[565] Poincaré, Henri, geb. 1857 in Nancy, Prof. in Paris.
P. ist ein Vertreter des kritischen Positivismus und Relativismus (bzw. Pragmatismus). Die Axiome der Wissenschaften sind nach ihm weder Erfahrungssätze noch apriorische Wahrheiten, sondern sie beruhen auf Konvention, welche sie im Kampfe der Ideen als bequemste, einfachste, am besten der Erfahrung gerecht werdende ausgewählt hat. Die Axiome der Geometrie sind bequeme Definitionen (»définitions déguisées«), welche als solche etwas Willkürliches enthalten, wenn sie auch an den Satz des Widerspruchs gebunden und durch die Daten der Erfahrung geleitet sind. Die Euklidsche Geometrie ist nicht wahrer, nur einfacher, bequemer, vorteilhafter, als die nicht-euklidische. Ähnliches gilt von den Axiomen der Mechanik. »Ce sont des conventions; notre choix, parmi toutes les conventions possibles, est guidée[565] par des faits expérimentaux; mais il reste libre et n'est limité que par la nécessité d'éviter toute contradiction.« Wenn aber auch das Hypothetische und Willkürliche in der Wissenschaft von fundamentaler Bedeutung ist, so ist die Wissenschaft doch nicht absolut subjektiv, sondern die Art und Weise, wie wir die Erfahrung denkend verarbeiten.
SCHRIFTEN: La science et l'hypothèse, 1902; deutsch 2. A. 1906. – La valeur de la science, 14. éd., deutsch 1906. – Science et méthode, 9. éd. (deutsch in Vorbereitung). Les mathémat. et la Logique, Rev. de mét. XIII, 1905. – L'évolution des lois, Rivista di scienza, 1911. – Die neue Mechanik, 1911, u. a, – Vgl. E. LEBON, H. P., 1910.