Robinet, Jean Baptiste

[607] Robinet, Jean Baptiste, geb. 1735 in Reimes, verließ bald den Jesuitenorden, in den er eingetreten war, und war schriftstellerisch tätig. In Amsterdam gab er sein Hauptwerk »De la nature« zuerst anonym heraus (1761). 1778 kehrte er nach Paris zurück, wo er königlicher Zensor wurde. Zu Beginn der Revolution ging R. nach Rennes, wo er 1820 starb.

R. der von Locke, Condillac, Leibniz, Buffon u. a. beeinflußt ist, vertritt eine organische, hylozoistische Weltanschauung. In erkenntnistheoretischer Beziehung ist er (sensualistischer) Empirist; alle Erkenntnis geht aus der Sinnesempfindung hervor. Das Sein, die Existenz bestimmt er als bloße Position, als Gegensetzung zum Nichts (»opposition au néant«). Das Innerste Wesen der Dinge ist unbekannt, wir erkennen nur die Erscheinungen der Dinge (»nos sens n'atteignent que les apparences et les formes extérieures, l'intérieur des substances nous sera toujours inconnu«). Auch von unserer Seele kennen wir nicht die Substanz, nur ihre Fähigkeiten. Die Kausalität des Geschehens nehmen wir nicht wahr (»La causalité nous échappe: nous ne voyons pas cette Energie intérieure en vertu de quoi un phénomène se fait accompagner d'un autre. Peut-être aussi n'y a-t-il rien de tel dans la nature«). Auch das Wesen Gottes ist unerkennbar, wenn wir auch wissen, daß Gott der Schöpfer der Welt ist, die er ewig erhält, während er selbst zeitlos ist. Aller Anthropomorphismus ist aus dem Gottesbegriffe auszuschließen. Die Substanz der Welt bleibt bei aller Formänderung unverändert.

Die Welt besteht aus organischen Keimen, die eine Entwicklungskraft (»force évolutive«) haben, vermöge der sich alles einheitlich und stetig entfaltet hat (»tout n'est qu'un développement«). Das Leben ist etwas Ursprüngliches und Allgemeines (Panvitalismus), alles ist in seinen Elementen lebendig, organisch. Die Materie besteht aus organischen Keimen (»germes«), die alle verschieden sind und alle empfindungsfähig sind. Auch die Mineralien, ja auch die Weltkörper sind »animalisch«. Das Gesetz der Stetigkeit herrscht in der Natur (vgl. Leibniz), in welcher eine kontinuierliche Stufenfolge von den niedersten bis zu den höchsten Wesen führt. Alle Wesen sind Variationen eines Urtypus (»prototype«), deren Endziel die Bildung des Menschen sind. Es besteht in der Natur eine »Progression«, wonach zuerst die einfacheren, dann erst die komplizierteren Formen entstehen. Die psychischen Vorgänge erklärt B. aus ihrer Abhängigkeit von den Funktionen der (sensitiven, intellektuellen und volitiven) »Hirnfibern« und deren Schwingungen. Mit Hutcheson nimmt B. einen moralischen Sinn an, der das Gute und Böse unmittelbar empfindet. Gut ist jede Handlung, die das (allgemeine) Wohl fördert. Die[607] Übel in der Welt sind notwendig, weil die Dinge endlich sind. Zwischen den Gütern und Übeln besteht Gleichtgewicht im Ganzen (Kompensationstheorie). Über das Dasein des Bösen muß man sich durch den Genuß des Guten trösten.

SCHRIFTEN: De la nature, I: 1761; 2. éd. 1763; 3. éd. 1766; II: 1763, III u. IV: 1766; deutsch 1764 (Hauptwerk). – Considérations philos. sur la gradation naturelle des formes de l'être, 1768. – Parallèles de la condition et des facultés de l'homme avec celles des antres animaux, trad. de l'Anglais, 1769. – Les vertus, reflexions morales en vers, 1814, u. a. – Vgl. K. ROSENKRANZ, R., in der Zeitschrift: Der Gedanke I, 1861. – R. ALBERT, Die Philosophie R.s, 1903.

Quelle:
Eisler, Rudolf: Philosophen-Lexikon. Berlin 1912, S. 607-608.
Lizenz: