Palágyi, Melchior

[523] Palágyi, Melchior, geb. 1859 in Paks, Gymnasialprofessor und Privatdozent in Klausenburg (Ungarn).

P. ist ein (von Plato, Leibniz u. a. beeinflußter) Gegner des »logischen Dualismus«, des Sensualismus und Psychologismus, aber auch des extremen Antipsychologismus, wie ihn Bolzano, Husserl u. a. vertreten. Logik und Psychologie bedingen sich wechselseitig. Die Logik hat die Aufgabe, »durch die Untersuchung der Erkenntnistätigkeit selbst unser Wissen von der Wahrheit zu befördern«. Die »monistische« Logik ist »dynamische Urteilslogik«. Ihr Ziel ist die eine Wahrheit. Die Wahrheit läßt sich nicht vom Denken abtrennen, ist aber nicht vergänglich wie das Phänomen des Denkaktes und der Impressionen. »Die Tatsache vergeht, ihre Wahrheit aber besteht.« Es ist nämlich jedes Urteil ein »Ewigkeitserlebnis«, alle wahren Urteile sind für die Ewigkeit gefällt. Dies bedeutet, daß der Tatsache im Reiche alles Geschehens eine unverrückbare, ewige Stellung zukommt. Der Unterschied zwischen aposteriorischen und apriorischen Urteilen wird dadurch nichtig, ebenso die Kantsche Unterscheidung zwischen Form und Inhalt der Erkenntnis. Unsere Erkenntnis hat es stets mit dem »Unvergänglichen in dem Wechsel aller Erscheinungen« zu tun, ist ein »Erfassen des Ewigen im Vergänglichen«.

P. unterscheidet von den physischen die (nicht rein mechanisch erklärbaren) »vitalen« Vorgänge, zu denen auch die Empfindungen u. dgl. (»Impressionen«) gehören, und von diesen die eigentlich psychischen, geistigen »Akte« (Wille, Denken usw.). Während die vitalen Vorgänge fließend sind, besteht eine[523] »Intermittenz« der geistigen Akte, deren Bedeutung in ihrem außerräumlichen und außerzeitlichen Sinn besteht. Zwei geistige Akte, die durch einen Lebensvorgang verbunden sind, heißen geistiger »Pulsschlag« und es ist eine »Pulslehre des menschlichen Bewußtseins« notwendig, da unsere Welt vom Bewußtseinspuls abhängig ist. Jede Impression besteht aus grenzenlos vielen zeitlichen Abschnitten, ist unerschöpflich; was wir aus dem Eindruck schöpfen, ist immer nur eine Erinnerung an den Eindruck. Der Kontinuität des Geschehens kann unser diskontinuierliches Bewußtsein nicht nachkommen. Die menschliche Phantasie ist »Bewegungsphantasie«, d.h. die Fähigkeit, sich von dem einen Ort an den ändern zu versetzen, ohne die Bewegung in Wirklichkeit produzieren zu können. Durch diesen Prozeß schafft man sich in der Einbildung alle gewünschten Empfindungen und Gefühle herbei. Die Rolle der Gefühle und des Willens als Antrieb zur Erkenntnis wird von P. berücksichtigt.

P. betont die Einheit von Zeit und Raum. Er spricht vom »fließenden Raum« als einem sich in der Zeit stetig erneuernden Raum. Der Zeitpunkt entfaltet sich in allen Raumpunkten zum unendlichen Weltenraum; er ist die Einheit des letzteren, dieser die Entfaltung des Zeitpunktes. Der Zeitstrom ist die endlose Entfaltung eines Raumpunktes. Der sich stets erneuernde Raum begreift schon die Zeit in sich. Raum und Zeit bilden eine »einheitliche Doppelordnung der Erscheinungswelt«. Nach dieser »dynamischen« Raumtheorie erneuert sich also der Raum in jedem Augenblicke der Zeit. Absolute Ruhe gibt es nicht. Die Qualitäten erhalten den Charakter der »rhythmischen Wiederholung«.

SCHRIFTEN: Neue Theorie von Raum und Zeit, 1901. – Kant und Bolzano, 1902. – Der Streit der Psychologisten und Formalisten in der modernen Logik, 1902. – Die Logik auf dem Scheidewege, 1903. – Die Phantasie, Jahrh. für moderne Menschen, 1908. – Naturphilosophische Vorlesungen über die Grundprobleme des Bewußtseins und des Lebens, 1908, u. a. – Vgl. UPHUES, Zur Krisis in der Logik, 1903.

Quelle:
Eisler, Rudolf: Philosophen-Lexikon. Berlin 1912, S. 523-524.
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