Trendelenburg, Friedrich Adolf

[764] Trendelenburg, Friedrich Adolf, geb. 1802 in Eutin, 1833 a. o., 1837 o. Prof. in Berlin, gest. daselbst 1872.

T., der sowohl als Lehrer wie als Schriftsteller einen großen Einfluß besonders auf die philosophiegeschichtliche Arbeit geübt hat, erneuert in seiner »organischen« Weltanschauung den Aristotelismus, zugleich von Plato, Kant, Hegel, Schleiermacher u.a. beeinflußt.

Die Philosophie hat nach T. »aus dem Ganzen der menschlichen Erkenntnis die Prinzipien der Wissenschaften zu erörtern«. Sie soll nicht immer wieder von vorn anfangen, sondern geschichtlich die Probleme aufnehmen und weiterführen, wobei sie ihr Prinzip in der »organischen« Weltanschauung findet, welche im Einzelnen das Allgemeine erkennt und alles als Glied eines Organismus der Wissenschaften bestimmt, um dann in die Metaphysik, die Wissenschaft vom Seienden als solchen, zu münden. Die Logik muß sich sowohl vor dem Formalismus als auch vor der konstruktiven Dialektik, welche in Wahrheit Anleihen bei der Erfahrung machen muß, hüten (gegen das »reine[764] Denken« Hegels). Erkenntnistheoretisch wieder ist der Subjektivismus Kants abzulehnen; Kant hat in seinen Beweisen für die Subjektivität der Anschauungsformen übersehen, daß sie subjektiv und objektiv zugleich sein können, seine Beweise haben eine »Lücke« (vgl. hingegen K. Fischer; vgl. Vaihinger, Kant-Kommentar).

Nach T. sind Denken und Sein zwar nicht identisch, aber das Denken weist auf das Sein hin, das es begreifen soll, und die logischen Formen gehen den realen parallel, entsprechen ihnen, so daß die logische Einheit ein »Gegenbild« des realen Ganzen ist. Denken und Sein haben ein Gemeinsames, die (im Aristotelischen Sinne zu verstehende, nicht bloß örtliche) Bewegung. Die »konstruktive Bewegung« ist zunächst das A priori im Denken und Anschauen, die Bedingung aller Erfahrung, die »ursprüngliche Tat« des Denkens, welcher die Formen der Erkenntnis (Raum, Zeit, Materie, Form, Figur, Zahl, Größe) entspringen. In der Anschauung tritt das Denken durch die Bewegung aus sich heraus, indem es die Anschauungsformen (Raum und Zeit) konstruiert, welche, weit entfernt der Bewegung voranzugehen, durch diese bedingt sind. Raum und Zeit sind subjektiv-apriorisch, aber zugleich auch objektiv, weil die Bewegung sie auch außer uns erzeugt. Es gibt kein Denken ohne ein gegenüberstehendes Sein, an dem es arbeitet und das es nachbildet. So sind denn auch die Denkformen, die Kategorien objektiv. Sie entspringen subjektiv aus der Reflexion auf die Formen der Denkbewegung, die schon die Anschauung durchsetzen. Sie sind »ebenso objektive als subjektive Grundbegriffe«. »Reale« Kategorien sind die Formen, durch welche das Denken das Wiesen der Dinge erfaßt (Kausalität, Substanz, Quantität, Qualität, Maß, Einheit, Inhärenz, Wechselwirkung); »modale« Kategorien sind die Grundbegriffe, welche erst im Akt unseres Erkennens entstehen, indem sie dessen Beziehungen und Stufen bezeichnen. Eine »ideale« Kategorie ist der Zweck. Auch unterscheidet T. Kategorien aus der Bewegung und aus dem Zweck, welcher ein Prinzip des Geschehens ist. Die Materie, die wir als Träger des Naturgeschehens setzen müssen, aber nur durch ihre Bewegung und in ihrem Wirken verstehen, ist objektive Erscheinung. Die Bewegung ist es, was die Form der Dinge erzeugt. Die Kräfte der Natur sind aber keine blind-mechanischen Kräfte, sondern sie haben ihre Richtung durch den in der Natur sich äußernden Gedanken (Ideal-Realismus). Für die organische Weltanschauung herrscht in der Welt, deren Teile Organe eines zweckmäßigen Gedankens sind, der Zweck, der die Kräfte durchdringt. Die Bewegung ist das Fundament des Seins, der Zweck dessen Prinzip, welches die Welt regiert. Das Ganze, welches der Zweck anstrebt, steht von Anfang da, geht den Teilen voran, so daß die Zukunft auf die Gegenwart wirkt. Was von seiten der wirkenden Ursache das Nachfolgende und Hervorgebrachte ist, ist im Zwecke das Vorhergehende und Hervorbringende. Das Ganze ist als Idee, Denken, Gedanke vor den Teilen und wirkt Zweckmäßiges. Soweit der Zweck in der Welt wirklich geworden, ist der Gedanke als Grund vorangegangen. Die Kraft steht im Dienste des Zweckes, wird von ihm durchdrungen. Der Zweck ist (in den lebenden Wesen) der »Mittelpunkt der Tätigkeit«, er treibt von innen zur Funktion, zur Entwicklung, wobei der Zweckgedanke [765] den Widerstand des Stoffes überwindet und niedere Zwecke Mittel zu höheren werden, was eine Unterordnung, ein System von Zwecken (Zweckreihen) ergibt. Während im Anorganischen das Zweckgeschehen nur angebahnt ist, verwirklicht es sich von innen aus, sich individualisierend, konzentrierend, konvergierend, strebend in den Organismen als Prinzip des Lebens, welches zielstrebig und durch den Gedanken des Ganzen, der organischen Einheit bedingt ist, und ebenso im Psychischen. Die Seele ist der innere Zweck des Organischen, dessen Entelechie (vgl. Aristoteles), der sich verwirklichende Zweckgedanke, der höher steht als die Substanz, in der er sich verkörpert. Der Geist selbst verwirklicht Zwecke und erkennt daraus auch die Zwecktätigkeit in der Natur, den Zweck als die »inwohnende, gestaltende Seele der Dinge«. Alle Gesetzlichkeit ist schon eine Folge des Zweckes, ist durch ihn, bzw. den Zweckgedanken gesetzt. Der Zweck gibt den Ursachen ihre Richtung, unterwirft sich alles Geschehen als Mittel, ist das Prinzip der Ordnung. Der Zweck vereinigt Freiheit und Notwendigkeit. Frei ist der Wille, der gegenüber den Begierden nach dem Guten zu streben, dieses zum Motiv zu heben, siegreich den menschlichen Zweck zu verfolgen vermag.

Der Zweck ist auch das Prinzip der Ethik. Die Sittlichkeit besteht in der Erfüllung des menschlichen Zweckes, in der Realisierung des wahren, geistigen Wesens des Menschen, der Mensch sein kann, weil er es sein soll. Der Einzelne und die Gemeinschaft sind gut, wenn sie ihre Idee verwirklichen, das ihnen Gemäße anstreben, sich geistig immer mehr entfalten. Die Idee der Gemeinschaft ist für die Ethik wesentlich, da der Einzelne nur in der Gemeinschaft sein Wesen zu verwirklichen vermag. Das Recht bestimmt T. als den »Inbegriff derjenigen allgemeinen Bestimmungen des Handelns, durch welche es geschieht, daß das sittliche Ganze und seine Gliederung sich erhalten und weiter bilden kann«. Es gibt ein »schlechthin Gerechtes«, das über aller Voraussetzung steht, und von dem bedingt Gerechten zu unterscheiden ist. Die Idee des Staates ist die »Verwirklichung des universalen Menschen in der individuellen Form des Volkes«. Schön ist das in der Anschauung erfaßte Gedankenvolle, das unmittelbar gefällt, weil es unserem Wesen gemäß ist.

Seine Grundlage hat der Zweck im schöpferischen Denken Gottes, der alles zeitlos sieht. Gott ist das Unbedingte, Unendliche, über alle Kategorien Erhabene, der gemeinsame Urgrund von endlichem Denken und Sein, absolute Intelligenz, dessen Abbild die Welt ist, die aus dem Zwecke frei geschaffen ist, Gott ist zugleich Wille und Liebe, absolute Persönlichkeit.

Von T. beeinflußt sind C. Heyder, Kym u.a., zum Teil auch A. Lasson u.a.

Schriften: Platonis de ideis et numeris doctrina ex Aristotele illustrata, 1826. – De Aristotelia categoriis, 1833. – Elementa logices Aristoteleae, 1836; 9. A. 1892. – Erläuterungen dazu, 1842; 3. A. 1876. – Logische Untersuchungen, 1840; 3. A. 1870 (Hauptwerk). – Die logische Frage in Hegels System, 1843. – Die sittliche Idee des Rechts, 1849. – Über Herbarts Metaphysik, 1853. – Histor. Beiträge zur Philosophie, I. Geschichte der Kategorienlehre 1846; II-III, 1855-67 (Abhandlungen). – Naturrecht auf dem Gründe der Ethik, 1860; 2. A. 1868. – Lücken im Völkerrecht,[766] 1870. – Kleine Schriften, 1871. – Vgl. BONITZ, Zur Erinnerung an T., 1872. – BRATUSCHECK, F. A. T., 1873. – B. LIEBERMANN, Der Zweckbegriff bei T., 1889. – G. BUCHHOLZ, Die ethischen Grundgedanken T.s, 1904. – K. FISCHER, Anti-Trendelenburg, 1870.

Quelle:
Eisler, Rudolf: Philosophen-Lexikon. Berlin 1912, S. 764-767.
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