[376] Nach seinem Abgange war ich vor die Frage gestellt, ob und wie weit ich bei der Wahl eines neuen Cultuscollegen die mehr juristische als politische Linie Falk's im Auge behalten oder meinen mehr gegen Polonismus als gegen Katholicismus gerichteten Auffassungen ausschließlich folgen sollte. In dem Culturkampfe war[376] die parlamentarische Regierungspolitik durch den Abfall der Fortschrittsparthei und den Uebergang derselben zum Centrum gelähmt, indem sie im Reichstage einer durch gemeinsame Feindschaft zusammengehaltenen Majorität von Demokraten aller Schattirungen, im Bunde mit Polen, Welfen, Franzosenfreunden und Ultramontanen, ohne Unterstützung durch die Conservativen gegenüberstand. Die Consolidirung unsrer neuen Reichseinheit wurde durch diese Zustände gehemmt und, wenn sie dauerten oder sich verschärften, gefährdet. Der nationale Schaden konnte auf diesem Wege größer werden als auf dem eines Verzichtes auf den meiner Ansicht nach entbehrlichen Theil der Falk'schen Gesetzgebung. Für nicht entbehrlich hielt ich die Beseitigung der Verfassungsartikel, die Kampfmittel gegen den Polonismus und vor allen die Herrschaft des Staates über die Schule. Wahrten wir die, so behielten wir aus dem Culturkampfe beim Frieden immer einen werthvollen Siegespreis im Vergleich mit den Zuständen vor Ausbruch des Kampfs. Ueber die Gränze, bis zu der wir der Curie entgegenkommen konnten, hatte ich mich also mit meinen Collegen zu verständigen. Der Widerstand der Gesammtheit der im Kampfe betheiligt gewesenen Ministerialräthe war dabei nachhaltiger als der meiner unmittelbaren Collegen, zunächst mit dem [des] Nachfolger[s] Falk's, als welchen ich dem Könige Puttkamer vorschlug. Aber auch nach diesem Personenwechsel wollte es mir nicht sobald gelingen, die Kirchenpolitik zu ändern, wenn ich nicht neue, dem Könige unwillkommene und mir unerwünschte Cabinetskrisen herbeiführen wollte. Die Erinnerungen an die Zeiten der Anwerbung neuer Collegen gehören zu den unerquicklichsten meiner amtlichen Laufbahn. Um mich mit Herrn v. Puttkamer zu einigen, hätte ich die Unterstützung der culturkampfgewöhnten Räthe seines Ministeriums gewinnen müssen, und das überstieg meine Kräfte. Die Erklärung der Falk'schen Kirchenpolitik ist nicht ausschließlich auf dem Gebiete des katholischen Kirchenstreits zu suchen; sie wurde gelegentlich auch durch die evangelische Kirchenfrage gekreuzt und beeinflußt. In dieser stand Herr von Puttkamer den am Hofe wirksamen Auffassungen näher als Falk, und mein Wunsch, den Kampf mit Rom auf ein engeres Gebiet einzuschränken, hätte bei meinem neuen Collegen persönlich wohl keinen Widerstand gefunden. Die Hemmnisse lagen aber theils in dem Schwergewicht der vom Zorne des Culturkampfs erregten Räthe, denen Herr von Puttkamer auch die natürliche und herkömmliche Entwicklung unsrer Orthographie zum Opfer zu[377] bringen sich genöthigt glaubte, theils in dem Widerstreben meiner übrigen Collegen gegen jeden Anschein von Nachgiebigkeit dem Papste gegenüber.
Meine ersten Versuche zur Anbahnung des kirchlichen Friedens fanden auch bei Sr. Majestät keinen Anklang. Der Einfluß der höchsten evangelischen Geistlichkeit war damals stärker als der katholisirende der Kaiserin und letztere vom Centrum her ohne Anregung, weil dort die Anfänge des Einlenkens ungenügend befunden wurden und es auch dort wie am Hofe immer noch wichtiger schien, mich zu bekämpfen, als versöhnliche Bestrebungen, die von mir ausgingen, zu unterstützen. Die aus der Situation hervorgehenden Kämpfe wiederholten sich, allmälig schwerer werdend.
Es bedurfte noch jahrelanger Arbeit, um ohne neue Cabinetskrisen an die Revision der Maigesetze gehen zu können, für deren Vertretung in parlamentarischen Kämpfen nach der Desertion der freisinnigen Partei in das ultramontane Oppositionslager die Majorität fehlte. Ich war zufrieden, wenn es gelang, dem Polonismus gegenüber die im Culturkampf gewonnenen Beziehungen der Schule zu dem Staate und die eingetretene Aenderung der einschlagenden Verfassungsartikel als definitive Errungenschaften festzuhalten. Beide sind in meinen Augen werthvoller als die maigesetzlichen Verbote geistlicher Thätigkeit und der juristische Fangapparat für widerstrebende Priester, und als einen wichtigen Gewinn durfte ich schon die Beseitigung der katholischen Abtheilung und der staatsgefährlichen Thätigkeit derselben in Schlesien, Polen und Preußen betrachten. Nachdem die Freisinnigen den von ihnen mehr wie von mir betriebenen »Culturkampf«, dessen Vorkämpfer Virchow und Genossen gewesen waren, nicht nur aufgegeben hatten, sondern im Parlament wie in den Wahlen das Centrum unterstützten, war letzterem gegenüber die Regierung in der Minorität. Der aus Centrum, Fortschritt, Socialdemokraten, Polen, Elsäßern, Dänen bestehenden compacten Mehrheit gegenüber war die Politik Falks im Reichstage ohne Aussicht. Ich hielt um so mehr für angezeigt, den Frieden anzubahnen, wenn die Schule gedeckt, die Verfassung von den aufgehobenen Artikeln und der Staat von der katholischen Abtheilung befreit blieb.
Nachdem ich den Kaiser schließlich gewonnen hatte, war bei Abschätzung des Festzuhaltenden und des Aufzugebenden die neue Stellung der Fortschrittspartei und der Secessionisten ein entscheidendes Moment; anstatt die Regierung zu unterstützen, schlossen sie bei Wahlen und Abstimmungen Bündnisse mit dem Centrum[378] und hatten Hoffnungen gefaßt, die in dem sog. Ministerium Gladstone (Stosch, Rickert u.s.w.), das heißt in liberalkatholischer Coalition, ihren Ausdruck fanden.
Im Jahre 1886 gelang es, die von mir theils erstrebte, theils als zulässig erkannte Gegenreformation zum Abschluß zu bringen, den modus vivendi zu erreichen, der immer noch, verglichen mit dem status quo vor 1871, ein für den Staat günstiges Ergebniß des ganzen Culturkampfes aufweist.
Inwieweit derselbe von Dauer sein und die confessionellen Kämpfe nun ruhen werden, kann nur die Zeit lehren. Es hängt das von kirchlichen Stimmungen ab und von dem Grade der Streitbarkeit nicht blos des jedesmaligen Papstes und seiner leitenden Rathgeber, sondern auch der deutschen Bischöfe und der mehr oder weniger hochkirchlichen Richtung, welche im Wechsel der Zeit in der katholischen Bevölkerung herrscht. Eine feste Grenze der römischen Ansprüche an die paritätischen Staaten mit evangelischer Dynastie läßt sich nicht herstellen. Nicht einmal in rein katholischen Staaten. Der uralte Kampf zwischen Priestern und Königen wird nicht heute zum Abschluß gelangen, namentlich nicht in Deutschland. Wir haben vor 1870 Zustände gehabt, auf Grund welcher die Lage der katholischen Kirche gerade in Preußen als mustergültig und günstiger als in den meisten rein katholischen Ländern auch von der Kurie anerkannt wurde. In unsrer innern Politik, namentlich der parlamentarischen, haben wir aber keine Wirkung dieser confessionellen Befriedigung gespürt. Die Fraction der beiden Reichensperger gehörte schon lange vor 1871, ohne daß deshalb die Führer persönlich in den Ruf des Händelmachens verfielen, dauernd der Opposition gegen die Regierung des evangelischen Königshauses an. Bei jedem modus vivendi wird Rom eine evangelische Dynastie und Kirche als eine Unregelmäßigkeit und Krankheit betrachten, deren Heilung die Aufgabe seiner Kirche sei. Die Ueberzeugung, daß dem so ist, nöthigt den Staat noch nicht, seinerseits den Kampf zu suchen und die Defensive der römischen Kirche gegenüber aufzugeben, denn alle Friedensschlüsse in dieser Welt sind Provisorien, gelten nur bis auf Weiteres; die politischen Beziehungen zwischen unabhängigen Mächten bilden sich in ununterbrochenem Flusse, entweder durch Kampf oder durch die Abneigung der einen oder der andern Seite vor Erneuerung des Kampfes. Eine Versuchung zur Erneuerung des Streites in Deutschland wird für die Curie stets in der Entzündlichkeit der Polen, in der Herrschsucht des dortigen Adels und in[379] dem durch die Priester genährten Aberglauben der untern Volksschichten liegen. Ich habe im Kissinger Lande deutsche und schulgebildete Bauern gefunden, die fest daran glaubten, daß der am Sterbebette in sündigem Fleische stehende Priester den Sterbenden durch Verweigerung oder Gewährung der Absolution direct in die Hölle oder den Himmel schicken könne, man ihn also auch politisch zum Freunde haben müsse. In Polen wird es mindestens ebenso sein und schlimmer, weil dem ungebildeten Manne eingeredet ist, daß deutsch und lutherisch ebenso wie polnisch und katholisch identische Begriffe seien. Ein ewiger Friede mit der römischen Kurie liegt nach den gegebenen Lebensbedingungen ebenso außerhalb der Möglichkeit wie ein solcher zwischen Frankreich und dessen Nachbarn. Wenn das menschliche Leben überhaupt aus einer Reihe von Kämpfen besteht, so trifft das vor Allem bei den gegenseitigen Beziehungen unabhängiger politischer Mächte zu, für deren Regelung ein berufenes und vollzugsfähiges Gericht nicht vorhanden ist. Die römische Kurie aber ist eine unabhängige politische Macht, zu deren unabänderlichen Eigenschaften derselbe Trieb zum Umsichgreifen gehört, der unsern französischen Nachbarn innewohnt. Für den Protestantismus bleibt ihr das durch kein Concordat zu beruhigende aggressive Streben des Proselitismus und der Herrschsucht; sie duldet keine Götter neben ihr.
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