Laromiguière, Pierre

[385] Laromiguière, Pierre, geb. 1756 in Lévignac, Prof. in Paris (1810-13), gest. 1837.

L. geht über den Sensualismus des 18. Jahrhunderts durch Betonung der Aktivität der Seele hinaus, welche die Quelle der Begriffe ist. Durch seine eigene Tätigkeit (»activité propre«) bemeistert der Mensch das Empfindungsmaterial. Die Sinnesorgane verhalten sich bei der Bildung der Vorstellungen aktiv, rein passiv sind nur die Sinneseindrücke. Die Seele ist eine sich selbst modifizierende Kraft (»une force... qui se modifie elle-même«). Die geistige Grundtätigkeit (»l'opération fondamentale, la faculté première, de laquelle dérivent toutes les autres facultés«) ist die Aufmerksamkeit (»la concentration de l'activité de l'âme sur un objet«), welche die Vorstellungen klarer macht und einzelne heraushebt. Durch deren Wirkung entstehen Vorstellungen und Begriffe. Das Bewußtsein der Tätigkeit der Seele hat mit den Empfindungen nichts gemein, ist etwas Spezifisches. Außer den Einzelvorstellungen haben wir Beziehungsempfindungen (»sentiment-rapport«), aus welchen durch Aufmerksamkeit und Vergleichung die Relationsbegriffe hervorgehen. »C'est donc l'activité qui fait éclore les germes que la nature a déposés dans le sentiment« (Leçons, T. 11, p. 103).Vergleichen und Überlegen (raisonnement), durch welche die zusammengesetzten und einfachen Beziehungen erfaßt werden, sind nur verschiedene Arten der Aufmerksamkeit (»diverses manières de donner son attention«). Die Idee (Vorstellung, Begriff) ist die von anderen Empfindungen isolierte Empfindung (»le sentiment démêlé d'avec d'autres sentimens, avec lesquels il se trouvait confondu«): sie ist »un rapport de distinction«. Das Denken analysiert, isoliert, vergleicht, ordnet usw. Die Ideen sind als Beziehungsvorstellungen Urteile besonderer Art (mit nur einem bestimmten Glied); das Urteil im engeren Sinne ist die Erfassung einer Beziehung zwischen zwei deutlichen und gesonderten Gliedern (»perception du rapport«). Es gibt ein Urteil »par sentiment« (Gefühlsurteil), »par idées« und »par affirmation« (Satz). Die Methode des Denkens ist von der Sprache abhängig, ist selbst Sprachkunst (»l'art de parler«). Der menschliche Geist ist »tout entier dans l'artifice du langage«. In der Verbindung der Vorstellungen und in der Erfassung ihrer Beziehungen betätigt sich die »Sprache der Vernunft« (»la langue du raisonnement«). Das Begehren ist die Richtung der Seele auf das einem Bedürfnis Entsprechende. Sind mehrere Befriedigungsmöglichkeiten vorhanden, so kommt es zum Vorziehen, zur Wahl und damit zur psychologisch-ethischen Willensfreiheit. Diese ist »le pouvoir de vouloir, ou de ne pas vouloir, après délibération«, nicht als blinde, grundlose Wahlfreiheit; sondern wir opfern eine gegenwärtige Lust aus Furcht vor einer künftigen Unlust.

SCHRIFTEN: Projet d'éléments de métaphysique, 1793. – Sur les paradoxes de Condillac, 1805. – Leçons de philosophie, 1815-18; 2. éd. 1820; 7. éd. 1858 (Hauptwerk). – Vgl. LAMI, La philosophie de L., 1867.

Quelle:
Eisler, Rudolf: Philosophen-Lexikon. Berlin 1912, S. 385.
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