[232] Die staatsrechtliche Frage, um welche es sich in dem Conflicte handelte, und die Auffassung derselben, welche das Ministerium gewonnen und der König gutgeheißen hatte, ist in einem Schreiben Sr. Majestät an den Oberstlieutenant Freiherrn von Vincke auf Olbendorf bei Grottkau dargelegt, welches seiner Zeit in der Presse erwähnt, aber, so viel ich mir erinnere, nicht vollständig veröffentlicht worden ist, was dasselbe um so mehr verdient, als sich daraus die Haltung des Königs in der Frage der Indemnität erklärt.
Herr von Vincke hatte ein Glückwunschschreiben zu Neujahr 1863 mit folgenden Sätzen geschlossen: »Das Volk hängt treu an Ew. M., aber es hält auch fest an dem Recht, welches ihm der Artikel 99 der Verfassung unzweideutig gewährt. Möge Gott die unglücklichen Folgen eines großen Mißverständnisses in Gnaden abwenden.«
Der König antwortete am 2. Januar:
»Für Ihre freundlichen Glückwünsche beim Jahreswechsel danke ich Ihnen bestens. Daß der Blick in das neue Jahr nicht freundlich ist, bedarf keines Beweises. Daß aber auch Sie in das Horn stoßen, daß ich nicht die Stimmung des bei Weitem größten Theils des Volkes kenne, ist mir unbegreiflich, und Sie müssen meine Antworten an die vielen Loyalitäts-Deputationen nicht gelesen haben. Immer und immer habe ich es wiederholt, daß mein Vertrauen zu meinem Volk unerschüttert sei, weil ich wüßte, daß es mir vertraue; aber Diejenigen, welche mir die Liebe und das Vertrauen desselben rauben wollten, die verdamme ich, weil ihre Pläne nur ausführbar sind, wenn dies Vertrauen erschüttert wird. Und daß zu diesem Zwecke Jenen alle Wege recht sind, weiß die ganze Welt, denn nur Lüge und Trug und Lug kann ihre Pläne zur Reife bringen. Sie sagen ferner: das Volk verlange die Ausführung des § 99 der Verfassung. Ich möchte wohl wissen, wie viele Menschen im Volke den § 99 kennen oder ihn je haben nennen hören! Das ist aber einerlei und thut nichts zur Sache, da für die Regierung der § existirt und befolgt werden muß. Wer hat denn aber die Ausführung des § unmöglich gemacht? Habe ich nicht von der Winter- zur Sommer-Session die Concession von 4 Millionen gemacht und danach das Militair-Budget – leider – modificirt? Habe ich nicht[233] mehrere andre Concessionen – leider – gemacht, um das Entgegenkommen der Regierung dem neuen Hause zu beweisen? Und was ist die Folge gewesen? Daß das Abgeordnetenhaus gethan hat, als hätte ich nichts gethan, um entgegenzukommen, um nur immer mehr und neue Concessionen zu erlangen, die zuletzt dahin führen sollten, daß die Regierung unmöglich würde. Wer einen solchen Gebrauch von seinem Rechte macht, d.h. das Budget so reduzirt, daß Alles im Staate auf hört, der gehört in's Tollhaus! Wo steht es in der Verfassung, daß nur die Regierung Concessionen machen soll und die Abgeordneten niemals? Nachdem ich die meinigen in unerhörter Ausdehnung gemacht hatte, war es am Abgeordnetenhaus, die seinigen zu machen. Dies aber wollte es unter keiner Bedingung, und die sogenannte Episode bewies wohl mehr wie sonnenklar, daß uns eine Falle nach der anderen gelegt werden sollte, in welche sogar Ihr Vetter Patow und Schwerin fielen. 234000 Reichsthaler sollten noch pro 1862 abgesetzt werden, um das Budget annehmen zu können, während der Kern der Frage erst pro 1863 zur Sprache kommen sollte; dies lag gedruckt vor; und als ich darauf eingehe, erklärt nun erst Bockum-Dolffs, daß ihrerseits, d.h. seiner politischen Freunde, dies Eingehen nur angenommen werden könne, wenn sofort in der Commission die Zusage und anderen Tags im Plenum das Gesetz einer zweijährigen Dienstzeit eingebracht werde. Und als ich darauf nicht eingehe, verhöhnt uns B.D. durch seine Presse: ›nun solle man sich die Unverschämtheit der Regierung denken, dem Hause zuzumuthen, um 234000 Reichsthaler Frieden anzubieten!‹ Und doch lag nur dies Anerbieten Seitens des Hauses vor! Ist jemals eine größere Infamie aufgeführt worden, um die Regierung zu verunglimpfen und das Volk zu verwirren?
Das Abgeordnetenhaus hat von seinem Recht Gebrauch gemacht und das Budget reduzirt.
Das Herrenhaus hat von seinem Recht Gebrauch gemacht und das reducirte Budget en bloc verworfen.
Was schreibt die Verfassung in einem solchen Falle vor?
Nichts!
Da, wie oben gezeigt, das Abgeordnetenhaus sein Recht zur Vernichtung der Armée und des Landes benutzte, so mußte ich wegen jenes ›Nichts‹ suppléiren und als guter Hausvater das Haus weiter führen und spätere Rechenschaft geben. Wer hat also den § 99 unmöglich gemacht? Ich wahrlich nicht!
Wilhelm.«
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