Teichmüller, Gustav

[740] Teichmüller, Gustav, geb. 1832 in Braunschweig, 1860 Privatdozent in Göttingen, 1868 Prof. in Basel, 1871 in Dorpat, gestorben daselbst 1888.

T. ist besonders von Leibniz u. Lotze beeinflußt. Er unterscheidet drei Geistesfunktionen : Erkennen, Begehren und Handeln, und unterscheidet scharf zwischen Bewußtsein und Erkenntnis, wodurch er den erkenntnistheoretischen Idealismus zu überwinden glaubt. Die Erkenntnis ist teils »spezifisch« (ihre Elemente sind selbst Erkenntnisse), teils »semiotisch«, indem durch Zeichen Inhalte, die nicht durch Erkenntnis gegeben sind (z.B. Gefühle) angedeutet werden. Jede empirische Erkenntnis enthält ein apriorisches Element, welches aus der apriorischen Geistestätigkeit stammt, durch die der Erfahrungsinhalt kategorial verarbeitet wird. Die Erkenntnis der Natur beruht auf einer Projektion der Bestimmtheiten des Ichs, welches wir als unmittelbares, einheitliches Sein erleben, auf die Außenwelt. »Von uns selbst, wo alles im Bewußtsein klar ist, geht die Erkenntnis der Natur aus; denn nichts ist uns näher als wir selbst, da wir die ganze Natur erst uns gegenüber erhalten, wenn wir unsere Anschauungen projizieren oder sie aus unseren Begriffen erschließen.« Das Ich ist Substanz, Prototyp des Substanzbegriffes. »Es ist das unmittelbar gegebene Ichbewußtsein, welches allmählich zur Selbsterkenntnis kommt, sich selbst dann von dem ideellen Inhalt der Vorstellungen unterscheidet und dadurch sich als Subjekt dem Objekt projiziert und also dem Objekte nach Analogie mit sich Substantialität zuschreibt.« Die Wirklichkeit besteht aus wirkenden Substanzen, die an sich immateriell, Monaden sind (»Personalismus«). Die Typen der Lebewesen sind ewig, zeitlos-gleichbleibend (gegen den Evolutionismus). Die Seele ist eine unsterbliche Substanz. Gott faßt T. theistisch-christlich auf. Die Religionsphilosophie ist der Rückgang auf die apriorische Erkenntnis, durch welche die Tätigkeiten des Geistes, welche alle Religionen hervorbringen und im Leben erhalten, bewußt werden; die religiöse Erkenntnis ist semiotisch.

Schriften: Aristotelische Forschungen, 1859 – 73. – Studien zur Geschichte der Begriffe, 1874 – 79. – Neue Studien zur Gesch. d. Begriffe, 1876 – 79. – Über die[740] Unsterblichkeit der Seele, 1874; 2. A. 1879. – Darwinismus und Philosophie, 1877. – Ober das Wesen der Liebe, 1879. – Chronologie der Platonischen Dialoge, 1881. – Zu Platons Schriften, 1884. – Die wirkliche und die scheinbare Welt, 1882. – Religionsphilosophie, 1886. – Neue Grundlegung der Psychol. und Logik, hrsg. 1889 u. a. – Vgl. AD. MÜLLER, Die Metaphysik T.s, Arch. f. syst. Philos. VI, 1900; Das Wirkliche in der Welt, 1899. – M. RADOVANOVIC, Menschengeist und Gottheit, Darstellung von T.s Religionsphilos., 1903.

Quelle:
Eisler, Rudolf: Philosophen-Lexikon. Berlin 1912, S. 740-741.
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