Rehmke, Johannes

[583] Rehmke, Johannes, geb. 1848 in Elmshorn, Prof. in Greifswald.

R. steht durch seinen erkenntnistheoretischen Monismus den Vertretern der »immanenten Philosophie« (Schuppe u. a.) nahe. Er ist ein Vertreter des objektiven Idealismus und ein Gegner des »Phänomenalismus« im Sinne einer die Außendinge zu Erscheinungen unbekannter Wesen herabsetzenden Lehre. Es gibt vielmehr nur eine Welt des Gegebenen, und dieses Gegebene existiert, unabhängig von jedem Einzelsubjekt, als Inhalt eines allumfassenden, universalen, göttlichen Bewußtseins. Die »Grundwissenschaft« setzt nur das Gegebene und dessen allgemeinste Bestimmungen voraus. Die dualistische Spaltung der Welt in zwei Wirklichkeiten absolut verschiedener Art ist abzulehnen. Es gibt nur einerlei Art von Sein und dieses ist Bewußt-Sein. Außen- und Innenwelt gehören untrennbar zusammen, sie sind Abstraktionen aus einer einzigen Welt, beide mit gleicher Unmittelbarkeit und Gewißheit gegeben. Die Wahrnehmungsinhalte sind nicht Bilder der Dinge, sondern selbst die Außendinge, das »Andere« des Ich; sie sind aber nicht eins mit den momentanen individuellen Vorstellungen, sondern mit den begrifflich bestimmten, quantitativ fixierten Zusammenhängen, welche aber nicht außerhalb des »Bewußtseins überhaupt« bestehen. Außen- und Innenwelt, Nicht-Ich und Ich, anschauliches und nichtanschauliches Sein, sind Inhalt der Seele, welche letztere, ohne selbst ein Ding zu sein, die Dinge »hat«, unmittelbar von ihnen weiß. Die Außenwelt steht also wohl dem einzelnen Ich, nicht aber der Seele überhaupt gegenüber. Außenwelt und Innenwelt sind »die beiden abstrakten Stücke einer Welt, welche die Seele hat«. Das Sein der Seele ist dadurch bedingt, daß sie eine Welt hat, welche teils aus Dingen, teils aus Vorgestelltem, sowie Gefühlen und Strebungen besteht. Das Ding ist die »Einheit von Dingaugenblicken im Nacheinander«. Raum[583] und Zeit sind Bestandteile der Dinge selbst. Die Dinge stehen in Wechselwirkung miteinander, sind Glieder eines Wirkungszusammenhanges. Jede Veränderung ist nur der Wechsel von »Besonderheiten« einer »Bestimmtheit« des veränderlichen Einzelwesens, nicht Auftreten neuer Bestimmtheiten (»Satz der Veränderung«).

Die Seele kann eine Welt nur haben, weil sie immateriell, kein »Ding«, keine Substanz ist, sondern »konkretes Bewußtsein«. Als immaterielles Einzelwesen ist sie unräumlich, sie ist nicht irgendwo. Unter den Dingen ist eines besonders eng mit ihr verbunden, es ist dies ihr Leib, auf den sie wirkt, wobei aber die Wirkung stets nur eine (nicht quantitative) »qualitative Energieveränderung« ist. (Weder Parallelismus noch »Wechselwirkung«, sondern »einfacher ursächlicher Zusammenhang« zwischen Seele und Leib; »Wirken des Leibes auf die Seele und Wirken der Seele auf den Leib«.) Individuell ist die Seele durch ihre Bestimmtheiten, Besonderheiten und in Beziehung zu ihrem Leib; ihrem Gattungswesen nach ist sie identisch mit den anderen Seelen. Das Bewußtseins*subjekt ist ursprünglich, einzig, ewig unveränderlich, überräumlich und überzeitlich, in allen identisch, es ist das »einheitstiftende Moment des Augenblicks-Bewußtseins«, das »Grundmoment« des Bewußtseins, während die übrigen Momente (Empfindungen, Vorstellungen, Gefühle usw.) »Bestimmtheitsbesonderheiten« des Bewußtseins (nicht selbständige psychische »Vorgänge«) darstellen. Das Bewußtsein ist weder eine Eigenschaft der Vorstellungen, noch eine Tätigkeit des Geistes, noch das Gemeinsame der psychischen Erlebnisse; B. ist kein Gattungs- sondern ein Beziehungsbegriff, ein Ausdruck für das Verhältnis der Inhalte zur Seele, bzw. für diese selbst, also dann identisch mit »Geist«. »Seele« ist dann »ein Bewußtsein, das in stetiger Wirkenseinheit mit einem Leibe sich findet«. Ein »unbewußter Geist« ist ein Widerspruch. Außer dem »gegenständlichen« ist die Seele zugleich immer »zuständliches« Bewußtsein, nämlich »Fühlen«. Das Gefühl ist eine Bestimmtheitsbesonderheit des Fühlens (Lust und Unlust). Gefühle werden vom »Gegenständlichen«, auch von Körperempfindungen begleitet; die Intensität letzterer ist bei den Affekten groß. Der Gemütszustand ist die »augenblickliche Beschaffenheit der Seele, die sich als das Zusammen von besonderem Gefühl und besonderem Gegenständlichen erweist«. Ein »ursächliches« Bewußtsein ist das Wissen um die Bedingtheit von Erlebnissen durch die wollende Seele, ohne daß aber das »Bewußtsein« selbst eine Tätigkeit ist oder gar selbst entstehen kann. Das Wollen ist der Kern des Seelenindividuums, es ist eine besondere Bewußtseinsbestimmtheit neben der gegenständlichen und zuständlichen (Gefühl). Die »wirkende Augenblickseinheit der Seele« ist immer ein Wille. Das Denken ist nicht mit dem Denkwillen zu. verwechseln, es ist keine »Tätigkeit«. Denken ist, psychologisch, Unterscheiden und Vereinen, logisch »Bestimmen«. Urteilen heißt, über Gegebenes entscheiden, »Gegebenes durch Gegebenes bestimmen oder begreifen«. Begriffe gibt es nur im Urteil, als Allgemeines, wodurch ein konkretes Gegebenes bestimmt wird.

SCHRIFTEN: Philosophie des Weltschmerzes, 1876. – Die Welt als Wahrnehmung[584] und Begriff, 1880. – Der Pessimismus und die Sittenlehre, 1882. – Physiologie und Kantianismus, 1883. – Unsere Gewißheit von der Außenwelt, 1894. – Lehrbuch der allgemeinen Psychologie, 1894; 2. A. 1905. – Grundriß der Geschichte der Philosophie, 1896. – Zur Lehre vom Gemüt, 1897; 2. A. 1911. – Außenwelt, Innenwelt, Leib und Seele, 1898. – Trieb und Wille im menschlichen Handeln, 1899. – Die Seele des Menschen, 1902; 2. A. 1905. – Wechselwirkung oder Parallelismus, 1902 (Haym-Festschrift). – Philosophie als Grundwissenschaft, 1910.

Quelle:
Eisler, Rudolf: Philosophen-Lexikon. Berlin 1912, S. 583-585.
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