[494] Seinem redlichen Sinne und der Aufrichtigkeit seines Wohlwollens für Andre, seiner aus dem Herzen kommenden und von hohem Sinne getragenen Liebenswürdigkeit verdankte er es, daß ihm eine gewisse Leistung leicht wurde und gut gelang, welche der Verstandesthätigkeit constitutioneller Regenten und Minister von Zeit zu Zeit viel Mühe macht. Für öffentliche Ansprachen enthalten die jährlich wiederkehrenden Aeußerungen solcher Monarchen, deren Constitutionalismus als mustergültig betrachtet wurde, einen reichen Vorrath an Redewendungen; aber trotz aller sprachlichen Gewandtheit haben sowohl Leopold von Belgien wie Louis Philipp die constitutionelle Phraseologie ziemlich erschöpft, und[494] ein deutscher Monarch wird kaum im Stande sein, schriftlich und gedruckt den Kreis der brauchbaren Aeußerungen zu erweitern. Mir selbst ist keine Arbeit unbehaglicher und schwieriger gewesen, als die Herstellung des nöthigen Phrasenbedarfs für Thronreden und ähnliche Aeußerungen. Wenn Kaiser Wilhelm selbst Proclamationen redigirte oder wenn er eigenhändig Briefe schrieb, so hatten dieselben, auch wenn sie sprachlich incorrect waren, doch immer etwas Gewinnendes, oft Begeisterndes. Sie berührten angenehm durch die Wärme seines Gefühls und die Sicherheit, die aus ihnen sprach, daß er Treue nicht nur verlangte, sondern auch gewährte. Il était de relation sûre; eine von den fürstlichen Gestalten, in Seele und Körper, deren Eigenschaften mehr des Herzens als des Verstandes die im germanischen Charakter hin und wieder vorkommende Hingebung ihrer Diener und Anhänger auf Tod und Leben erklären. Für monarchische Gesinnung ist die Ausdehnung des Gebietes ihrer Ergebenheit nicht jedem Fürsten gegenüber dieselbe; sie unterscheidet sich, je nachdem politisches Verständnis oder Empfindung die Grenzen ziehen. Ein gewisses Maß der Hingebung wird durch die Gesetze bestimmt, ein größeres durch politische Ueberzeugung; wo es darüber hinaus geht, bedarf es eines persönlichen Gefühls von Gegenseitigkeit, welches bewirkt, daß treue Herrn treue Diener haben, deren Hingebung über das Maß staatsrechtlicher Erwägungen hinausreicht.
Es ist eine Eigenthümlichkeit royalistischer Gesinnung, daß ihren Träger, auch wenn er sich bewußt ist, die Entschließungen des Königs zu beeinflussen, das Gefühl nicht verläßt, der Diener des Monarchen zu sein. Der König selbst rühmte eines Tages (1865) gegen meine Frau die Geschicklichkeit, mit welcher ich seine Intentionen zu errathen und – wie er nach einer Pause hinzusetzte – zu leiten wüßte. Solche Anerkennung benahm ihm nicht das Gefühl, daß er der Herr und ich sein Diener sei, ein nützlicher, aber ehrerbietig ergebener. Dies Bewußtsein verließ ihn auch dann nicht, als er bei erregter Erörterung meines Abschiedsgesuchs 1877 in die Worte ausbrach: »Soll ich mich in meinen alten Tagen blamiren? Es ist eine Untreue, wenn Sie mich verlassen« – auch unter solchen Gefühlen stand er in seiner eignen königlichen Einschätzung und in seinem Gerechtigkeitssinn zu hoch, um jemals dem Gefühl einer Saulischen Eifersucht gegen mich zugänglich zu werden. Er hatte das königliche Gefühl, daß er es nicht nur vertrug, sondern sich gehoben fühlte durch den Gedanken, einen angesehenen und mächtigen Diener zu haben. Er war zu vornehm für das[495] Gefühl eines Edelmannes, der keinen reichen und unabhängigen Bauern im Dorfe vertragen kann. Die freudige Art, in welcher er 1885 bei meiner 50jährigen Dienstfeier die mir gebrachten Huldigungen nicht befahl und anordnete, aber zuließ und mitmachte, stellte auch für das Publikum und die Geschichte diesen königlichen und vornehmen Charakter in das richtige Licht. Die Feier war nicht von ihm befohlen, aber zugelassen und freudig befördert. Nicht einen Augenblick kam ihm der Gedanke einer Eifersucht auf seinen Diener und Unterthanen in den Sinn, und nicht einen Augenblick verließ ihn das königliche Bewußtsein, der Herr zu sein, ebenso wie bei mir alle, auch übertriebene Huldigungen das Gefühl, der Diener dieses Herrn zu sein und mit Freuden zu sein, in keiner Weise berührten.
Diese Beziehungen und meine Anhänglichkeit hatten ihre principielle Begründung in einem überzeugungstreuen Royalismus: aber in der Specialität, wie derselbe vorhanden war, ist er doch nur möglich unter der Wirkung einer gewissen Gegenseitigkeit des Wohlwollens zwischen Herrn und Diener, wie unser Lehnrecht die »Treue« auf beiden Seiten zur Voraussetzung hatte. Solche Beziehungen, wie ich sie zum Kaiser Wilhelm hatte, sind nicht ausschließlich staatsrechtlicher oder lehnrechtlicher Natur; sie sind persönlich, und sie wollen von dem Herrn sowohl wie von dem Diener, wenn sie wirksam sein sollen, erworben sein; sie übertragen sich mehr persönlich als logisch leicht auf eine Generation, aber ihnen einen dauernden und principiellen Charakter beizulegen, entspricht im heutigen politischen Leben nicht mehr den germanischen, sondern eher den romanischen Anschauungen; der portugiesische porteur du coton ist in die deutschen Begriffe nicht übertragbar.
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