IV

[160] Ich kehre zu dem Gespräche mit dem Regenten zurück. Nachdem ich mich über den bundestäglichen Posten geäußert, ging ich auf die Gesammtsituation über und sagte: »E.K.H. haben im ganzen Ministerium keine einzige staatsmännische Kapazität, nur Mittelmäßigkeiten, beschränkte Köpfe.«[160]

Der Regent: »Halten Sie Bonin für einen beschränkten Kopf?«

Ich: »Das nicht; aber er kann nicht ein Schubfach in Ordnung halten, viel weniger ein Ministerium. Und Schleinitz ist ein Höfling, kein Staatsmann.«

Der Regent empfindlich: »Halten Sie mich etwa für eine Schlafmütze? Mein auswärtiger Minister und mein Kriegsminister werde ich selbst sein; das verstehe ich.«

Ich deprezirte und sagte: »Heut zu Tage kann der fähigste Landrath seinen Kreis nicht verwalten ohne einen intelligenten Kreissekretär und wird immer auf einen solchen halten; die preußische Monarchie bedarf des Analogen in viel höherem Maße. Ohne intelligente Minister werden Ew. K.H. in dem Ergebniß keine Befriedigung finden. Das Innere berührt mich weniger; aber wenn ich an Schwerin denke, so habe ich auch meine Sorgen. Er ist ehrlich und tapfer und würde, wenn er Soldat wäre, wie sein Vorfahr bei Prag fallen; aber ihm fehlt die Besonnenheit. Sehen Ew. K.H. sein Profil an; dicht über den Augenbraunen springt die Schnelligkeit der Conception hervor, die Eigenschaft, welche die Franzosen mit primesautier bezeichnen, aber darüber fehlt die Stirn, in welcher die Phrenologen die Besonnenheit suchen. Schwerin ist ein Staatsmann ohne Augenmaß und hat mehr Fähigkeit einzureißen als aufzubauen.«

Die Beschränktheit der Uebrigen gab mir der Prinz zu. Im Ganzen blieb er bei dem Bestreben, mir meine Mission nach Petersburg im Lichte einer Auszeichnung erscheinen zulassen, und machte mir den Eindruck, als fühle er eine Erleichterung, daß auf diese Weise, die auch für ihn unerfreuliche Frage meiner Versetzung durch meine Initiative der Besprechung erledigt war. Die Audienz endete in gnädiger Form auf Seiten des Regenten und auf meiner Seite mit dem Gefühl ungetrübter Anhänglichkeit an den Herrn und gesteigerter Geringschätzung gegen die Streber, deren von der Prinzessin unterstützten Einflüssen er damals unterlag.

In der neuen Aera hatte die hohe Frau zunächst ein Ministerium vor sich, als dessen Begründerin und Patronin sie sich ansehen durfte. Aber auch unter diesem Cabinet blieb ihr Einfluß nicht dauernd gouvernemental, sondern gewann bald die Natur einer Begünstigung derjenigen Minister, welche der obersten Staatsleitung unbequem waren. Am meisten war dies vielleicht der Graf Schwerin, beeinflußt von dem damaligen Oberbürgermeister Winter in Danzig und andern liberalen Beamten. Er trieb die ministerielle Unabhängigkeit gegen den Regenten so weit, daß er[161] schriftliche Befehle schriftlich damit erledigend beantwortete, dieselben seien nicht contrasignirt. Als das Ministerium den Regenten einmal zu einer ihm widerwärtigen Unterschrift genöthigt hatte, leistete er dieselbe in unlesbarer Gestalt und zerstampfte die Feder darauf. Graf Schwerin ließ eine zweite Reinschrift machen und bestand auf einer leserlichen Unterschrift. Der Regent unterschrieb nun wie gewöhnlich, knüllte aber das Blatt zusammen und warf es in die Ecke, aus der es hervorgeholt und, nachdem es geglättet, zu den Acten genommen wurde. Auch an meinem Abschiedsgesuche von 1877 war zu sehen, daß der Kaiser es zum Knäul geballt hatte, bevor er darauf antwortete.

Quelle:
Bismarck, Otto Eduard Leopold: Gedanken und Erinnerungen. Stuttgart 1959, S. 160-162.
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