[178] Neuling in dem Klima von Petersburg, ging ich im Juni 1859 nach anhaltendem Reiten in einer überheizten Reitbahn ohne Pelz nach Hause, hielt mich auch noch unterwegs auf, um exercirenden Rekruten zuzusehen. Am folgenden Tage hatte ich Rheumatismus in allen Gliedern, mit dem ich längere Zeit zu kämpfen hatte. Als die Zeit herankam abzureisen, um meine Frau nach Petersburg zu holen, war ich übrigens wieder hergestellt, nur daß sich an dem linken Beine, welches ich auf dem Jagdausflug nach Schweden im Jahre 1857 durch einen Sturz vom Felsen beschädigt hatte und welches infolge unvorsichtiger Behandlung der Locus minoris resistentiae geworden war, ein geringfügiger Schmerz fühlbar machte. Der durch die frühere Großherzogin von Baden mir bei der Abreise empfohlene Dr. Walz erbot sich, mir ein Mittel dagegen zu verschreiben, und begegnete meiner Erklärung, ich fühle kein Bedürfniß etwas anzuwenden, da der Schmerz gering sei, mit der Versicherung, die Sache könne auf der Reise schlimmer werden und es sei rathsam, vorzubeugen. Das Mittel sei ein ganz leichtes; er werde mir ein Pflaster in die Kniekehle legen, welches in keiner Weise belästige, nach einigen Tagen von selbst abfallen und nur eine Röthe hinter lassen werde. Mit der Vorgeschichte dieses aus Heidelberg stammenden Arztes noch unbekannt, gab ich leider seinem Zureden nach. Vier Stunden, nachdem ich das Pflaster aufgelegt und fest geschlafen hatte, wachte ich über heftige Schmerzen auf, riß das Pflaster ab, ohne seine Bestandtheile von der schon wund gefressenen Kniekehle entfernen zu können. Walz kam einige Stunden später und versuchte mit irgend einer metallischen Klinge die schwarze Pflastermasse aus der handgroßen Wunde durch Schaben zu entfernen. Der Schmerz war unerträglich und der Erfolg unvollkommen, die corrosive Wirkung des Giftes dauerte fort. Ich wurde mir über die Unwissenheit und Gewissenlosigkeit meines Arztes klar trotz der hohen Empfehlung, die mich bestimmt hatte, ihn zu wählen. Er selbst versicherte mit entschuldigendem Lächeln, die Salbe sei wohl etwas zu stark gepfeffert worden; es sei ein Versehen des Apothekers. Ich ließ von dem Letzteren das Recept erbitten und erhielt die Antwort, Walz habe dasselbe wieder an sich genommen; Letzterer besaß es nach seiner Aussage nicht mehr. Ich konnte also nicht ermitteln, wer der Giftmischer gewesen war, und erfuhr nur von dem Apotheker, der Hauptbestandtheil der Salbe sei der Stoff gewesen, der zur Herstellung von sogenannten[179] immerwährenden spanischen Fliegen verwendet werde, und nach seiner Erinnerung sei derselbe allerdings in einer ungewöhnlich starken Dosis verschrieben gewesen. Es ist mir später die Frage gestellt worden, ob meine Vergiftung eine absichtliche gewesen sein könne; ich schreibe sie lediglich der Unwissenheit und Dreistigkeit des ärztlichen Schwindlers zu.
Er war auf Grund einer Empfehlung der verwitweten Großherzogin Sophie von Baden Dirigent der Kinderhospitäler in Petersburg geworden. Meine späteren Ermittelungen ergaben, daß er der Sohn des Universitätsconditors in Heidelberg war, als Student nicht gearbeitet und keine Prüfung bestanden hatte. Seine Salbe hatte eine Vene zerstört, und ich habe viele Jahre lang schwer daran gelitten.
Um bei deutschen Aerzten Hülfe zu suchen, reiste ich im Juli auf dem Seewege über Stettin nach Berlin; heftige Schmerzen veranlaßten mich, den berühmten Chirurgen [Pirogow?], der mit an Bord war, zu fragen; er wollte mir das Bein amputiren, und auf meine Frage, ob über oder unter dem Knie, bezeichnete er eine Stelle hoch darüber. Ich lehnte ab und wurde, nachdem in Berlin verschiedene Behandlungen erfolglos versucht waren, durch die Bäder von Nauheim unter Leitung des Professors Benecke aus Marburg so weit wiederhergestellt, daß ich gehen, auch reiten konnte. Während ich auf der Rückreise nach Petersburg Herrn von Below in Hohendorf im November einen Besuch machte, riß sich nach ärztlicher Meinung der Thrombus los, der sich in der zerstörten Vene gebildet und festgesetzt hatte, gerieth in den Blutumlauf und verursachte eine Lungenentzündung, die von den Aerzten für tödlich gehalten, aber in einem Monate langen Siechthum überwunden wurde. Merkwürdig sind mir heut die Eindrücke, die damals ein sterbender Preuße über Vormundschaft hatte. Mein erstes Bedürfniß nach meiner ärztlichen Verurtheilung war die Niederschrift einer letztwilligen Verfügung, durch welche jede gerichtliche Einmischung in die eingesetzte Vormundschaft ausgeschlossen wurde. Hierüber beruhigt sah ich meinem Ende mit der Bereitwilligkeit entgegen, die unerträgliche Schmerzen gewähren. Zu Anfang des März war ich so weit, nach Berlin reisen zu können, wo ich, meine Genesung abwartend, an den Sitzungen des Herrenhauses Theil nahm und bis in den Mai 1860 verweilte.
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