Reinhold, Ernst

[587] Reinhold, Ernst, geb. 1793 in Jena als Sohn K. L. Reinholds, seit 1832 Prof. in Jena, gest. daselbst 1855.

R. steht wesentlich auf dem Boden der Kantschen Philosophie, ist aber auch von anderen Denkern beeinflußt. Er vertritt einen »Ideal-Realismus« und »spekulativen Theismus«. Die Philosophie bestimmt er als »die wissenschaftliche Entwicklung des organisch verbundenen Ganzen der wesentlichen, zufolge des Wesens der Menschheit streng notwendigen und allgemeinen Erkenntnisbegriffe der menschlichen Intelligenz«. Diese Begriffe erfassen das objektiv Notwendige und Allgemeine und die Einheit des Weltganzen und des Weltgrundes. Es sind »Universalbegriffe«. Das Philosophieren ist das Streben nach einer »wissenschaftlichen, systematischen Ausbildung der Erkenntnis aller für das menschliche Bewußtsein als solches schlechthin notwendigen und allgemeingültigen Wahrheiten«. Die »transzendentale Forschung« geht in Anwendung des analytischen oder regressiven Weges von der Beobachtung der Tatsachen des Bewußtseins zurück zu den Bedingungen dieser, so daß sie »die notwendigen Momente und Gesetze des allgemeinen Entfaltungsganges unserer Intelligenz« enthüllt. Die synthetisch-progressive Methode führt zur Erklärung der Dinge aus den allgemeinen Gründen, Verhältnissen und Gesetzen derselben. Es ist ferner auch zu zeigen, »daß in der Ordnung des Weltalls die ewigen Bestimmungen des göttlichen allbewußten Denkens und allvermögenden Wollens sich aussprechen und daß die Totalität des Weltalls in der Lebenssphäre des lebendigen und persönlichen Urwesens enthalten ist«. Die praktische Philosophie leitet die Normen der Gesinnung und des Handelns aus der universellen Ordnung der Kräfte, Gesetze und Zwecke der Welt ab, sie leitet »aus den letzten Gründen des Seins und aus dem ergründeten Wesen der menschlichen Natur die idealen Grundsätze der Rechtlichkeit, der Sittlichkeit[587] und der Religiosität ab«. – Die menschliche Seele ist nach R. unsterblich und besitzt einen feineren Organismus, der von den Erdenbanden frei wird. Alles Wirken und Leiden in der Welt wird durch die »ideale Bedeutung des Zweckmäßigen oder, was dasselbe sagt, des in der Welt darzustellenden Guten« geleitet und bestimmt. – Die allgemeine logische Form des Denkens ist das Urteil, das »Unterscheiden und Verknüpfen einer subjizierten und einer prädizierten Vorstellung«. Begriffe sind Bestandteile des Urteils, die »möglichen Subjekte erst noch zu fällender Urteile«. Ein Urteil ist schon in der Wahrnehmung enthalten. – Das oberste praktische Vernunftideal ist die Idee der »harmonischen Ausbildung des geistigen Lebens der Menschheit«.

SCHRIFTEN: Versuch einer Begründung und neuen Darstellung der logischen Formen, 1819. – Erkenntnis- und Denklehre, 1825. – Die Logik oder allgemeine Denkformenlehre, 1826. – Handbuch der allgemeinen Geschichte der Philosophie für alle wissenschaftlich Gebildete, 1828-1830; 5. A. 1858. – Theorie des menschlichen Erkenntnisvermögens und Metaphysik, 1832, 1834, – Lehrbuch der philosophisch-propädeutischen Psychologie und der formalen Logik, 1835. – Die Wissenschaften der praktischen Philosophie im Grundrisse, 1837. – Grundzüge des Systems der Erkenntnislehre und Denklehre, 1843. – Geschichte der Philosophie nach den Hauptmomenten ihrer Entwicklung, 1836 ff. – Das Wesen der Religion und sein Ausdruck im evangelischen Christentume, 1846.

Quelle:
Eisler, Rudolf: Philosophen-Lexikon. Berlin 1912, S. 587-588.
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