Krause, Karl Christian Friedrich

[360] Krause, Karl Christian Friedrich, geb. 6. Mai 1781 in Eisenberg[360] (S.-Altenburg) als Sohn eines Lehrers. Er besuchte die Schulen zu Donndorf und Altenburg, studierte 1797-1800 in Jena Theologie, Mathematik und Philosophie (unter Fichte und Schelling), habilitierte sich 1802 in Jena, wurde 1805 in Dresden, wo er einer Freimaurerloge beitrat, Lehrer an der Ingenieurakademie. 1814 habilitierte er sich in Berlin, da er aber keine Professur erhielt, ging er wieder nach Dresden, wo er schriftstellerisch tätig war. 1824 habilitierte er sich in Göttingen, wo er, wie auch früher, Privatunterricht gab, da er für eine zahlreiche Familie zu sorgen hatte. 1830 wurde gegen ihn wegen seiner Lehre vom »Menschheitsbunde« eine Untersuchung eingeleitet, worauf er 1831 nach München ging, wo seine Bemühung, sich zu habilitieren, auf den Widerstand Schellings stieß. Am 27. September 1832 starb K, an einem Schlaganfall. K. war eine milde, sittlich hochstehende, von Liebe zu Gott, zum All und zur Menschheit beseelte Natur.

K. ist der Begründer eines Systems des Panentheismus (der »All-in-Gott-Lehre«), welcher den Gegensatz von Pantheismus und Theismus überwinden soll. Beeinflußt ist er, außer von älteren Philosophen, besonders von Kaut, dann von Fichte, Schelling und Hegel. Besonders nahe steht er Schelling, dessen Pantheismus er aber nicht akzeptiert und in dessen Schule er schon, wie er erklärt, mit eigenen Ideen gekommen ist; Schellingianer will er keinesfalls sein, wenn auch von Schelling der beste Weg zu seiner eigenen Philosophie führt. Durch seine neuen, rein deutsch sein sollenden terminologischen Wendungen hat K. der Verbreitung seiner Schriften sehr geschadet, obzwar er im Auslande (besonders Spanien) durch seine Schüler bis heute in Geltung steht. Er gebraucht Ausdrücke wie: »Orwesen«, »Omwesen«, »Or-om-Wesenlebverhaltheit«, »Vereinselbganzweseninnesein«, »Satzheit« u. a. Dabei ist sein System durch Tiefe und Denkenergie ausgezeichnet und wird heute wieder mehr beachtet. Das Systematische spielt in der organischen Weltanschauung K.s eine große Rolle. Der aufsteigende, subjektive, analytische Lehrgang führt von der »Schauung« des menschlichen Ich zur Schauung Gottes, der absteigende, objektive, synthetische Lehrgang von der Erkenntnis Gottes zum Besondern.

Das Ich ist etwas unmittelbar Gewisses und Wirkliches, es ist ein »Selbstwesen«, ein Vereinwesen von Leib und Geist, deren Gegensatz im »Ur-Ich« überwunden ist. Der Leib gehört zur Natur, der Geist bildet mit den fremden Geistern das Geisterreich. Die Verschiedenheit und die Wechselwirkung von Natur und Geist, die in der Menschheit vereinigt sind, sowie die Endlichkeit beider weist auf ein Unendliches, Höheres, Übergeordnetes hin, auf Gott oder »Wesen« schlechthin, welches vermöge unmittelbarer Offenbarung von uns geistig erfaßt wird (»Wesenschauung«).

Gott oder »Wesen« ist an sich, als »Orwesen« über allen Gegensatz von Natur und Geist erhaben, das »ungegenheitliche« Wesen, welches als »Urwesen« außer- und überweltlich ist, die Welt aber in sich befaßt, indem es sie zugleich durchdringt, in ihr sich selbst »darlebt« (Panentheismus). »In sich« ist Gott »Vereinwesen«, welches Natur und Geist enthält. Gott ist das »eine Wesen, das an und in sich und durch sich auch alles ist, was ist, in dem wir alle sind«. »Alles ist und lebt in, mit und durch Gott. Kein Wesen ist Gott,[361] außer allein Gott... Die Welt ist nicht außer Gott, denn er ist alles, was ist; sie ist ebensowenig Gott selbst, sondern in und durch Gott. Was Gott in ewiger Folge, ohne Zeit und über alle Zeit schuf, das offenbart, in ewigem Bestehen zeitewig lebend, das ihm von Gott urangestammte Wesentliche in stetig neuer Gestaltung.« Gott ist selbstbewußte Persönlichkeit, unendliche Weisheit, Liebe, Wille, frei schaffend und sich selbst offenbarend, in der Welt seine Zwecke verwirklichend. Aus dem Begriff des »Wesens« entwickelt K. den Gliedbau der Kategorien als Prädikate der Gottheit wie der Welt, des Wesens überhaupt, als Grundgedanken der Erkenntnis des Seins (also von objektiver Gültigkeit). Es sind dies: Wesenheit, Einheit, Selbstheit, Ganzheit, ferner Vereinheit, Richtheit, Faßheit, Satzheit usw. Die göttliche Idee enthält alle besonderen Ideen in sich, welche die Dinge zu verwirklichen streben. Die Ideenwelt ist eine »ewige und freie Wiederholung des ganzen Weltbaues innerhalb der Vernunft«. – K. unterscheidet »historische«, kritische und transzendentale (philosophische) Logik. Die Logik ist gehaltige Erkenntnislehre. Das Denken ist ein »Wissenmachen«. Die Welt der Vernunfttätigkeit ist die Welt des gedachten a priori. Alle Denkgesetze sind im Grunde nur eines und dieses ist das Gesetz des Seins selbst, ein Gesetz der »Weltschönheit«. Erkennen ist ein Schauen, Vereinigung von Schauendem und Geschautem.

In dem »Wesengliedbau« der Welt offenbart sich Gott; sie ist daher gottähnlich. Sie besteht aus dein »Leibwesen« oder der Natur und dem »Geistwesen«, der Vernunft. Die Natur ist ein organisches Ganzes, ein einheitliches, zusammenhängendes Leben, das sich in einer Mannigfaltigkeit von Kräften entfaltet (Dynamismus). In der Natur werden die göttlichen Zwecke mit strenger Naturgesetzlichkeit verwirklicht; die Natur überhaupt ist auf den Geist angelegt, für diesen bestimmt. Der Geist ist von der Natur unterschieden, ein selbständiges Grundwesen in Gott, in dem die Einzelgeister enthalten sind und ein unendliches »Geisterreich« bilden. Jeder Geist ist ein »selbständiges, in sich selbst urkräftiges Wesen, als ein Teil der einen Kraft der Vernunft«, immateriell, wenn auch immer mit einem Leib verbunden, und unsterblich.

Das »Vereinwesen« von Natur und Geist, das Reich der Geister ist die Menschheit im weiteren Sinne (als kosmische »Menschheit«, von der die irdische nur ein Teil ist), die »Allmenschheit«. Alle Menschen sind ursprünglich ein Wesen, ein Organismus. »Die Menschheit des Weltalls ist ein organisches Wesen in Gott, als das eine Vereinwesen der Vernunft und der Natur, von Gott ewig geschaffen.« Die Bestimmung des Menschen ist, daß er seine eigene Idee in der Zeit verwirklicht als ein Individuum, daß er ein voller Mensch werde und das göttliche Leben in der Gesellschaft zur Erscheinung bringe. Die Menschen sollen ihre Idee als Allmenschheit durch einen Menschheitbund verwirklichen, indem sie sich immer mehr zu einer umfassenden Gemeinschaft zum Zwecke der Förderung des rein und allgemein Menschlichen vereinigen (»Urlebenbund der Menschheit«). Die Geschichte überhaupt zeigt eine Offenbarung Gottes in der Zeit, eine Auswirkung der Ideen. Das Ziel der Geschichte ist das Gott-ähnlich-werden der[362] Menschheit. Es gibt historische Lebensstufen und Lebenszeitalter (Kindheit, Jugend, Reife, Greisenalter). – Ihre Aufgabe kann die Menschheit nur in der Gesellschaft erfüllen. Gottes Liebe; welche die Harmonie alles Lebens in ihm will, ist der Grund der Gemeinschaft. Jede Gesellschaft ist die Darstellung eines höheren Lebens im Wechselleben mehrerer Wesen, sie ist ein organisches Ganzes, ist Selbstzweck. K. unterscheidet »Grundgesellschaften« (Lebensgesellschaften: Familie, Freundschaftsbund, freie Gesellschaft) und »werktätige« Gesellschaften (Zweck-Gesellschaften; vgl. Tönnies).

Die Rechtsphilosophie ist die »Erkenntnis des Rechts und des Staates in reiner Vernunft, als ewiger Wahrheit«. Sie hängt eng mit der Ethik und allgemeinen Weltanschauung K.s zusammen. Das Recht ist »das Ganze der durch Freiheit herzustellenden Bedingungen der Vernunftbestimmung« oder »der Gliedball aller zeitlich freien Lebensbedingnisse des inneren Selblebens Gottes und in und durch selbiges auch des wesengemäßen Selblebens und Vereinlebens aller Wesen in Gott«. Es ist allgemein (.als göttliche Idee) die »allgemeine wesentliche Form der Verhältnisse aller Wesen gegen alle, nach welcher in der Gemeinschaft aller Wesen jedes einzelne in seiner eigenen Natur vollendet und die Harmonie aller wirklich ist und wirkt«. Die Menschen sind dazu bestimmt, sich zu einem »Rechtsbund« zu vereinigen. Der Staat ist ein »Gesellschaftsverein, welcher für die Herstellung des Rechtes, als für seinen von ihm selbst anerkannt einzigen oder wenigstens erstwesentlichen und vorwaltenden Zweck wirksam ist«.

Die Ethik (Sittenlehre) K.s betont (wie Kant und Fichte) den reinen Willen zum Guten ohne Nebenzwecke. Die Sittenlehre ist die Lehre vom Willen, sofern er das Leben im Sinne des »Lebwesentlichen«, Guten gestaltet. Und zwar handelt es sich hier, da Gott das eine Gute. ist, um den Teil des Guten, welches dem Wesen des Menschen entspricht. Das sittlich Gute ist also das vom Menschen als Menschen Darzulebende und der allgemeine sittliche Wille ist ein Grund- und Urwille: »Wolle du selbst und tue das Gute als das Gute«. Tue es um seiner selbst willen und freiwillig, dann handelst du sittlich. »Bestimme dich selbst zur Herstellung (Darstellung) des Guten, rein und allein, weil es gut ist; oder: wolle und tue mit Freiheit das Gute.« Frei ist das Ich, als ganzes Ich sich selbst bestimmend, der seinem Wesen gemäße Wille, der Geist, der nur das »Gesetz seiner Idee« anerkennt und neue Reihen des Geschehens anfängt. Stetig und harmonisch in reinem, freiem Willen zu leben, ist die Tugend des Geistes. »Tugend ist Gesundheit und Blühen des ganzen geistigen Lebens.« Das unendliche Ziel der Sittlichkeit kann der Mensch nur in Gemeinschaft verwirklichen, alle Gemeinschaften müssen sich zu einem »Tugendbund« vereinigen.

Die Religion bestimmt K. als »Gottiningkeit«, als Verein des menschlichen mit dem göttlichen Leben und als Streben des Menschen zu Gott (»Weseninnigkeit«). Ein religiöser »Urtrieb« beseelt den Menschen. Die oberste, Religion und Sittlichkeit umfassende Formel lautet: »Sei gottinnig und ahme Gott nach im Leben«.

Das Schöne ist die »verwirklichte Idee oder das belebte Ideal«. Schönheit[363] ist die »im Endlichen erscheinende Göttlichkeit oder Gottähnlichkeit«. Schön ist, was Einheit und in dieser Vielheit und Harmonie hat, was ferner »Vernunft, Verstand und Phantasie in einem ihren Gesetzen gemäßen, entsprechenden Spiele der Tätigkeit befriedigend beschäftigt«. Die Kunst ist werktätige Lebenskraft, welche Individuelles nach Ideen bildet, gottähnlich, d.h. schön gestaltet. Das Leben selbst ist ein Kunstwerk.

Schüler K.s sind Ahrens, Tiberghien, Lindemann, Hohlfeld, von Leonhardi, Altmeyer, Oppermann, Röder, Mönnich, Bouchitté, Schliephake, der Spanier del Rio u. a.

SCHRIFTEN: K. hat außerordentlich viel Schriften verfaßt, von denen er aber nur einen Teil selbst herausgegeben hat; sein Nachlaß ist noch immer nicht ganz erschöpft, obschon zahlreiche Publikationen aus demselben vorliegen. – Grundlage des Naturrechts, 1803. – Grundriß der historischen Logik, 1803. – Entwurf des Systems der Philosophie I, 1804. – System der Sittenlehre I, 1810; 2. A. 1887. – Das Urbild der Menschheit, 1811; 3. A. 1903 (herausgegeb. von P. Kohlfeld, dem Editor noch vieler anderer Schriften K.s). – Abriß des Systems der Philosophie I, 1825. – Abriß des Systems des Logik, 1825; 2. A. 1828. – Abriß des Systems der Rechtsphilosophie, 1828. – Vorlesungen über das System der Philosophie, 1828; 2. A. 1869, 1889 (eines der Hauptwerke). – Vorlesungen über die Grundwahrheiten der Wissenschaft, 1829; 2. A. 1868-69 (ebenfalls). – Ans dem Nachlaß: Die Lehre vom Erkennen und von der Erkenntnis, 1836 (hrsg. von H. K. v. Leonhardi). – Vorlesungen über die psychische Anthropologie, 1848, 1905. – Die absolute Religionsphilosophie, 1834-43. – Abriß der Ästhetik, 1837. – Geist der Geschichte der Menschheit, 1843; 2. A. (Lebenslehre und Philos. der Geschichte), 1904. – Das System der Rechtsphilosophie, 1874 (hrsg. von Röder). – Vorlesungen über Ästhetik, 1882. – System der Ästhetik, 1882. – Vorlesungen über synthetische Logik, 1884. – Einleitung in die Wissenschaftslehre, 1884. – Vorlesungen über angewandte Philosophie der Geschichte, 1885. – Reine allgemeine Vernunft-Wissenschaft, 1886. – Abriß des Systems der Philosophie, 1886. – System der Sittenlehre, 1886. – Philos. Abhandlungen, 1889. – Abriß der Philos. der Geschichte, 1889. – Anschauungen und Entwürfe zur Höherbildung des Menschheitlebens, 1890-1902. – Anfangsgründe der Erkenntnislehre, 1892. – Anleitung zur Naturphilosophie, 1894. – Grundriß der historischen Logik, 2. A. 1896. – Vorlesungen über Naturrecht, 1892. – Der Menschheitbund, 1900. – Briefwechsel, hrsg. von Hohlfeld und Wünsche, 1903, 1907, u. a – Vgl. P. HOHLFELD, Die Krausesche Philosophie, 1879. – EUCKEN, Zur Erinnerung an K., 1881. – BR. MARTIN, K. Chr. Fr. Krauses Leben, Lehre und Bedeutung, 1881, 1885. – H. V. LEONHARDI, K.s Leben und Lehre, 1902. – K. Chr. Fr. Krause als philos. Denker, 1903. – WETTLEY, D. Ethik K.s, 1907. – Tu. SCHNEIDER, K. als Geschichtsphilosoph, 1907.

Quelle:
Eisler, Rudolf: Philosophen-Lexikon. Berlin 1912, S. 360-364.
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