Vaihinger, Hans

[779] Vaihinger, Hans, geb. 1852 in Nehren, Prof. in Halle a. S., Herausgeber der »Kantstudien«, Begründer der »Kantgesellschaft«, Kantforscher.

In der »Philosophie des Als Ob« bezeichnet V. seinen (von F. A. Lange u.a. beeinflußten) Standpunkt als »idealistischen Positivismus«. Er wurzelt in der Einsicht in die »Notwendigkeit bewußter Fiktionen als unentbehrlicher Grundlagen unseres wissenschaftlichen Forschens, unseres ästhetischen Genießens, unseres praktischen Glaubens«. Die biologisch-psychologische, teleologisch-voluntaristische Seite des Erkennens wird betont. Um die Dinge zu beherrschen, müssen wir das Gegebene, die Empfindung, kategorial verarbeiten. Wir fassen es als »Dinge«, als Substanzen mit Eigenschaften usw. auf und »verfälschen« durch diese Fiktionen das Gegebene, um seiner Herr zu werden, es zu ordnen und zu beherrschen (vgl. Nietzsche). Real ist nur das Unabänderliche der Koexistenz und Sukzession des Gegebenen. »Wahr« ist unsere Vorstellungswelt nur insofern, als sie uns erlaubt, am besten die Objektivität zu berechnen und in ihr zu Handeln; im Übrigen ist sie rein subjektiv, ideell. Die Begriffe sind nur ein Mittel zum Handeln, verschaffen aber keine Erkenntnis der absoluten Wirklichkeit, welche unerkennbar ist. Die Kategorien sind Fiktionen von theoretisch-praktischer Nützlichkeit, aber ohne Wirklichkeitswert, also rein Subjektiv, nur »praktisch« notwendig. Die Kategorien sind nur »bequeme Hilfsmittel, um die Empfindungsmassen zu bewältigen«, wurzeln in diesem praktischen Bedürfnis, wobei die Zahl und spezielle Art derselben durch die verschiedenen Äußerungsformen des Seienden bestimmt ist, denen sich die Psyche mit diesen Formen anpaßte. Sie sind »Analogien«, nach denen die Geschehnisse erfaßt werden und die aus der inneren Erfahrung stammen; alle Erkenntnis, sofern sie nicht bloß tatsächliche Sukzessionen und Koexistenz feststellt, ist nur analogisch, beruht auf »analogischen Apperzeptionen«. Dinge, Kräfte und Ursachen sind, wie das »Ich«, »Mythen«, Fiktionen. Diese überhaupt sind eine »wissenschaftliche Erdichtung zu praktischen Zwecken«, zweckmäßige Gebilde der Einbildungkraft zum Zweck der Erleichterung des wissenschaftlichen Denkens. Auf dem Umwege der Fiktionen und Semifiktionen, durch willkürliche Abweichung von der Wirklichkeit und durch bewußte Widersprüche, durch »legitimierte Irrtümer« vermag das Denken das Gegebene zu beherrschen, wobei es durch die »Methode entgegengesetzter Operationen« seine Fehler korrigiert und schließlich seine Fiktionen eliminiert oder kritisch als solche behandelt, ohne daß sie ihren praktischen Wert verlieren.

Schriften: Goethe als Ideal universeller Bildung, 1875. – Hartmann, Dühring u. Lange, 1876. – Kommentar zu Kants Kritik d. reinen Vernunft, 1881-92 (bisher 2 Bde.). – Kants Widerlegung des Idealismus, 1883. – Naturforschung und Schale, 1889. Kant – ein Metaphysiker? 1899. – Die transzendentale Deduktion der Kategorien, 1902. – Nietzsche als Philosoph, 3. A. 1905. – Die Philosophie der Staatsprüfung, 1906. – Das Entwicklungsgesetz der Vorstellungen über das Reale, Vierteljahrsschr. f. wissensch. Philos. 2. Bd., 1878. – Die Philosophie des Als Ob, 1911 (Hauptwerk), u.a. – Vgl. E. V. HARTMANN, Neukantianismus usw., 1877.

Quelle:
Eisler, Rudolf: Philosophen-Lexikon. Berlin 1912, S. 779.
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