbarungsglauben verschieden ist. Betreffs der rein sittlichen Gesetze kann jeder aus eigener Vernunft den Willen Gottes, der seiner Religion zugrunde liegt, erkennen. »Denn eigentlich entspringt der Begriff von der Gottheit nur aus dem Bewußtsein dieser Gesetze und dem Vernunftbedürfnisse, eine Macht anzunehmen, welche diesen den ganzen in einer Welt möglichen, zum sittlichen Endzweck zusammenstimmenden Effekt verschaffen kann. Der Begriff eines nach bloßen rein moralischen Gesetzen bestimmten göttlichen Willens läßt uns nur einen Gott, also auch nur eine Religion denken, die rein moralisch ist.« Der »Afterdienst« des statutarischen Glaubens und Kultus, sofern dieser vom Sittlichen absieht und zum Formalismus und Aberglauben führt, ist abzulehnen. Christus ist die Idee des Gott wohlgefälligen Menschen, der sittlich-vollkommenen Menschheit, und der Glaube an einen solchen Christus ist notwendig. Die »unsichtbare Kirche« ist die Idee der Vereinigung der Sittlichen unter der göttlichen Weltregierung, des Reiches Gottes. – Im Menschen existiert ein »radikales Böses«, eine Widerspenstigkeit der sinnlichen Triebe gegen das Sittengesetz, es beruht auf dem natürlichen Egoismus, ist unausrottbar, eine »angeborene Schuld« und muß durch das Sittengesetz, die Stimme des Übersinnlichen in uns, immer wieder bekämpft werden, indem es sich Achtung erzwingt. – Indem Kant in der Religionsphilosophie wie auch sonst die Aufklärung, das freie Denken und Kritisieren verficht, überwindet er zugleich den einseitigen Rationalismus der Aufklärung, indem er (z. Teil durch Rousseau beeinflußt) die Rechte des Gemüts und des Glaubens verteidigt, also bei aller »intellektualistischen«[341] Methode nicht bloßer Intellektualist ist. Überall ist es ihm endlich um die Festhaltung der inneren Freiheit des Geistes zu tun gegenüber der »Natur« außer und in uns, aber einer sich selbst bindenden, autonomen, gesetzlichen Freiheit. Sein »Subjektivismus« des Tuns steht in keinem Gegensatze zur Objektivität des Produkts der Tat, ja er dient ihm geradezu zur Begründung der apriorischen Gesetzlichkeit des Objektiven, welches durch das »Subjektive« (des Bewußtseins überhaupt, nicht des Individuums als solchen) bedingt ist.
Kants Lehren wurden in verschiedener Weise angefaßt und weitergebildet, teils in noch idealistischerer, teils in mehr realistischer Weise, je nachdem das »Ding an sich« aufgefaßt oder gar gestrichen wurde, ferner bald mehr psychologisch, bald rein transzendental-logisch. In verschiedene Sprachen wurden Werke Kants übersetzt und bei allen Nationen gab und gibt es viele Kantianer und Halb-Kantianer oder »Kritizisten« im weiteren Sinne (vgl. Ueberweg-Heinze, Grundriß der Geschichte der Philos. III und IV). Sehr bald fanden sich auch Gegner des Kantschen Apriorismus oder Kritizismus oder Idealismus, wie A. Weishaupt, Feder, Garve, Eberhard, Tiedemann, Herder, G. E. Schulze (Aenesidemns-Schulze), zum Teil Platner, Jacobi, Hamann, Bardili, Bouterwek, B. Stattler u. a. Anhänger Kants aus älterer Zeit sind J. Schultz, Chr. E. Schmid, Reinhold, Beck, Heydenreich, Krug, Hoffbauer, Jakob, Mellin, Bendavid, Maaß, Tieftrunk, Tennemann, Buhle, A. Feuerbach. Kiesewetter, Abicht, Fries, Salomon Maimon (teilweise), Schiller u. a. Reinhold, Beck, Fries, Schiller u. a. bildeten Kants Lehren weiter, ebenso Fichte, Schopenhauer u. a., während Herbart, Beneke, Trendelenburg u. a. zum Teil in Gegensatz zu Kant traten. Seit dem Anfang der Sechziger Jahre des 19. Jahrhunderts erschallte wiederholt der Ruf: Zurück zu Kant, und es traten »Neukantianer« verschiedenen Charakters auf, wie F. A. Lange, J. B. Meyer, Helmholtz, Fr. Schultze, Cornelius u. a., die den Kritizismus mehr psychologisch auffassen; ferner O. Liebmann, Cohen, Natorp, Windelband, Volkelt, Riehl, Vorländer. Staudinger, Bernstein, Menzer, Cassirer, W. Kinkel, Stadler, A. Krause, E. König, Lasswitz, Vaihinger, B. Bauch, Medicus, L. Goldschmidt, Reicke, Marcus, W. Tobias, Lorm, Falkenberg, Gacquoin, E. Arnoldt, B. Erdmann, Kern, A. Messer, M. Adler, Stammler, Hönigswald, J. Cohn, Eisler u. a. Von Kant beeinflußt sind Lotze, Fechner, Paulsen, Simmel, Wundt, die Immanenzphilosophen (Schuppe, F. C. Schmidt u. a.), die Theologen Ritschl, Lipsius, Herrmann u. a. die Ausländer Renouvier, Lachelier, Green, Testa, Cantoni, Tocco u. a. Ein Teil der Kritizisten nähert sich Fichte (Windelband, Rackert, Falckenberg, Münsterberg, teilweise Cohen u. a.), ein anderer Hegel (Cohen, Green u. a.) oder Fries (Nelson, Ewald, J. Schnitz u. a.) oder Leibniz und Lotze (F. Erhardt, Külpe, Wundt u. a.).
Die Literatur über Kant füllt eine ganze Bibliothek, Vgl. Ueberweg-Heinze, Grundr. d. Gesch. d. Philos. III., 316 ff. u. die »Kantstudien«. Vgl. BOROWSKI, Darstellung des Lebens und Charakters I. Kants, 1804; JACHMANN, I. K.; WASIANSKI,[342] I. K. (zusammen 1904 neu herausgegeben). – W. SCHUBERT, K.s Biographie, in WW. Ton Rosenkranz u. Schubert, XI, 2, 1842. – K. FISCHER, K.s Leben u. die Grundlagen seiner Lehre, 1860; Gesch. der neueren Philos. III. – KRONENBERG, Kant, 1896; 4. A. 1910. – PAULSEN, Kant, 1898; 4. A. 1904 (Frommans Klassiker der Philos.: Betonung der metaphysischen Tendenzen bei Kant). – TH. RUYSSEN, Kant, 1900. – H. ST. CHAMBERLAIN, I. Kant, 1905. – KÜLPE, I. Kant, 1906. – UPHUES, K. u. s. Vorgänger, 1906. – E. ARNOLDT, Gesammelte Schriften, 1907 ff. (Kritische Exkurse im Gebiet der Kant-Forschung u. a.). – VAIHINGER, Kommentar zur Kritik der reinen Vernunft, 1881 ff. – –COHEN, Kommentar, 1909 (Philos. Bibl.). – SIMMEL, Kant, 2. A. 1905. – B. BAUCH, K., 1911. – Über K.s Erkenntnislehre: MELLIN Marginalien u. Register zu K.s Kritik des Erkenntnisvermögens, 1794-95; hrsg. von L. Goldschmidt, 1900-02. – Enzyklopäd. Wörterbuch der kritischen Philosophie, 1797-1803. – LIEBMANN, Kant u. die Epigonen, 1865. – TRENDEI.ENBURG, Über eine Lücke in Kants Beweis von der ausschließenden Subjektivität des Raumes und der Zeit, in: Histor. Beiträge zur Philosophie III, 1867. – Kuno Fischer und sein Kant, 1809. – K. FISCHER, Anti-Trendelenburg, 1870 (Leugnung der von T. behaupteten »Lücke«). – COHEN, Kants Theorie der Erfahrung, 1871; 2. A. 1885. – RIEHL, Der philos. Kritizismus, 1876-87; 1, 2. A. 1908. – LAAS, Kants Analogien der Erfahrung, 1876. – STADLER, Die Grundsätze der reinen Erkenntnistheorie in der Kantschen Philosophie, 1876. – B. ERDMANN, Kants Kritizismus, 1878. – J. VOLKELT, I. Kants Erkenntnistheorie, 1879. – G. THIELE, Die Philosophie K.s, 1882-87. – WUNDT, Was soll uns Kant nicht sein? Philos. Studien VII, 1892. – ADICKES, Kant-Studien, 1895. – REININGER, K.s Lehre vom inneren Sinn, 1900. – UPHUES, Kant u. seine Vorgänger, 1906. – AMRHEIN, K.s Lehre vom Bewußtsein überhaupt, 1908. – OESTERREICH, K. u. d. Metaphys., 1905, u. a. – Über Kants Naturphilosophie: L. BENDAVID, Vorlesungen über die met. Anfangsgründe der Naturwiss., 1798. – STADLER, Kants Theorie der Materie, 1883. – DREWS, Kants, Naturphilosophie, 1894. – HÖFLER (s. oben). – Über Kants Ethik: H. COHEN, Kants Begründung der Ethik, 1877; 2. A. 1910. – K. VORLÄNDER, Die Kantische Begründung des Moralprinzips, 1889; Der Formalismus der K.schen Ethik, 1893. – P. MENZER, Der Entwicklungsgang der K.schen Ethik, 1897; K.« Lehre von d. Entwickl. in Natur H. Geschichte, 1911. – K. SCHMIDT, Beiträge zur Entwicklung der K.schen Ethik, 1900. – A. MESSER, K.s Ethik, 1904. – DELBOS, La philos. pratique de K., 1905. – Über K.s Religionsphilosophie; PÜNJER, Die Religionslehre Kants, 1874. – A. SCHWEITZER, Die Religionsphilos. Kants, 1899. – E. SÄNGER, K.s Lehre vom Glauben, 1903. – Rechts-, Staats- und Geschichtsphilosophie: VORLÄNDER, K. u. der Sozialismus, 1900; K. u. Man, 1911. – KALISCHER, K.s Staatsphilosophie, 1904. – MEDICUS, K. u. Bänke, Kantstudien VIII; K.s Philos. d. Gesch., 1901. – Ästhetik und Teleologie: STADLER, K.s Teleologie, 1874. – COHEN, K.s Begründung der Ästhetik, 1889. – KÜHNEMANN, K.s und Schillers Begründung der Ästhetik, 1895. – GOLDFRIEDRICH, K.s Ästhetik, 1895. – WEISSFELD, K.s Gesellschaftslehre, 1907. – O. SCHLAPP, Kants Lehre vom Genie, 1901. – C. v, BROCKDORFF, K.s Teleologie, 1898. – J. B. MEYER, K.s Psychologie, 1870; ferner Schriften von REICKE, ADICKES, LIEBMANN u. a.
Kleinere Abhandlungen über Kant erschienen 1904 von COHEN, FALCKENBERG, FREUDENTHAL, JERUSALEM, KÜLPE, LIEBMANN, WINDELBAND u. a., auch in der »Revue de Metaphys. et de Morale«, 12. année, Nr. 3. – Zu K.s Gedächtnis 1904 (Sep.-Abdr. aus den Kantstudien IX). – Zur Erinnerung an I. K., Abhandl. hrsg. von d. Univ. Königsberg, 1904. – ROSENKRANZ, Gesch. d. Kantschen Philos., 1840.
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